Analyse zu Piechs Rücktritt bei VW

Der in Salzburg-Aigen agierende Manager Ferdinand Piech hat in den letzten drei Wochen seine große Macht beim Weltkonzern VW verloren. In Braunschweig trat er als Chef des Aufsichtsrats zurück bzw. musste zurücktreten. Man habe das Vertrauen verloren, heißt es bei VW - eine Analyse.

Martin Winterkorn Ferdinand Piech

Julian Stratenschulte / dpa

Winterkorn und Piech

Es ist nun einsam geworden um den VW-Patriarchen Piech, der aber als Kapitalgeber noch immer einen stattlichen Anteil an Volkswagen hält. Fünf Tage zuvor ist er seiner drohenden Abwahl als VW-Aufsichtsratschef zuvorgekommen, indem er vom Posten des VW-Aufsichtsratschefs zurücktrat. Das geschah nach dem Showdown von Salzburg - einige Tage zuvor - dann in Braunschweig, der zweiten VW-Weltzentrale neben dem wenige Kilometer entfernten Wolfsburg. Die Mächtigen um Piech herum sagten in aller Öffentlichkeit, das Vertrauensverhältnis zu dem 78-Jährigen sei irreparabel zerstört.

Unmut über Nichten als Nachfolgerinnen

Fünf Tage nach diesem Samstag, der deutsche Wirtschaftsgeschichte schrieb, sendet Piechs Salzburger Büroleiter Jörg Astalosch eine E-Mail an Spitzenvertreter des Aufsichtsrates. Darin bekundet Piech seinen Unmut über den Plan, seine Nichten Louise Kiesling (57) und Julia Kuhn-Piech (34) in das Gremium zu entsenden - als Ersatz für ihn und seine ebenfalls zurückgetretene Frau Ursula.

Nach Informationen des „Spiegel“, der „Bild“ und der dpa wünscht sich Piech den früheren BMW- und Linde-Manager Wolfgang Reitzle, der den Aufsichtsrat beim Autozulieferer Continental leitet. Die Reitzle-Idee hegte Piech schon lange vor diesen turbulenten Tagen. Und er will die langjährige Siemens-Vorstandsfrau Brigitte Ederer als Kontrolleurin an Bord. Doch laut dpa-Informationen erhält Piech nicht einmal eine Antwort auf sein Schreiben, zumindest von den meisten Adressaten.

Niemand reagiert auf ihn

Am Ende reagieren die Mächtigen nicht mehr auf Piech, ihr einstiges Machtzentrum. Zwar sei ihnen unwohl dabei, sagen Vertraute. Aber es gehe nicht mehr anders. Noch drei Wochen zuvor war das unvorstellbar.

Doch es sollte noch dicker kommen: Zu den Medienberichten über Piechs Störfeuer äußern sich der VW-Vorstand, Niedersachsens Regierungschef Stefan Weil (SPD) und auch VW-Betriebsratsboss Bernd Osterloh nicht persönlich. Das erledigen ihre Sprecher. In der Medien-Öffentlichkeit ist so etwas die Höchststrafe. Die Sprecher geben sich erfreut über die Nachbesetzung oder stellen kurzum fest, es sei nun alles gesagt.

„Drei Wochen Ausnahmezustand“

Zumindest formal ist das der Schlussstrich unter einen drei Wochen langen Ausnahmezustand bei Europas größtem Autokonzern. Auf der VW-Hauptversammlung an diesem Dienstag fehlt der langjährige VW-Patriarch Piech. Und die übrigen Beteiligten aus dem Machtkampf dürften denken: Es ist auch besser so. Mit der Nachbesetzung des Chefkontrolleursposten wollen sie sich Zeit lassen. Ex-IG-Metall-Chef Berthold Huber ist nun die Interimslösung.

Piech konnte sich nicht durchsetzen mit seinem Angriff auf den Konzernchef Martin Winterkorn. Er stand isoliert im Sechsergremium des VW-Aufsichtsratspräsidiums, dem innersten Machtzirkel bei Volkswagen, das er nicht überzeugte. Die Allianz pro Winterkorn aus dem VW-Betriebsrat sowie der Gewerkschaft, aus Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Piechs Cousin Wolfgang Porsche wirkt wie ein Triumvirat. Aber es ist komplizierter.

Wer ist Gewinner in dem Drama?

Es ist viel gerätselt worden über Piechs Satz „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn“, mit dem er am 10. April im „Spiegel“ die VW-Krise lostrat. Branchenkenner verwiesen auf die Dauerbaustellen im Konzern, darunter das angeschlagene US-Geschäft, die gewinnschwache Kernmarke VW, die schleppende Verzahnung der Nutzfahrzeugtöchter MAN und Scania oder das im Konzern noch immer fehlende Billigfahrzeug. Diese Punkte muss Winterkorn mit seinem Team mehr denn je angehen.

Traute Piech seinem beruflichen Ziehsohn nicht mehr zu, diese Dinge in den Griff zu bekommen? Nach Informationen der dpa war das nicht der entscheidende Grund. Piech fühlte sich eher nicht mehr genügend eingebunden. Der „Spiegel“ schreibt zudem, Piech habe vermutet, man sammle Informationen über ihn, spioniere seinen Terminkalender aus.

Piech stand für alte Autowelt

Beteiligte berichten der dpa, dass sich im Spitzenmanagement und Aufsichtsrat eine Distanz zu Piech aufgebaut habe, und zwar über einen längeren Zeitraum. Demnach gab es einen Konflikt zwischen zwei Polen: Piech steht für die alte Autowelt, in der es gilt, Fahrzeuge zu optimieren. Eine Welt, in der die VW-Konzerntochter Bugatti ein Modell namens Veyron baut, das 16 Zylinder hat, mehr als 1.000 PS und locker Tempo 400 fährt. Diese Welt ist einigen im VW-Kosmos zu alt.

