Die Stadt Salzburg bekommt Dienstagnachmittag ihren insgesamt 442. Stolperstein – zur Erinnerung an Opfer des nationalsozialistischen Regimes, die zwischen 1938 und 1945 vertrieben und/oder ermordet wurden.
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Politik

Neuer Stolperstein und neuer Vorschlag für Feingold-Straße

Die Stadt Salzburg hat Mittwoch den insgesamt 442. Stolperstein bekommen – zur Erinnerung an den Rabbiner von Salzburg, der 1938 von den Nazis vertrieben wurde. Gleichzeitig gibt es in der Diskussion um eine Straße für den 2019 verstorbenen Marko Feingold eine Wendung, den damals ältesten Holocaust-Überlebenden Österreichs.

Wenige Meter von der Synagoge in der Lasser-Straße entfernt ist die Stelzhamer-Straße. Namensgeber ist Franz Stelzhamer, ein Innviertler Mundartdichter und oberösterreichischer „Nationalheld“ des 19. Jahrhunderts, sogar Textdichter der heutigen Landeshymne von Oberösterreich. Für den Salzburger Historiker Gert Kerschbaumer ist Stelzhamer ein harter Antisemit: „Das waren die Wegbereiter des Nationalsozialismus, wie der frühere Wiener Bürgermeister Lueger oder eben der Stelzhamer. Darauf muss man aufmerksam machen.“

Witwe mit neuem Vorschlag für die Stadtpolitik

Die Franz-Stelzhamer-Straße in Marko-Feingold-Straße umzubenennen, das war nach dem Tod ihres Mannes bisher der Wunsch von Hanna Feingold.

Hanna Feingold – Die Stadt Salzburg bekommt Dienstagnachmittag ihren insgesamt 442. Stolperstein – zur Erinnerung an Opfer des nationalsozialistischen Regimes, die zwischen 1938 und 1945 vertrieben und/oder ermordet wurden.
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Feingold sieht eine Straße in der Innenstadt als würdigen und praktikablen Ort für die Erinnerung an ihren Mann

„Churfürst- statt Stelzhamer-Straße“

Vor zehn Monaten starb dann Österreichs ältester Holocaust-Überlebender im Alter von 106 Jahren. Das Begräbnis auf dem kleinen jüdischen Friedhof Salzburgs war für den Sozialdemokraten (und Kritiker der SPÖ) zwar als private Feier gedacht, hatte aber riesigen Andrang und geriet fast zum Staatsakt. Weil Marko Feingold in allen Parteien und gesellschaftlichen Schichten seine Fans und Freunde hatte und hat.

In diesen Sommertagen hat nun seine Witwe Hanna beim Thema Straßenbenennung zum Gedenken an ihren Mann umgedacht – in Richtung Salzburger Altstadt: „Mir würde statt der Stelzhamer-Straße die Churfürst-Straße besser gefallen, weil sie mehr in der Stadtmitte ist. Weil sie auch näher beim Zentrum für Jüdische Kulturgeschichte und bei der Universität ist. Und wenn da Marko-Feingold-Straße draufstehen würde, dann wäre ich sehr zufrieden.“

Hanna Feingold wurde von der kleinen jüdischen Gemeinde Salzburgs nach dem Tod ihres Mannes zur neuen Präsidentin gewählt. Es sei schon wichtig, sagt sie, dass eine Straße mit Postadressen benannt wird – und kein lebloses Bau-Objekt: „Ich will keine Brücke für ihn, möchte gerne eine Straße, wo Häuser stehen, wo auf dem Briefkopf dieser Name steht. Damit er im Alltagsleben der Menschen in Salzburg nicht vergessen wird.“

Große Fangemeinde in vielen Lagern

Der langjährige Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg war Überlebender von vier NS-Konzentrationslagern. Er hat das jüdische Leben in Salzburg nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt wie kein anderer und sich für Versöhnung über ideologische und religiöse Gräben hinweg eingesetzt. Feingold war auch bekannt für seinen Humor und eine große Portion Selbstironie. Er traf sich im hohen Alter noch mit jungen Ex-Neonazis, die im Gefängnis saßen. Und er erzählte ihnen von seinem harten Dasein als junger Mann in Österreich, und wie er die Kurve zu einem guten Leben kratzte – trotz der bösen Erlebnisse mit den Nazis. Es wurden sogar neue Freundschaften geschlossen, selbst scheinbar Unbelehrbare lernten dazu durch ihn.

Fotostrecke mit 3 Bildern

Die Stadt Salzburg bekommt Dienstagnachmittag ihren insgesamt 442. Stolperstein – zur Erinnerung an Opfer des nationalsozialistischen Regimes, die zwischen 1938 und 1945 vertrieben und/oder ermordet wurden.
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Der am Mittwoch frisch verlegte Stolperstein zur Erinnerung an den Salzburger Rabbiner von 1938
Die Stadt Salzburg bekommt Dienstagnachmittag ihren insgesamt 442. Stolperstein – zur Erinnerung an Opfer des nationalsozialistischen Regimes, die zwischen 1938 und 1945 vertrieben und/oder ermordet wurden.
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Der deutsche Künstler schafft hier Platz für den neuen Stolperstein im Gehsteig vor der Salzburger Synagoge. Gunter Demnig mit seinem – für viele Fans schon legendären – Meißelhammer, gebaut von einer bei Profis beliebten Spezialfirma in Liechtenstein
Die Stadt Salzburg bekommt Dienstagnachmittag ihren insgesamt 442. Stolperstein – zur Erinnerung an Opfer des nationalsozialistischen Regimes, die zwischen 1938 und 1945 vertrieben und/oder ermordet wurden.
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„Gemeinde hat bis November 1938 standgehalten“

