Salzburg war im Vergleich der meisten Alpenregionen heuer eine Ausnahme, betont die junge Glaziologin Andrea Fischer: „Die Tauerngletscher sind im kühleren Sommer heuer wesentlich besser ausgestiegen als die meisten anderen Gletscher Österreichs. Es gab zuerst viel Schnee im Herbst 2019. Der hat dazu beigetragen, dass Salzburgs Eismassen der Hohen Tauern in Sommer und Herbst 2020 wesentlich später ausgeapert sind.“
Sand, Staub, Geröll beschleunigen Schmelze
Jetzt im Spätherbst hat es schon vor einigen Wochen so weit oben schon wieder zugeschneit. Dennoch gebe es auf lange Sicht wenig Hoffnung für die Gletscherwelten Europas, ist Andrea Fischer überzeugt.
Die meisten Luftbilder unserer Galerie wurden im Spätsommer, Früh- und Spätherbst 2020 fotografiert, ehe es im Hochgebirge wieder komplett zuschneite. Bei einigen kam über Kapruner- und Stubachtal sowie über der Glockner-Hochalpenstraße aus der Entfernung ein Super-Tele zum Einsatz – um im Nahbereich des Nationalparks Hohe Tauern die Flugverbotszone nicht zu verletzen. Am Ende der Galerie folgen noch Bilder vom Großvenediger im vergangenen Frühling
Als Beispiel nennt sie den Gosaugletscher auf dem Dachstein, der durch Steinschlag, Staub und Sand von Jahr zu Jahr schmutziger und dadurch noch anfälliger für Wärme werde. 2013 war sie Wissenschafterin des Jahres in Österreich. Fischer leitet das Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung in Innsbruck und ist korrespondierendes Mitglied von Österreichs Akademie der Wissenschaften.
Team aus mehreren Disziplinen
Ihr Team arbeitet auch in Salzburg, Steiermark und Oberösterreich an hochalpinen Forschungsprojekten, die sich über lange Zeiträume erstrecken. Dabei kooperieren die Forscher auch mit Kollegen der Universität Salzburg und des Hydrographischen Dienstes sowie der Firma Bluesky.
Die gebürtige Tirolerin Fischer hat familiär auch einige Salzburger Wurzeln in St. Johann (Pongau): „Nehmen wir als Beispiel das Sonnblickkees auf dem Stubacher Sonnblick im Oberpinzgau. Bei diesen mittlerweile relativ kleinen Gletscher hat sich das Eis auch ganz oben schon so weit ausgedünnt, dass jeder Meter Schmelze nun dazu führt, dass der Untergrund frei liegt.“
Immer mehr Wärmebrücken durch Felsen
Es würden auch bei früher sehr dicken Gletscherzungen nun immer mehr Felsfenster sichtbar, betont die Expertin: "Dazu kommt immer mehr Schutt. Und nun zählen da wirklich jeder Meter Eis und jedes Jahr. Früher wurden die Gletscher halt vertikal ein wenig dünner. Aber nun sind wir in einer ganz anderen Phase. Jeder Massenverlust ist mittlerweile auch horizontal ein massiver Flächenverlust.“
Und immer mehr freiliegende Felsen würden in der Sonne wie Wärmekissen wirken: „Sie verstärken die Abschmelzung immer mehr.“
Die Forscher kämpfen mittlerweile auch gegen eigene Geld- und Materialverluste, weil zusammenbrechende Gletscherzungen und Geröllmassen immer wieder auch Messsonden und automatisierte Geräte zerstören, erzählt die Wissenschafterin. Seit dem besonders heißen Sommer des Jahres 2003 – also seit 17 Jahren – beobachten die Teams, dass es seither kaum noch sommerliche Kälteperioden gab, wie sie früher ganz normal waren – mit Neuschnee in Juli oder August bis in höhere Tallagen. Das sei ein perfekter Schutz für die Eismassen gewesen, sagt Fischer.
Fischer verweist auf den berühmten Gletscher auf der Nordwestseite des Dachsteins. Der war seit Jahrhunderten auch vom Umfeld der Stadt Salzburg und aus dem Südosten Bayerns immer bestens zu sehen:
„Der Gosaugletscher ist seit alten Zeiten bekannt für dieses wunderbare Schimmern von Schnee und Eis von fern her. Es gibt viele klassische Ansichten mit dem Gosausee davor. Dazu kommen sehr wertvolle Gemälde aus früheren Jahrhunderten, auf denen dieser zauberhafte Gosaugletscher die Gipfel des Massivs ziert. Ja, ziert, das muss man so sagen. Und es ist auch ein schönes Beispiel für Gletscher als Elemente im Landschaftsbild.“
„Eis wird großflächig immer grauer“
Und genau diese wunderbaren Gletscher, die auch die Kunst über Jahrhunderte geprägt haben, würden nun ihr Erscheinungsbild nachhaltig und grundlegend ändern, so die Forscherin. Die Eisflächen werden großflächig immer grauer, weil von oben her kaum noch Nachschub von Eis kommt. Daneben stürzt viel Geröll und Schutt auf die Eismassen.
Die dunkleren Oberflächen können die Abschmelzgeschwindigkeit sogar verdreifachen, sagt Andrea Fischer: „Man beschreibt das international auch mit dem Begriff ‚dark mountains‘ – diese dunklen Berge, wo grauer Staub und Schutt diese oben früher weithin gleißenden Schnee-, Firn- und Eisschichten ersetzen. Der Gletscher wird dann oberflächlich immer noch dunkler und anfälliger als Wärmespeicher, er wird in Einzelteile zerfallen. Das ist der Anfang vom Ende. Dieser Prozess kann aber beim Gosaugletscher noch mehrere Jahrzehnte dauern.“