Rohbauten von Chalets an verschneitem Hang
ORF
ORF
Politik

Raumordnung: Bürgermeister „nicht die Richtigen“

Angesichts von immer mehr Chalet-Bauprojekten in Salzburg fordert der Naturschutzbund, dass die Raumordnungskompetenz von den Gemeinden auf eine „höhere Ebene“ verlagert werden soll. Bei den Bürgermeistern sei die Raumordnung „nicht in der richtigen Hand“.

Salzburgs Naturschutzbund-Vorsitzender Winfrid Herbst formulierte die Kritik Donnerstagabend in der ORF-Sendung „Am Schauplatz“. Anlass ist das umstrittene „Six Senses“-Chaletdorf am Pass Thurn bei Mittersill (Pinzgau). Es ist nur eines von vielen ähnlichen Luxusbauprojekten in dieser Region – viele Investoren aus Kitzbühel drängen dort auf lukrative Chaletdörfer.

„Weitreichende Entscheidungen nicht mehr tolerabel“

Zwar stehen die Bauarbeiten für das „Six Senses“-Luxusalpindorf seit dem ersten Lockdown heuer im März – die angepeilte Eröffnung 2021 wird damit wohl nichts. Doch die Debatte über das Projekt führte Herbst gegenüber „Am Schauplatz“ zu diesem Resümee: „Ich bin zuallererst zur dringlichen Überzeugung gekommen, dass die Raumordnungskompetenzen bei Bürgermeistern österreichweit eigentlich nicht in der richtigen Hand sind. Es gehört unbedingt auf eine höhere Ebene verlegt. Denn die weitreichenden Entscheidungen, die hier zum Wohl oder Weh der Landschaft getroffen werden, die sind nicht mehr tolerabel.“

Für Winfrid Herbst ist es unverständlich, welche Projekte am Pass Thurn von den Bürgermeistern und den Gemeindevertretungen abgesegnet wurden. Bei einem anderen neuen Chaletdorf bei dem Pass stehen jetzt die ersten Häuser – zehn weitere werden an einem Steilhang noch errichtet.

Werbeplaket für Apartementanlage (Chalets) im Nebel
ORF
Durch die vielen Chalets werde das „Landschaftsbild desaströs verändert“, sagt der Naturschutzbund

Behörden „schauen weg“

„Ich halte das wirklich für einen brutalen Ausverkauf der Heimat“, betonte der Naturschutzbund-Vorsitzende. „Wir haben da drüber (auf der anderen Seite des Salzachtals – Anm.) den Nationalpark Hohe Tauern und der wird vermarktet wirklich bis zum Letzten. Man scheut sich nicht, bisher unbesiedelte oder durch einzelne Bauernhöfe dünn besiedelte Gebiete zu einem quasi-Dauersiedlungsraum zu machen und das Landschaftsbild damit wirklich desaströs zu verändern.“

Die Behörden „schauen weg und haben nicht die Übersicht“, kritisiert der Naturschutzbund-Vorsitzende. „Und eine Politik, die wirklich auf Grund der Machterhaltung an der Verteilung der Kompetenzen in der Raumordnung festhält.“

Bauboom am Pass Thurn

Am Pass Thurn entsteht aktuell ein Großprojekt nach dem anderen. Dabei waren dort bisher größtenteils landwirtschaftliche Flächen, die laut Grundverkehrsgesetz nur Bauern erwerben dürfen. Im Pinzgau hat laut „Am Schauplatz“-Informationen allein ein lokaler Bauunternehmer in den letzte Jahren 500 Hektar Agrarfläche erworben, um dort zu bauen.

Pass Thurn mit Schnee
ORF
Der Pass Thurn ist für Chaletprojekte derzeit besonders gefragt

Der Raumordnung-Landesrat Josef Schwaiger (ÖVP) schrieb an die „Am Schauplatz“-Redaktion, „dass es noch gezieltere Festlegungen im Gesetz braucht, an denen gerade gearbeitet wird – mit dem Ziel, landwirtschaftliche Flächen für die heimische Landwirtschaft zu sichern“.

Gondelbahn-Anschluss 2005 als Initialzündung

Der Bauboom am Pass Thurn begann mit dem Bau der Gondelbahn 2005, die den Pass mit dem Kitzbüheler Skigebiet verbindet. Der Verkauf von Apartments sollte die Bahn mitfinanzieren. An der Grenze zu einem geschützten Hochmoor – dem Wasenmoos – entsteht deshalb aktuell das „Six Senses Kitzbühel Alps“-Luxuschaletdorf. Insgesamt sollen an dem Pass, der den Oberpinzgau mit Kitzbühel verbindet, aktuell sogar 20 Projekte geplant sein.

Karin Dollinger, SPÖ-Umweltsprecherin im Salzburg Landtag, sagt, dass nirgendwo in Salzburg so viel gebaut werde wie im Pinzgau – und die Projekte würden unter großer Verschwiegenheit vorbereitet: „Die Bevölkerung bekommt das immer erst dann mit, wenn Bäume gerodet werden oder die Baukräne auffahren“, sagt Dollinger.

