In den Hohen Tauern von Salzburg, Kärnten und Osttirol sei die Lage besser als im Westen Österreichs und in der Schweiz, sagte Andrea Fischer am Donnerstag dem ORF Salzburg:
„In den Tauern konnten sich in den Hochlagen noch Schneereste zum Schutz der Eiszungen halten, während sie zum Beispiel in der Silvretta schon wieder völlig ausgeapert sind. Das liegt nicht nur an der Höhe, etwa des Glockners, sondern auch an den im Osten stärkeren Schneefällen im vergangenen Winter.“
Dennoch gebe es keinen Grund zu Optimismus, wenn man Gletscher mag, sagt die Expertin. Man sehe nun auch Prozesse, die in ihrer Art bisher unerforscht und neu seien. Die Fachwelt lerne jeden Tag dazu. Die Pasterze beim Großglockner sei eine Art nationales Heiligtum für Österreich, das nun vor der Zerstörung stehe, so Fischer.
Pasterze zerreißt bald in zwei Teile:
Auch das Schlatenkees reißt bald
Bei den ganz großen Gletschern Österreichs ticke die Uhr besonders laut, so Fischer. Sie ist mit ihrem Forschungsteam an der Universität Innsbruck und der Akademie der Wissenschaften in Wien beheimatet:
Ultra-Leichtflugzeug im Einsatz
Alle Bilder wurden vor wenigen Tagen von außerhalb des Nationalparks Hohe Tauern fotografiert, teils mit starkem Teleobjektiv. Bei diesen Missionen war ein Leichtflugzeug des Typs WT-9 im Einsatz. Leistung: knapp 100 PS Leistung mit Benzin von der KFZ-Tankstelle.
Schadstoffbilanz, Energieeffizienz und Wirkungsgrad sind weitaus besser als die der meisten Mittelklassewagen. Salzburg-Venedig wäre mit 25 Litern in einer Stunde und 15 Minuten möglich – gegenüber fünf bis sechs Stunden mit dem Auto.
„Auf der Pasterze unter dem Großglockner und beim Schlatenkees an der Ostflanke des Großvenedigers ist der Zerfall vomm im Gang – beschleunigt durch zwei Prozesse, dir wir erst jüngst erforscht haben. Es haben sich an den Stellen, wo die Zungen früher besonders schnell geflossen sind und dabei den Untergrund ausgeschürft haben, neue Seen in diesen Vertiefungen gebildet. Diese liegen nun auch im Winter wie Wärmeflaschen unter dem Eis.
In den Hohlräumen herrschen über den ganzen Winter mittlerweile Plusgrade, auch wenn es an der Oberfläche tief unter den Nullpunkt geht.“
Warme Luft auch bei arktischer Kälte
Auf dem Gletscher sei dieser unterirdische Effekt durch kreisförmige Spalten sichtbar, die einstürzen und trichterförmige Krater hinterlassen. An beiden Gletschern seien dadurch heuer große Flächen verloren gegangen, schildert die Expertin:
„Beide Gletscher haben auch einen orografisch rechts liegenden und stark schuttbedeckten Teil. Der liegt zwar jeweils im Trockenen, weist aber dennoch Einbruchstrichter auf. Hier strömt unter dem Gletscher warme Luft durch und verursacht diese trockene Kalbung. Diese Eisschollen auf Sand wirken dann ein bisschen wir gestrandete Wale.“
Früher war das Schlatenkees auch unten dick:
Neue Gefahren für Skibergsteiger
Die an den Rändern der Einbruchstrichter senkrechten oder sogar leicht überhängenden Eiswände seien im letzten Winter und Frühling einigen Schitourengehern schon zur Falle geworden, sagt Fischer:
„Bei schlechter Sicht sind sie schwer zu erkennen. Und nach Jahrzehnten mit sehr flach endenden, oft spaltenlosen Gletscherzungen dürften viele Alpinisten nicht mit einem lebensgefährlichen Absturzgelände rechnen. In den Karten sind da noch immer sanfte Formen eingezeichnet.“
