Nach dem Tod eines 17 Monate alten Kleinkindes nach einem kleinen Eingriff im April 2018 in den Salzburger Landeskliniken (SALK) müssen sich heute, Mittwoch, 11. Dezember 2019, zwei Ärzte wegen grob fahrlässiger Tötung bei einem Prozess am Landesgericht Salzburg verantworten. Im Bild:  Ein Angeklagter vor Beginn des Prozesses. – FOTO: APA/VERA REITER
APA/Vera Reiter
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Gericht

Prozess im Fall David: Ärzte weisen Schuld von sich

Beim Salzburger Landesgericht hat Mittwoch der Prozess im Fall David begonnen. Dabei geht es um einen 17 Monate alten Buben, der vor eineinhalb Jahren in den Landeskliniken gestorben ist. Die angeklagten Ärzte verteidigen ihr Vorgehen. Der Prozess wurde vertagt.

Das Gericht vertagte sich auf unbestimmte Zeit. Die Gutachten der Sachverständigen sollen beim nächsten Termin erörtert werden. Dieser steht noch nicht fest.

Was geschah beim Prozess am Mittwoch?

Vor allem dem Chirurgen war die Betroffenheit über den tragischen Tod von David anzumerken. Die Verteidiger sprachen im Namen ihrer Mandanten großes Bedauern aus. Eine Schuld gestanden sie bisher nicht ein. Die OP sei „lege artis“ (nach den Regeln der ärztlichen Kunst, Anm.) durchgeführt worden, hieß es. Das Risiko eines Einatmen von Erbrochenem bei der angewandten Narkose Sedoanalgesie sei bei nüchternen und nicht nüchternen Patienten gleichermaßen gering, wurde seitens der Verteidigung erklärt.

Anklage: „Operation zu früh durchgeführt“

Die Staatsanwältin warf den bisher unbescholtenen Angeklagten aber Behandlungsfehler am Abend des 16. April 2019 vor. Obwohl die Eltern darauf hingewiesen hätten, dass der kleine David zu Hause noch Joghurt und Früchte bis etwa 19.00 Uhr gegessen habe und damit die Sechsstundenfrist für eine erforderliche Nüchternheit im Fall einer Narkose nicht eingehalten worden sei, sei das Kind um 21.00 Uhr operiert worden.

Der erstangeklagte Chirurg habe zu wenig lang und zu wenig intensiv versucht, die kleine Blutung an der Wange des Kindes mit konservativen Maßnahmen zu stillen, sagte die Staatsanwältin. Laut dem Sachverständigengutachten hätten dazu 15 bis 30 Minuten gereicht: „Die Operation wurde zu früh durchgeführt.“

Dass der Patient nicht nüchtern war, lastete die Staatsanwältin auch dem zweitangeklagten Anästhesisten an. Zudem habe er während des Eingriffes das Narkosemittel Propofol überdiagnostiziert. Es sei es zum Erbrechen des Patienten und einer Aspiration gekommen: „Der Sauerstoffmangel im Gehirn war so groß, dass er daran gestorben ist.“

Beschuldigter Chirurg verweist auf seine Erfahrung

Der Verteidiger des Chirurgen, Rechtsanwalt Helmut Hüttinger, hielt den Strafantrag für „nicht gerechtfertigt“. Diese Art des bei David durchgeführten Narkoseverfahren könne auch bei nicht nüchternen Kindern durchgeführt werden. Der Angeklagte sagte dazu, in seiner 27 Jahre langen Tätigkeit als Kinderchirurg in den Salzburger Landeskliniken sei die Sedoanalgesie laufend bei Kindern durchgeführt worden, es sei zu keiner Aspiration gekommen. Deshalb habe er auch dem Vorschlag des Narkosearztes im Fall David zugestimmt.

Auf die Frage der Staatsanwältin, warum das Thema der Nüchternheit so wichtig sei vor einer OP, antwortete der Chirurg, bei einer Vollnarkose seien ihm die sechs Stunden Nüchternheit bekannt, bei einer Sedoanalgesie sei das im Haus anders praktiziert worden: „Wir haben gesehen, es ist gut gegangen – bis zu dem fürchterlich tragischen Fall. Es tut mir unendlich leid.“

