Der 2.948 Meter hohe Torstein ist einer der extremsten Orte der Ostalpen. Dass der zweithöchste Gipfel des weitläufigen Dachsteinmassivs (fast) punktgenau auch das Dreiländereck Salzburg, Oberösterreich und Steiermark bildet, das ist in der breiten Öffentlichkeit nicht sehr bekannt. Fans von großer Einsamkeit wissen seine abgelegene Position und die nicht gerade einfachen Zustiegs-, Kletter- und Besteigungsmöglichkeiten sehr zu schätzen.
Eiszeitliche Spuren überall
Die Nordwestwand des Torsteins wurde über viele Jahrtausende von intensiver Vergletscherung geformt und geprägt. Mehrere Warm- und Eiszeiten malträtierten mit ihren Zyklen diese Seite des Berges bis direkt unter den Gipfel. Der ragte in den kältesten Phasen als „Nunatak“ aus kilometerdicken Eismassen. Schleifspuren später entstandener Seracs (Hängegletscher) sind noch heute zu sehen. Der bis in unsere Tage imposante Gosaugletscher im Hochkar zwischen Dachstein-Hauptgipfel, Mitterspitz und Torstein ist ein letzter, vergleichsweise bescheidener Rest der alten Panzerungen – ebenso die kleineren Nebengletscher in benachbarten Karen.
Torstein, Mitterspitz und Dachstein-Hauptgipfel – aktuelle Fotos von einer privat finanzierten Erkundung am Montagabend:
Das Dreiländereck war schon immer beeinflusst von äußerst gegensätzlichem Wetter – von monatelangem Winterschatten, arktischen Bedingungen, hohen Windgeschwindigkeiten, in den Sturmpausen ab dem Frühjahr auch von sehr warmen Tagen mit starker Höhenstrahlung. Die vergangene Woche brachte wieder tiefe Temperaturen, viel Wind und Neuschnee über mehrere Tage und Nächte.
Fast ungebremste Nordwestwinde
In der Nordwestwand des Torsteins, die auf die Salzburger Seite und hinunter ins oberösterreichische Gosau schaut, greifen immer wieder extreme Stürme an. Luftmassen aus Nord- und Westeuropa strömen knapp unter 3.000 Meter Seehöhe fast ungebremst an den Berg und werden gehoben. Oft gibt es starke Verwirbelungen mit anderen Lüften aus der nahen Südwand – tausend Meter über der steirischen Ramsau und noch viel höher über dem Ennstal. Diese Winde schießen dann genau beim Torstein um die Ecke.
Die Folgen sind Kondensation, Nebel, Wolkenbildung, starke Niederschläge, bizarre Verwehungen und Verfrachtungen im Windschatten der Kämme und Grate (Lee). Dazu kommen eine – auch derzeit wieder weithin ins Land sichtbare – Vereisung und starke „Windgangeln“ (Sastrugis). Sie überziehen das Massiv mit ihrem Zuckerguss und lassen lebensfeindliche Härten der hochwinterlichen Wildnis idyllisch erscheinen.
„Diese Berge verkleiden sich als sanfte Riesinnen, die gleich heiraten wollen“, sagte dazu eine nach Niederösterreich ausgewanderte Bergsteigerin aus Salzburg.
Ähnlich sieht das die Gosauer Alpinistin Anna Spielbüchler, die in Wien arbeitet. Das Mikroklima sei auf dem Torstein zu allen Jahreszeiten eine eigene Welt: „Das mit den Winden, dem Nebel und der Kondensation kann ich nur bestätigen. Wir waren oft bei widrigsten Bedingungen da oben, obwohl rundherum die Sicht frei und das Wetter schön war.“
ORF-Kollege Hörhager: „Die Kälte sehen“
Der oberösterreichische Sportreporter, beliebte Radiomoderator, Volksmusikspezialist und Alpinist Heinz Hörhager aus dem ORF-Landesstudio in Linz ist gebürtiger Gosauer und am Fuße des Torsteins aufgewachsen – fast in Griff- und Sichtweite, wie er schmunzelt:
„Das sind herrliche Fotos von Montagabend! Auch als Einheimischer habe ich solche Bilder bisher noch nie gesehen. Man entdeckt das wohl nur aus der Luft, was die Stürme und das schöne Licht da oben treiben. Und man kann die Kälte sehen und spüren.“
Filzmoos als Startpunkt für beide Massive
Der Torstein liegt am westlichen Ende an der Südkante des riesigen Dachsteinplateaus. Nach Norden, Südosten, Südwesten und Westen hin gibt es lange Grate, auf denen zum Teil schwierige Anstiegsrouten verlaufen.
Nächstgelegene Siedlung ist nicht Gosau im grenznahen Oberösterreich, sondern südwestlich das Bergdorf Filzmoos im Salzburger Pongau – nur etwa fünf Kilometer Luftlinie entfernt, jedoch fast 2.000 Meter tiefer. Die Gemeinde dient im Sommer und Herbst als guter Ausgangspunkt für Touren zur Hofpürglhütte und auf die Große Bischofsmütze (2.458 Meter), den höchsten Punkt des Gosaukammes. Auch hier haben Schneestürme in den letzten Tagen ihre Spuren hinterlassen.
Gosaukamm mit Bischofsmütze – aktuelle Fotos von Montagabend:
Lieblingsgegend des berühmten Paul Preuß
Der Gosaukamm gilt unter hervorragenden Bergsteigern als Paradies für Ski- und Klettertouren. Erstbesteiger der Bischofsmütze waren der steirische Bergführer Johann Schrempf (auch bekannt als Auhäusler) und Johann Steiner – am 28. Juni 1879 über die Nordschlucht. Ende des 19. Jahrhunderts waren die bekanntesten und höchsten Gipfel des Gosaukammes alle erstiegen. 1903 fand Gustav Jahn einen eindrucksvollen Weg durch die Südwand der Bischofsmütze, der noch heute viele begeistert und nicht zu schwierig ist.
Der besonders steile, schwierige und aus der Sicht von Laien fürchterlich ausgesetzte Däumling wurde als letzter Gipfel der Region erstbestiegen. Der berühmte Wiener Extremkletterer Paul Preuß – der als Jude auch viele antisemitische Neider hatte – und sein Seilkamerad Günter von Saar standen im September 1913 als Erste auf dem markanten Felsturm. Noch im selben Jahr stürzte Preuß free solo (als ungesicherter Alleingänger) bei der Erstbesteigung an der Mandlkogel-Nordkante im Gosaukamm tödlich ab. Den Gipfel soll er souverän erreicht haben und beim Abklettern verunglückt sein. Neben dem Gesäuse in der Steiermark war der Wiener besonders gern im Dreiländereck des Salzkammergutes unterwegs. Preuß war auch ein guter Skibergsteiger.