Obdachlos
APA/dpa/Barbora Prekopova
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Soziales

Obdachlose Frauen können kaum Hilfe annehmen

Im Juni startet in der Stadt Salzburg eine Befragung, die gezielt die Bedürfnisse obdachloser Frauen erheben soll. Viele leiden auch an schweren Krankheiten der Seele. Die Versorgung sei mangelhaft, sagen Fachleute, weil viele dieser Frauen nicht auf bestehende Angebote zurückgreifen. Nun sucht man neue Strategien.

Eine Auswertung der Statistik Austria zeigt, dass langjährige Wohnungslosigkeit bei psychischer Krankheit mit einer stark verkürzten Lebensdauer verbunden ist.

Viele haben Angststörungen

„Derzeit wissen wir nicht, wie wir diese Frauen unterbringen sollen“, sagt Petra Geschwendtner vom Forum Wohnungslosenhilfe: „Die vorhandenen Versorgungsstrukturen greifen für sie nicht. Nicht, weil sie diese nicht annehmen wollen, sondern weil sie diese nicht annehmen können.“

Den meisten würden Krankheitseinsicht und Sozialkontakte fehlen, zudem bestehe häufig auch keine Bereitschaft zur Teilnahme an Hilfsprojekten: „Viele der betroffenen Frauen sind wahnhaft krank und haben Angststörungen“, erklärt Paul Weidinger, leitender Sozialarbeiter an der Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Salzburg. Grundsätzlich wären stationäre Aufenthalte zur Behandlung empfehlenswert: „Ohne Zustimmung der Patientinnen geht das nur bei akuter Fremd- oder Selbstgefährdung. Darum braucht es spezielle Angebote.“

Obdachlosigkeit verstärkt vorhandene Probleme

Über die psychischen Krankheiten obdach- und wohnungsloser Menschen ist wenig bekannt. Studien zu dem Thema sind rar. Vermutet wird, dass Wohnungslosigkeit nicht unmittelbar psychische Krankheiten auslöst, akute soziale Probleme aber die Symptome bestehender Leiden verstärken.

Der sogenannten SEEWOLF-Studie aus München zufolge berichten 66 Prozent der befragten Wohnungslosen von schon jahrelang bestehenden psychischen Erkrankungen, bei weiteren 13 Prozent fielen die erste Behandlung und Wohnungslosigkeit ins selbe Jahr.

Paranoia, Schizophrenie, Depressionen

Neun von zehn Befragten hatten mindestens einmal im Leben eine psychische Störung, bei vier von zehn lagen drei oder mehr psychiatrische Diagnosen vor. Bei den Leiden dürften insgesamt Suchterkrankungen dominieren. „Acht von zehn Männern und neun von zehn Frauen waren laut einer Untersuchung alkoholkrank“, berichtet Sozialarbeiter Weidinger. Bei einem Drittel der Frauen sei auch eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert worden: „Bei den Männern war das nur gut bei einem Zehntel der Fall.“ Auch der Anteil Wohnungsloser mit Depressionen lag bei Frauen klar höher als bei Männern.

Genaue Daten nicht vorhanden

2019 wurden bei einer Vorerhebung 43 obdachlose Frauen dokumentiert. „Von den Patientinnen, die man bei den Einrichtungen der Caritas oder beim Vinzibus kennt, kennen wir in der Klinik nur einen Teil“, sagt der Sozialarbeiter: „Vermutlich ist nur eine Minderheit in ärztlicher Behandlung.“ Viele der Frauen pendeln zwischen kurzzeitigen Aufenthalten in der Klinik, Privatzimmern, Notschlafstellen und prekären Unterkünften wie Abbruchhäuser, Hauseingänge oder Altpapiercontainer. „Die kommen wo unter, bald darauf tauchen sie aber wieder ab.“

Angst vor anderen Menschen

Die Unterbringung gemeinsam mit anderen Wohnungslosen in Obdachlosen-Unterkünften funktioniere nur bedingt und auf kurze Zeit, sagte Weidinger: „Viele, die lange obdachlos waren, haben Angst vor anderen Leuten. Die wollen nicht in so ein Quartier. Auch für psychisch Gesunde ist eine Notschlafstelle unangenehm, erst recht für Kranke.“

Beim Forum Wohnungslosenhilfe wünscht man sich möglichst niederschwelligen Zugang: „Eine Wohnmöglichkeit mit so wenig Anforderungen wie möglich, ohne Anträge und Behördenkontakt, von der öffentlichen Hand finanziert“, betont Petra Geschwendtner: „Es gehe um Schutz und Privatsphäre, zugleich muss man diese Frauen so lassen, wie sie sind. Das braucht einen langen Atem und viel Zeit.“

Sinnvoll seien Modelle wie Housing First oder teilbetreutes Wohnen, vor allem aber eine begleitende psychiatrische Betreuung. „Eigentlich wäre für jede Frau eine individuelle Lösung nötig.“

Viel geringere Lebenserwartung

Wie wichtig professionelle Hilfe sei, zeige auch eine Analyse der Statistik Austria aus dem Jahr 2017. Demnach haben Frauen, die in zwei aufeinanderfolgenden Jahren zeitgleich von mehreren sozialen Problemlagen betroffen sind, eine um neun Jahre verkürzte Lebenserwartung. Wohnungslosigkeit gilt dabei als zentraler Risikofaktor. Die aktuelle Erhebung wird von Stadt und Land Salzburg finanziert. Sie richtet sich an Sozialarbeiter mit regelmäßigem Kontakt zu den Frauen. Ergebnisse über Anzahl und Bedürfnisse werden Ende August erwartet. Dann sollen neue Strategien entwickelt werden, um den Frauen zu helfen.