Streit um Verkauf rezeptfreier Medikamente

Die Drogeriemarktkette dm will rezeptfreie Medikamente verkaufen dürfen. Die Apothekerkammer warnt hingegen ausdrücklich vor dem Verkauf von Medikamenten in Drogerien.

Gewappnet mit einem Gutachten des Verfassungsrechtlers Heinz Mayer hat dm am Montag einen Antrag beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) eingereicht. dm will Medikamente deutlich billiger als in den Apotheken anbieten. Der Verkauf rezeptfreier Medikamente ist seit 2015 auch in Online-Portalen österreichischer Apotheken möglich.

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Medikamente auch in Drogerien?

ORF-Redakteurin Christine Hackenbuchner hat sich bei Drogerien und Apotheken über Reaktionen auf diese Pläne erkundigt.

Dass Drogerien keine rezeptfreien Medikamente verkaufen dürfen, ist für Mayer verfassungswidrig, weil es keinen sachlichen Unterschied gebe, der diese rechtliche Ungleichbehandlung rechtfertigen könnte. Der Apothekervorbehalt verstoße demnach gegen den Gleichheitsgrundsatz. Mit dem Individualantrag wird nun eine Gesetzesprüfung angeregt. Dabei soll eine Reihe von Paragrafen, insbesondere im Arzneimittelgesetz, vom VfGH geprüft werden.

Hoffen auf kräftige Umsatzsteigerung

Bei dm erhofft man sich eine Umsatzsteigerung von bis zu 80 Millionen Euro pro Jahr. Die rezeptfreien Medikamente sollen im Drogeriemarkt so billig angeboten werden, dass sich jede Familie 100 Euro im Jahr sparen würde, meint dm-Geschäftsführer Harald Bauer. Außerdem will er für den Verkauf Pharmazeuten und eigens ausgebildete Drogisten einstellen.

Husten-Medikamente in Schachteln

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Die Drogeriemarktkette dm will bald auch rezeptfreie Medikamente verkaufen

Die Apotheker, die übers Internet rezeptfreie Medikamente verkaufen dürfen, bieten begleitend zum Onlineverkauf eine Beratungsmöglichkeit an. Dies wolle auch dm so umsetzen, indem nämlich in den Filialen oder beim Online-Verkauf eine Gratishotline mittels Telefon oder Internet zu einem Pharmazeuten eingerichtet wird. Dann werde dieselbe Beratungsqualität wie von Apothekern gewährleistet, erläutert dm-Sprecher Stefan Ornig auf APA-Anfrage.

Derzeit nur Nahrungsergänzungsmittel erlaubt

Derzeit darf dm nur sogenannte „Nahrungsergänzungsmittel“ verkaufen, nicht einmal eine Fußpilz-Creme ist im Sortiment erlaubt. Der nun angepeilte Markt der rezeptfreien Arzneimittel ist in Österreich laut Ornig etwas unter 300 Millionen Euro schwer. Würde ein Drittel davon auf dm entfallen, wären dies 100 Millionen Euro. Da dm die Produkte um 20 Prozent billiger als der Apothekenpreis anbieten will, würde sich ein jährlicher Mehrumsatz von 80 Millionen Euro für dm ergeben, rechnet Ornig vor.

Im Geschäftsjahr 2014/15 hat dm in Österreich einen Umsatz von 801 Millionen Euro erwirtschaftet. Mit rezeptfreien Arzneimitteln könnte der Umsatz also um zehn Prozent gesteigert werden.

Apothekerkammer warnt „vehement“

Als Reaktion auf den Vorstoß von dm warnt der Präsident der Österreichischen Apothekerkammer, Max Wellan, „vehement“ vor einem Verkauf von Arzneimitteln außerhalb von Apotheken. In der von dm geforderten Freigabe des Verkaufs von rezeptfreien Arzneimitteln sieht er eine Wettbewerbsverzerrung und eine Gefahr für die Gesundheit. Auch für die Versorgung wäre eine Marktöffnung „langfristig ein Problem“.

Beim Online-Verkauf von Medikamenten, der derzeit nur von Apotheken betrieben werden darf, haben diese laut Wellan die Pflicht, aktiv nachzufragen, wenn sie Gesundheitsrisiken vermuten. Das sei mit der von dm geplanten Möglichkeit einer Hotline zu einem Pharmazeuten beim Verkauf in Drogerien gar nicht vergleichbar.

Präsident: „Das wäre eine Wettbewerbsverzerrung“

Der Apothekerkammer-Präsident sieht auch die Versorgung der Bevölkerung durch ein dichtes Netz an Apotheken in Gefahr. Würde man einzelne Produkte herausnehmen, die viel Umsatz generieren, wäre das eine „Wettbewerbsverzerrung“. „Wer macht denn die Nachtdienste? Wer hat 4.000 Medikamente auf Lager und nicht nur einige Renner? Wer stellt selbst Arzneimittel her? Wer betreut die Suchtkranken?“ Alle diese Apothekertätigkeiten erfolgten im Interesse des Gemeinwohls, erinnert er.

Die Apothekerkammer verweist warnend auf Länder, wo Medikamente bereits jetzt über Supermärkte angeboten werden: Beispielsweise in den USA gingen aufgrund dieser unkontrollierten Abgabe bereits 28 Prozent aller Spitalsaufenthalte auf falsch eingenommene Arzneimittel zurück. Allein in Kalifornien gebe es pro Jahr 60 Lebertransplantationen bei Kindern wegen Paracetamol (ein dort im Supermarkt erhältliches Medikament) aufgrund von Überdosierung durch die Eltern.

6.000 studierte Apotheker in Österreich

In den 1.360 Apotheken in Österreich beraten knapp 6.000 akademisch ausgebildete Apothekerinnen und Apotheker in Gesundheitsfragen. Die Beratungskompetenz sei eine der zentralen Leistungen der Apotheker, betont Wellan. Ob sich ein Verkauf von rezeptfreien Arzneimitteln für Nicht-Apotheken überhaupt lohne, sei außerdem ungewiss, meint Wellan und verweist auf die hohen Sicherheitsauflagen und behördlichen Kontrollen. „Der letzte, der einen freien Verkauf gefordert hat, war Schlecker.“

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