Salzburger Festspiele mit coronabedingt leerer Hofstallgasse
ORF.at/Georg Hummer
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Kultur

Festspielprogramm: „Sommer der Revolte“

Die Salzburger Festspiele haben Mittwoch ihr Programm für den Sommer 2024 präsentiert. Als erste große Opernpremiere ist eine neue Version von Romeo Castelluccis „Don Giovanni“ aus dem Jahr 2021 geplant. Das gut mit Steuergeld dotierte Festival will sich im kommenden Jahr der „Revolte gegen bestehende Systeme“ widmen.

Außerdem stehen mit „Der Spieler“ und „Der Idiot“ gleich zwei Vertonungen von Texten des russischen Schriftstellers Fjodor Dostojewski auf dem Opernprogramm. Im Bereich Schauspiel kommen unter anderem Werke von Stefan Zweig, Thomas Mann, aber auch eine Neufassung der antiken „Orestie“.

„Revolte“ als roter Faden

Roter Faden durch das Programm seien immer gültige Archetypen und eine Revolte gegen bestehende Systeme, sagte der künstlerische Leiter der Salzburger Festspiele, Markus Hinterhäuser: „Alle Opernprotagonisten haben mit dieser Revolte zu tun. Don Giovanni, der Spieler, der Idiot oder auch Hoffmann in ‚Hoffmanns Erzählungen‘ sind alles Menschen, die eine Art von Auflehnung gegen diese Welt vollführen – mit der sie nicht zurechtkommen und in der sie sich nicht zurechtfinden.“

Die Salzburger Festspiele starten am 19. Juli 2024 mit der Ouverture spirituelle und zeigen 172 Aufführungen an 15 Spielstätten bis 31. August.

Hinterhäuser verweist auf „Spieler“

Die Protagonisten der Opern seien Menschen, „die eine Art von Auflehnung gegen diese Welt vollführen“, so Intendant Hinterhäuser. Neben der Neueinstudierung von Wolfgang Amadeus Mozarts „Don Giovanni“ stehen unter anderem mit „Der Idiot“ und „Der Spieler“ zwei Opern auf dem Spielplan, für die Romane von Dostojewski als Vorlage dienten.

„Die Frage nach der Existenz im Werk von Dostojewski wird in so einer Dringlichkeit gestellt, dass sie nur zu extremen Lösungen führen kann“, sagte Hinterhäuser über seine Auswahl: „Der Spieler ist ein Phänomen, das uns jeden Tag begegnet.“

Auch Benko muss herhalten

Rene Benko sei ein solcher Spieler, er habe nicht nur mit seiner eigenen Existenz gespielt, sondern viele andere mitgerissen, so der Festspielintendant.

Inszeniert wird Sergej Prokofjews „Der Spieler“ von Peter Sellars, Timur Zangiev hat die musikalische Leitung. „Der Idiot“ – vertont von Mieczyslaw Weinberg – erzähle von einer Utopie des neuen Menschen, so Hinterhäuser. Mirga Grazinyte-Tyla dirigiert die Wiener Philharmoniker, Krzysztof Warlikowski führt Regie.

„Don Giovanni“ wird auf das Heute projiziert

Eine Wiederbegegnung gibt es im Großen Festspielhaus mit der vor zwei Jahren entstandenen Inszenierung des „Don Giovanni“. Das Team Castellucci und Teodor Currentzis bleibe gleich. „Meine tiefe Überzeugung ist, dass das, was wir vor zwei Jahren erlebt haben, eine große Auseinandersetzung mit dem Mythos Don Giovanni ist“, sagte Hinterhäuser. Don Giovanni sei ein Protagonist, der eine innere Revolte vollführe. Er rase mit Empathielosigkeit in den Tod. Die zweite Oper im Großen Haus ist Jacques Offenbachs „Les Contes d’Hoffmann“.

Die französische Regisseurin Mariame Clement führt Regie, Marc Minkowski dirigiert die Wiener Philharmoniker. Hoffmann sei „ein passiver, ein schwärmerischer Held, der sich auf dem brüchigen Eis des Realen und des Irrealen bewegt“.

Revolte, wohin man schaut und hört

Dem Leitgedanken der Revolte folgen auch drei der insgesamt fünf konzertanten Opernproduktionen: „Koma“ von Georg Friedrich Haas erzähle von der Gefangenschaft im eigenen Körper, „Begehren“ von Beat Furrer spüre dem Mythos von Orpheus und Eurydike nach, und Luigi Dallapiccolas „Il prigioniero“ sowie Luigi Nonos „Il canto sospeso“ stellen Gefangenschaft und die sich nicht erfüllende Hoffnung auf Freiheit ins Zentrum, kündigte Hinterhäuser an. Die Wiederaufnahme von „La clemenza di Tito“ von den Pfingstfestspielen sowie die konzertanten Aufführungen von Ambroise Thomas’ „Hamlet“ und Richard Strauss’ „Capriccio“ komplettieren das Opernprogramm.

