Der viele Staub aus der Sahara, der im Frühling 2022 nach Europa geweht wurde, verlängert nun die Schmelzphase in den Hochalpen gleich um mehrere Wochen. Er wirkt als Wärmespeicher und damit auf den Gletschern als Turbo – beim Verlust der schützenden Schneeschichten. Vor wenigen Tagen lautete dazu der fliegerische Arbeitsauftrag: Dokumentation des aktuellen Abschmelzungszustandes als Basis für weitere Vergleichsbilder im kommenden Herbst. Bevor wieder der Neuschnee alles zudeckt und schönfärbt.
Weil es heuer dem alten Schnee besonders früh im Jahr an den Kragen ging und geht, sind die Eisfelder nun viel intensiver und länger der sommerlichen Sonnenstrahlung ausgesetzt – noch nie so lange wie heuer, sagen Fachleute.
Erstmals Vergleich innerhalb eines Sommers
„Für kommenden Herbst planen wir eine weitere Fotomission, um den direkten Vergleich innerhalb eines einzigen Sommers zu haben – vermutlich ein Rekordsommer“, schildert die Gletscherforscherin Andrea Fischer von Österreichs Akademie der Wissenschaften. Ihr Team untersucht viele Eisfelder zwischen Dachsteinmassiv, Kärntner, Salzburger, Tiroler und Vorarlberger Zentralalpen schon seit Jahren – bei sehr genauen Vermessungsarbeiten auf dem Boden: „Andererseits liefern uns solche Flüge wertvolle Vergleichsmöglichkeiten. Es geht um aktuelle, jahreszeitliche Übersichten aus größeren Höhen und aus Positionen, die mit Drohnen legal oder technisch nicht erreichbar wären.“
Leichtflugzeug im Einsatz
Bei diesen Missionen ist ein Leichtflugzeug des Typs Katana DV20 des kanadisch-österreichischen Herstellers Diamond Aircraft im Einsatz. Dieses kann bei knapp 100 PS auch mit Benzin von der Tankstelle betrieben werden. Schadstoffbilanz, Energieeffizienz und Wirkungsgrad sind weitaus besser als bei den meisten Mittelklassewagen. Zum Vergleich: Die Strecke Salzburg-Venedig ist mit 25 Litern in einer Stunde, 15 Minuten möglich – gegenüber fünf bis sechs Stunden mit dem Auto.
Nationalpark tabu, genaue Routenplanung
Bei Fotoflügen wird auch darauf geachtet, die Außen- und Kernzone des Nationalparks Hohe Tauern nicht zu verletzen. Dort herrscht nämlich behördliches Flugverbot. Um dennoch Bilder mit scheinbar großer Nähe und Auflösung zu erhalten, braucht es genaue Routenplanung für entsprechende Blickwinkel. Dabei wird außerhalb der Sperrzonen in Seehöhen von bis zu 13.000 Fuß (ca. 3.900 Metern) geflogen und mit Tele fotografiert – oft aus seitlichen Positionen.
Wissenschaftlerin Andrea Fischer stammt aus St. Johann im Pongau und ist beruflich schon lange in Innsbruck stationiert.
Felsen nach Jahrtausenden nun eisfrei
In der nächsten Menschengeneration über 30 Jahre werde es kein neues Eis geben, die nötigen Reserven in den Nährgebieten der großen Seehöhen seien dahin, sagt die Glaziologin: „Die ehemaligen Eisriesen sind nun grau und dunkel. Nahezu täglich tauchen neue Felsen auf, die das erste Mal seit Jahrtausenden das Licht der Sonne erblicken. Felsblöcke, die bisher lose unter dem Eis lagen, freuen sich über das Ende ihrer Gefangenschaft und donnern zu Tal. Schon 2050 kann ein Großteil des Eises der Ostalpen verschwunden sein.“
Bei Einhaltung des 1,5-Grad-Zieles sei es durchaus möglich, dass die bis dahin verschwundenen Gletscher wieder neu entstehen: „Das dauert zwar Jahrhunderte, aber Gletscher denken ohnehin nicht wie Politiker in Legislaturperioden.“
Neue Eiszeit nicht ausgeschlossen
Und es sei nie zu spät, denn Totgesagte leben länger, so die Expertin: „Nicht nur dass sich die Gletscher in einigen Zehntausenden von Jahren zu einer neuen Eiszeit formieren können, die die Alpen zurückerobert. Schon bis vor etwa 12.000 Jahren hat Eis die Alpen nahezu vollständig bedeckt. Später kam eine Warmzeit, in der die Wälder bis in Höhen vorstießen, die heute vergletschert sind.“
Durch die starke Schmelze in den höchsten Teilen der Gletscher, die bisher nur moderaten Schmelzwassereintrag erfahren haben, komme es dort zur Ausbildung eines neuen Abflusssystems im und unter dem Eis: „Dadurch wird der Halt des Eiskörpers auf dem Untergrund verringert, und der Gletscherfluss beschleunigt. Dadurch kann das Eis auch sehr instabil werden und plötzlich abrutschen wie zuletzt auf der Marmolata.“
„Alles Leben heißt ständige Veränderung“
Der heurige Sommer beschleunige nun einen Prozess, der in den nächsten Jahren ohnehin stattgefunden hätte, betont die Forscherin und sehr erfahrene Bergsteigerin: „Der einzig statische Zustand der Natur ist der Tod, alles Leben heißt ständige Veränderung. Damit müssen wir uns nun insbesondere im Hochgebirge noch stärker anfreunden.“