Am Schauplatz: Betongold der Alpen

Warum die schönsten Plätze in Österreichs Bergen zubetoniert werden und warum die Politik diesem Bauboom oft machtlos gegenübersteht. In den österreichischen Alpen entstehen immer mehr Luxusimmobilien für Reiche – die besten Lagen werden verbaut. Ein Ferienhaus oder ein Chalet steht vor allem bei vermögenden EU-Bürgerinnen und Bürgern hoch im Kurs. Gekauft wird nicht um dort länger zu wohnen, es geht vor allem um eine möglichst gewinnbringende Investition.

„Überall wird gebaut“

Den Mittersiller Altbürgermeister Walter Reifmüller (SPÖ) ärgert, dass die Projektentwickler vom unbezahlbaren Kitzbühel jetzt über den Pass Thurn nach Mittersill ausweichen. „Wenn man heute im Oberpinzgau schaut – von Krimml bis Zell am See – überall wird gebaut und überall Zweitwohnsitze. Die Preise steigen ins Horrende. Einheimische können bald nicht mehr bauen.“

Dass die Bürgermeister nicht dagegen machen könnten, sei „nicht wahr“, betont Reifmüller: „Warum haben wir das damals nicht zugelassen? Wenn die Gemeindevertretung sich einig ist und nicht widmet, dann brauche ich nicht das Land Salzburg dazu. Das liegt rein bei der Gemeinde. Wenn wir sagen ‚Wir wollen das nicht‘, dann gebe ich keine Zustimmung und das Thema ist vom Tisch.“

„Kaufen, um an Touristen zu vermieten“ als Erfolgsmodell

Ein Beispiel für das Investorenmodell „Buy to let“ – also „Kaufe, um zu vermieten“ ist das Haus „24 by Avenida“ in Kaprun (Pinzgau). Die niederländisch Firma Avenida war eine der ersten, die in Österreich mit diesen Investorenmodellen begann. Das Geschäft könnte nicht besser laufen, sagte der Hotelmanager Christoph Mazur zum „Am Schauplatz“-Team. So koste ein Penthouse-Apartment mit etwas über 100 Quadratmetern rund eine Millionen Euro „reinen Kaufpreis“, erzählte Mazur. „Das ist ordentlich, aber gut investiert.“

Balkon eines Luxus-Apartements im Regen – mit Badewanne am Holzbalkon
ORF
Die Luxus-Apartements werden von Privaten oder Firmen gekauft – und dann über Jahre an Touristen vermietet

Die Häuser von Avenida seien über Investoren finanziert – „sowohl Einzelpersonen als auch Firmen“, sagte der Hotelmanager. „Die kaufen unsere Einheiten und übergeben sie uns für die Vermietung. Die Eigentümer erhalten ihren Profitanteil – das ist die Rendite von der Vermietung im Jahr, die sie ausgezahlt bekommen. Das ist ein sehr gutes Geschäft. Wir reden über Renditen von drei bis vier Prozent garantiert für die Eigentümer. Und sie können ihr Apartement auch teilweise selber nutzen im Jahr.“ Konkret sind das zwei Wochen im Jahr in der Nebensaison – aber da müsse eine Ortstaxe und auch eine Endreinigungsgebühr gezahlt werden, so der Hotelmanager. Somit läuft das Ganze unter touristischer Nutzung und nicht als Zweitwohnsitz. Denn diese dürfte es laut Gesetz gar nicht mehr geben.

Zweitwohnsitze nach Ablauf der Verträge

Mitten in Wohngebieten entstanden auf diese Weise in den letzten Jahren in Kaprun oder Zell am See unzählige Investorenmodelle. Das Konzept war immer das gleich: Ein Unternehmen errichtet ein Hotel und parifiziert es, sodass jede einzelne Wohneinheit im Grundbuch einen eigenen Eigentümer haben kann. Danach werden die Einheiten einzeln an Investoren verkauft. Über Betreiberfirmen müssen dann die Wohnungen an Touristen vermietet werden. Vertraglich sind diese Verträge auf zehn bis 15 Jahre abgeschlossen. Nach Ablauf dieser Verträge werden die Apartments zu Zweitwohnsitzen.

Kennzeichnungspflicht seit heuer

Viel zu lange habe die Landesregierung hier nichts unternommen, sagte der Zeller Bürgermeister Andreas Wimmreuter (SPÖ) zum „Am Schauplatz“-Team. Aber seit 1. Jänner 2020 gibt es wenigstens eine Kennzeichnungspflicht für solche Projekte.

„Das geht immer nach dem gleichen Schema: Die Investoren stellen das ins Internet, bevor sie den Grund erwerben, und schauen, wie sie das verwerten können – auch oft, bevor der Projektentwickler überhaupt im Besitz des Grundstücks ist“, sagte Wimmreuter. „Zuerst wird das beworben, dann wird geschaut, wie viele Apartements ich zu welchem Preis verkaufen kann. Das schlägt sich dann natürlich auch auf den Grundstückspreis nieder. Dadurch ziehen die Grundstückspreise auch für die einheimische Bevölkerung nach.“ In Zell am See „werden wir diese Art der Nutzung auf keinen Fall mehr genehmigen“, betonte Wimmreuter.