Bei der Verlegung des 442. Stolpersteins am Mittwoch in Salzburg war die Straßenbenennung für Feingold auch ein Gesprächsthema. 77.000 Stolpersteine wurden weltweit bereits verlegt – in Salzburg läuft das Projekt des deutschen Künstlers Gunter Demnig seit 13 Jahren – gegen das Vergessen. Es erinnert an Frauen, Männer, Kinder und Jugendliche der jüdischen Gemeinde Salzburgs, an Roma und Sinti, an ermordete Kranke und politische Widerstandskämpfer.

Der nun frisch verlegte Stolperstein ist David Margules gewidmet, den letzten Rabbiner vor der Auslöschung der jüdischen Gemeinde durch die Nazis ab 1938. Der Salzburger Historiker Gert Kerschbaumer betont, Margules habe zu kämpfen gehabt, dass die Gemeinde zusammengeblieben ist: „Sie hat gegen alle Bedrohungen bis zum November 1938 standgehalten.“

Die Stadt Salzburg bekommt Dienstagnachmittag ihren insgesamt 442. Stolperstein – zur Erinnerung an Opfer des nationalsozialistischen Regimes, die zwischen 1938 und 1945 vertrieben und/oder ermordet wurden.
Personenkomitee Stolpersteine Salzburg
Schon vor Jahrzehnten wurden in Salzburg die ersten Stolpersteine verlegt. Archivbild: Künstler Gunter Demnig mit Marko Feingold, dem langjährigen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, der 2019 mit 106 Jahren verstarb

Ab der so genannten „Reichskristallnacht“ in diesem Monat, dem äußerst brutalen Massenpogrom in Deutschland und der „angeschlossenen“ „Ostmark“ (Österreich) begannen Vertreibung und Mord.

Die nächsten Stolpersteine in Salzburg sollen Mitte August im Festspielbezirk verlegt werden. Etliche sind schon fertig. Sie erinnern an insgesamt 28 Männer und Frauen aus dem Musik- und Kunstbetrieb, die vom NS-Regime vertrieben und zum Teil ermordet worden sind, wie der Wissenschafter schildert: „Diese ganze Strahlkraft der Salzburger Festspiele verdanken wir einigen wenigen Künstlern, die dann vertrieben worden sind.“

Marko Feingold im Juni 2018 vor der Salzburger Synagoge nach einem Interview für ORF Radio Salzburg
Gerald Lehner
Marko Feingold im Juni 2018 vor der Salzburger Synagoge mit seiner Frau Hanna, die nunmehr Präsidentin der kleinen Kultusgemeinde ist

Benennung für Feingold voraussichtlich 2021

Die Stadt Salzburg lässt schon seit Jahren bestehende Salzburger Straßennamen wissenschaftlich untersuchen, die noch immer nach NS-Tätern und Propagandisten Hitlers benannt sind. Die geplante Benennung im Gedenken an Marko Feingold soll dem Vernehmen nach im kommenden Jahr in Absprache mit seiner Witwe stattfinden.

Blick in unser Archiv

Die letzte größere Debatte Feingolds mit Salzburger Politikern fand im Herbst 2018 zu diesem Thema statt – via salzburg.ORF.at und ORF Radio Salzburg.

Existenz der jüdischen Gemeinde bedroht

Die Israelitische Kultusgemeinde Salzburg wird immer kleiner und ist in ihrer Existenz bedroht. Die meisten Mitglieder sind schon älter oder hochbetagt. Salzburgs Juden hoffen auf Hilfe der Politik, um ein künftiges Ende ihrer Gemeinschaft abzuwenden – mehr dazu in salzburg.ORF.at (29.10.2018).

Gemischte Reaktionen: Israelische Experten für Salzburg?

Salzburgs SPÖ auf Landesebene, Grüne, NEOS, Teile der ÖVP und die Uni machen nun Vorschläge, um die gealterte Israelitische Kultusgemeinde zu retten. Einige Politiker befürworten den Zuzug junger Wissenschaftler und Techniker aus Israel – mehr dazu in salzburg.ORF.at (12.2.2019).

Seine Stimme nachhören

Feingold als Gast im Radio Cafe von ORF Salzburg zu seinem 105. Geburtstag – gesendet am 26.5.2018. Story mit Link zu MP3-Stream der längeren Sendung.

Gedenken an jüdische Flucht über die Alpen

Einer unglaublichen Flucht über das Hochgebirge beim Krimmler Tauernpass wird alljährlich in Salzburg gedacht. Im Sommer 1947 waren rund 5.000 Juden vom Pinzgau über die Alpen marschiert. Fluchthelfer war damals Feingold, Überlebender von vier NS-Konzentrationslagern – mehr über eine dieser Gedenkveranstaltungen in salzburg.ORF.at (23.6.2017).