Zweiter Arzt verweist auf Schweizer Studie

Der zweitangeklagte Anästhesist, der seit 2008 in den SALK beschäftigt war und im Prozess von Rechtsanwalt Martin Schuppich vertreten wird, verwies auf eine Studie aus der Schweiz. Zwei Stunden nach der letzten Nahrungsaufnahme könne bei Kindern auch das im Fall David angewandte Narkoseverfahren durchgeführt werden. Das Aspirationsrisiko sei sehr selten: „Sechs Stunden ist fast nicht machbar bei einem Kind in der Größe.“ Nachdem ein massiver Sauerstoffsättigungsabfall bei dem Kind festgestellt worden war, wurde es beatmet. Für ihn sei es schlüssig, dass es zu einem Stimmritzenkrampf und dann zu einer Aspiration gekommen sei: „Eine primäre Aspiration kann ich aber nicht ausschließen.“

Richterin arbeitete sich akribisch ein

Beide Ärzte verneinten die Frage von Richterin Gabriele Glatz, die sich akribisch in den Akt eingearbeitet hatte, ob eine Operation des Buben zu diesem Zeitpunkt dringend notwendig war. Es sei kein absoluter Notfall gewesen. Der Chirurg gab allerdings zu bedenken, dass das 17 Monate alte Kleinkind unruhig gewesen sei und deshalb konservative, blutstillende Maßnahmen wie ein Druckverband keinen großen Erfolg versprochen hätten.

Der Anästhesist schilderte, als er das Kind gesehen habe, habe er eine Blutlache am Boden bemerkt. Es sei zu einem fünfprozentigen Blutverlust in einer Dreiviertelstunde gekommen, „es war keine Aussicht auf Besserung“. Im Gegensatz dazu sei das Risiko einer Aspiration selten. Deshalb habe er die Sedoanalgesie vorgeschlagen. Sein Verteidiger erklärte, er könne keine grobe Fahrlässigkeit erkennen. „Es ist jedenfalls versucht worden, mit aller Sorgfalt vorzugehen“, sagte Schuppich. Erkenntnisse in den vergangenen Jahren hätten ergeben, dass das Risiko einer Narkose bei einem Kind mathematisch extrem klein sei, ob nüchtern oder nicht. Zudem sei die Gabe von Propofol richtig gewesen, hier sei kein Verschulden feststellbar.

Vater des Kindes mit harter Kritik

„Eine Aufklärung ist nicht passiert“, empörte sich dagegen der Vater des Kindes als Zeuge vor Gericht. Der Anästhesist habe beteuert, es sei „überhaupt nicht gefährlich“, dass David zuvor noch gegessen habe, das Kind werde nur in einen „leichten Dämmerzustand“ versetzt. David habe aber reichlich gegessen, „er war ein Speikind. Wir haben ihn dann der Schwester übergaben. Sie sagte, in 20 Minuten kommt er wieder. Er ist aber nicht wiedergekommen.“

Die Ärztin, die damals in der Ambulanz der Kinderabteilung Dienst versah, wurde ebenfalls als Zeugin befragt. Sie erklärte, dass Blut aus der Wunde gequollen sei: „Als ich gemerkt habe, dass der Verband durchgeblutet war, wurde mir klar, dass wir mehr machen müssen.“ Den Zeitpunkt der OP habe der Anästhesist festgelegt.

Auch Frauen als Zeuginnen befragt

Eine Diplomkrankenschwester, die bei dem Eingriff anwesend war, sagt „es war schon ein Akut-Eingriff, sonst machen wir so etwas nicht in der Nacht.“ Sie schilderte, dass man dem Kind Propofol verabreicht habe, als es zu einem Problem gekommen sei. Die Situation im Operationssaal sei angespannt gewesen. Aus Zeitgründen seien vor dem Eingriff keine Pickerl für die Elektroden (zwecks eines EKG, Anm.) gelegt worden.

Die SALK haben die beschuldigten Ärzte mehr als ein Jahr nach dem tragischen Ereignis im Juni 2019 vom Dienst suspendiert. Zudem hat die Klinik mit Zustimmung der Versicherung die Haftung anerkannt, sodass die Eltern zumindest finanziell entschädigt werden können.

Schmerzensgeld gefordert

Opferanwalt Stefan Rieder forderte für jeden Elternteil 45.000 Euro Schmerzensgeld. Eigentlich hätte der Anspruch je 70.000 Euro betragen, die Klinik habe den Eltern jeweils 25.000 Euro Schmerzensgeld bezahlt, sagte Rieder.

Wann der am Mittwochnachmittag vertagte Prozess fortgesetzt wird, ist noch nicht bekannt.