Pasterze und Schlatenkees stehen zudem kurz vor dem Abriss ihrer Zungen. Die oberen Teile der Gletscher sind dann komplett von den unteren getrennt, die in flacheren Gebieten liegen. Beim Pasterzenkees könnte das schon bald und abrupt über einen Eissturz geschehen, eine Eislawine, so Fischer:
„Beim Schlatenkees wird es keine solche Eislawine geben. Diese Zunge trennt sich langsam, sie schmilzt sanft zurück.“
Gasteiner Gletscher vor dem Ende
Die kleineren Gletscher wie auf dem Schareck bei Bad Gastein (Pongau) und dem Rauriser Sonnblick (Pinzgau) seien durch die geringeren Seehöhen heuer schon komplett ausgeapert:
„Schuttstreifen im Gletscher zeigen den nahen Untergrund und damit das nahe Ende an. Ab einer Eisdicke von etwa acht Metern verschwinden alle Spalten. Es werden so genannte Schuttfächer sichtbar. Das bedeutet im Normalfall noch etwa vier Jahre Existenz für den Gletscher – unter Bedingungen wie 2023 nur zwei Jahre.“
Schlapperebenkees bald verschwunden:
Stubacher Sonnblickkees in drei Teile zerfallen
Das Stubacher Sonnblickkees im Oberpinzgau bei Uttendorf, vor wenigen Wochen noch schneebedeckt und geschützt, sei in der letzten Hitzewelle rasch ausgeapert. Der im Vorjahr sich andeutende Zerfall in drei Teile sei nun nahezu abgeschlossen:
Reserven nur noch beim Venediger
Beim Großvenediger, dem höchsten Bergmassiv Salzburgs, sei die Lage zwiespältig, betont Gletscherforscherin Fischer:
„Das Äußere Mullwitzkees auf der Südseite der Hohen Tauern in Osttirol präsentiert sich nahezu schneefrei, während die riesigen Gletscher auf der Nordseite des Großvenedigers noch Rücklagen und Schutz durch Schnee aufweisen.“
Obersulzbach-, Venediger- und Untersulzbachkees gehören nun laut Fischer zu den wenigen Gletschern der Ostalpen, die noch intakte Spaltenzonen haben:
„Diese Spalten und Brüche zeigen, dass sei noch in Bewegung sind. Bei den meisten anderen sind die Spaltenzonen schon verschwunden."
Nördliche Glocknergruppe bei Fusch schwer gezeichnet:
Fehlender Schnee beschleunigte das Hochwasser
Der Sommerschnee als Schutzschicht sei fast überall nun weg. Das sei auch eine der Ursachen für das Hochwasser in den Tauerntälern, sagt Andrea Fischer und verweist auf die Geröllawinen bei Kolm Saigurn.
Hier rinne das Wasser von den letzten Eiszungen und geschliffenen Felsflanken des Hocharn mittlerweile wie auf einer Betonbahn herunter – weil es dieses Mal oben nicht geschneit und nur geregnet habe. Dazu fehlt alter Schnee vom letzten Winter als Speicher.
Expertin hofft auf kühlen September
Glaziologin Fischer von der Uni Innsbruck und der Akademie der Wissenschaften hatte gehofft, der letzte Wettersturz hätte Ende August mit der Nähe zum Herbst auch ein Ende der heurigen Abschmelzung eingeläutet:
"Leider lag die Schneefallgrenze über mehrere Tage noch deutlich über dem Gipfelniveau. Das wirkte sich neben dem schwachen Schutz für die Gletscher auch sehr ungünstig auf die Hochwassersituation aus, weil zu wenig Wasser in Form von Schnee zwischengespeichert wurde.“
Die aus dem Salzburger Pongau stammende Expertin, die auch als Bergsteigerin sehr erfahren ist, hofft nun auf einen kühlen und nassen September. Der möge oben wieder Neuschnee bringen: „Oktober und November könnten dann wieder fein sonnig werden. Dann ist wegen Tageslänge und Einstrahlungswinkel keine große Abschmelzung mehr möglich, dafür sehr schöne Wanderungen und Bergtouren – vor einem hoffentlich schneereichen Winter.“