„Beziehung zur Transzendenz“

Sie habe ihr erstes Programm in drei Kapitel gegliedert, sagte die neue Schauspielchefin Marina Davydova. Es gehe um die Beziehung des Menschen zur Transzendenz, zur Geschichte sowie zu seinem Körper und Geist. In das erste Kapitel fallen die Auseinandersetzung des polnischen Regisseurs Krystian Lupa mit Thomas Manns „Zauberberg“. Lupa habe einen anderen Stil, als man vom deutschen Theater gewohnt sei, kündigte Davydova an. Er ist erstmals mit einem Stück bei den Festspielen zu Gast. Nicolas Stemann – er hat 2011 den „Faust“-Marathon und 2009 Friedrich Schillers „Die Räuber“ bei den Festspielen gezeigt – kehrt mit „Die Orestie“ nach Aischylos, Sophokles und Euripides auf die Perner-Insel in Hallein zurück.

Neue Tanzstücke

Erstmals in Salzburg ist der Schweizer Regisseur Thom Luz zu sehen, der eine von ihm kreierte Fassung von Stefan Zweigs „Sternstunden der Menschheit“ zeigen wird. Er sei bekannt für seine „visuell-musikalischen Fantasien“. Spannend und interaktiv werde eine Begegnung der Tänzerinnen und Tänzer der Sasha Waltz & Guests Compagnie mit Stefan Kaegi von Rimini Protokoll beim Stück „Spiegelneuronen“, kündigte Davydova an. Ein weiteres Tanzstück ist „Ein Mittsommernachtstraum“ des Schweden Alexander Ekman, der ebenfalls erstmals bei den Festspielen zu Gast ist.

Kooperation mit Kulturhauptstadt Bad Ischl

Eine Kooperation mit der Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut gibt es bei Heiner Goebbels „Everything that happened and would happen“, erläuterte die Schauspielchefin. Ein großes Anliegen sind ihr die Lesungen: Ex-Jedermann Michael Maertens wird aus Briefen von Alexej Nawalny aus dem Gefängnis lesen. Sie sei ein großer Fan von Maertens und habe ihn ins Programm integrieren wollen, sagte Davydowa. Ob das vor oder nach der Jedermann-Ausladung war, ließ sie offen. Botho Strauß’ jüngstes Stück „Saul“ wird von Jens Harzer und Marina Galic vorgetragen. Davydowa versprach keine statische Lesung, sondern „ein Event“.

„Keine Grenze bei Kreativität“

Die Festspiele hätten Davydowa geholt, um das Schauspielprogramm zu internationalisieren, bekräftigte Hinterhäuser die Neuausrichtung im Theater. „Es gibt keine Grenzen im großen Feld der Kreativität, bin ich persönlich überzeugt. Ich suche interessantes Theater und nicht nach Regisseurinnen und Regisseuren aus bestimmten Ländern. Wenn ich sie in Argentinien finde, versuche ich, sie nach Salzburg zu holen“, meinte die neue Schauspielchefin, die auch weiterhin Tanz als zusätzliches Standbein ausbauen will.

Schönberg-Schwerpunkt bei Konzerten

Im Konzertprogramm kündigte Konzertchef Florian Wiegand einen Schwerpunkt zu Arnold Schönberg an, dessen Geburtstag sich 2024 zum 150. Mal jährt. Schönberg werde von manchen nach wie vor als problematisch eingestuft, meinte Wiegand: „Wir halten ihn für viel zu wichtig, um einen Bogen um ihn zu machen.“ In der Reihe „Zeit mit Schönberg“ werden Werke aller Schaffensperioden präsentiert, um diesen einflussreichen Komponisten zu würdigen. Die Ouverture spirituelle steht unter dem aus dem Credo entlehnten Motto „Et exspecto“ und wird mit der „Matthäus-Passion“ unter Currentzis eröffnet. Neben den Konzerten der Wiener Philharmoniker und der zahlreichen Gastorchester wird es auch eine Fortsetzung der neuen Reihe „Kleine Nachtmusiken“ mit Abenden zu Johann Sebastian Bach, Mozart und Franz Schubert geben. Ein besonderes Highlight des Mozart-Abends: „Wir dürfen das Originalklavichord von Mozart nützen“, sagte Wiegand.