Denn der Veyron mag zwar die Spitze der Ingenieurskunst sein. Er ist aber irgendwo auch die Spitze der Unvernunft. Jenseits Tempo 400 als Top-Speed? In Metropolen wie Peking, wo sich heute die Mobilität der Zukunft entscheidet, kommen Fahrradfahrer schneller voran als Autos.

„Fugen Ferdi“ als Qualitätsfanatiker

Nur Teile des PS-Monsters, etwa der Leichtbau, haben Zukunft für die Mobilität von morgen. Diese Autowelt muss gesellschaftliche Ansprüche in ihren Geschäftsmodellen mitdenken. Und das ist weitaus mehr als PS oder das noch engere Verfugen von Blechteilen der Autokarosserien. Diese geringen Spaltmaße zwischen den Teilen gelten in der Branche als Qualitätsmerkmal, was Piech den Spitznamen „Fugen Ferdi“ brachte.

Doch er wäre wohl nicht der einzige aus der alten Autowelt. Auch der Metallphysiker Winterkorn, der seine Promotion über das Blechbiegen schrieb, gilt eher als Qualitätsfanatiker denn als Branchenvisionär.

Auch Winterkorn längst kein Jungmanager mehr

Bei anderen Herstellern übernehmen Manager den Chefposten, die locker zehn, fast zwanzig Jahre jünger sind als der 67-jährige Winterkorn. Muss nicht auch VW den Generationenwechsel anschieben?

Bei der Autowelt von morgen geht es nicht nur um immer striktere Abgasvorgaben oder um die nahende Endlichkeit des Öls. Es geht darum, dass junge Leute seltener den Traum vom Neuwagen träumen - Jahrzehnte war das ein Inbegriff der Wohlstandsgesellschaft. Autos werden Teil des Internets, dieser Trend hat längst begonnen. Google testet schon Autos, die keinen Fahrer mehr brauchen. Apple könnte es auch bald tun. „Autos werden heute rund ums Lenkrad gebaut und erlebt. Künftig braucht man das Lenkrad nicht mehr“, sagt Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer. In der vernetzten Mobilität sind die Wagen nicht mehr die Krönung der Wertschöpfungskette, sondern nur noch ein Teil davon.

Konzernstruktur im Umbruch

Für VW geht es nicht nur um die nächste Generation von Managern. Auch die Struktur des Konzerns gehört auf den Prüfstand. So wie schon bald die Nutzfahrzeugsparte auf ziemlich eigenen Füßen stehen wird, könnte es auch in anderen Bereichen aussehen. Ein großer Fürsprecher solcher modernen Strukturen ist der oberste VW-Betriebsrat Bernd Osterloh. So wie bei den Lastwagen „müssen wir auch andere Potenziale in Sparten bündeln“, fordert er. Auch viele externe Experten meinen, dass sich der Industrieriese Volkswagen mit seinen gut 200 Mrd. Euro Jahresumsatz für die Zukunft dezentraler organisieren müsse.

Doch von solchen Umbrüchen ist bei offiziellen VW-Veranstaltungen nichts zu hören. Am Dienstagabend, zwei Tage vor der Mitteilung zu Piechs Nachfolgerinnen im Aufsichtsrat, lässt Volkswagen in Berlin die Korken knallen. Es ist ein ziemlich surreales Event, denn auf der Bühne erwähnen Winterkorn und sein oberster Kommunikationschef Stephan Grühsem die Führungskrise mit keiner Silbe. Sie lassen lieber den Superstar und VW-Werbepartner Robbie Williams singen.

Der betritt am späten Abend den Roten Teppich in der VW-Repräsentanz Unter den Linden. Ein Meer von Smartphones richtet sich auf ihn, das Blitzlichtgewitter und die Scheinwerfer tauchen alles in eine Kulisse aus grellem Flutlicht. Und gleich Robbies erste Zeile aus seinem Hit „Supreme“ passt perfekt zu den Vorgängen bei Volkswagen: Es scheine, singt Robbie, "als sei das „für immer" zum Stillstand gekommen“.

Sicher ist nur der Wandel

Nichts ist mehr für immer in diesen Tagen, nichts scheint mehr wie immer. Piech prägte den Konzern über Jahrzehnte; als Chef bei Audi, dann als Konzernchef und schließlich als Aufsichtsratschef.

Am Tag nach der Sause in Berlin gibt es frische Quartalszahlen, und zwar glänzende. Winterkorn sagt in der Mitteilung dazu: „Die gesamte Mannschaft arbeitet mit voller Konzentration an dem Ziel, auch 2015 zu einem Erfolgsjahr zu machen.“ Die Konzentration wird es brauchen.

An anderer Stelle schreibt Winterkorn, der Schlüssel zum Erfolg liege darin, offen für die neuen Wege zu sein. Es gehe nicht mehr allein um PS und Drehmoment. Car-Sharing ist ein Ergebnis dieses Wandels. Junge Leute leihen sich heute oft ein Auto, anstatt es zu besitzen. Daimler ist mit seiner Car-Sharing-Plattform Car2Go in Dutzenden Städten präsent, auch international. VW fährt dem Trend hinterher und hat sein Angebot Quicar nur in Hannover. Wie es aus Aufsichtsratskreisen heißt, sei dieses Ausleihthema nicht so recht Piechs Sache gewesen.

„Piech war nicht mehr nah genug dran“

„Wir wären auch an einigen anderen Stellen schon längst weiter“, sagte einer, der nah dran ist. Ein anderer Insider gibt zu bedenken, dass Piech schon 2002, vor mehr als einer Dekade, den Vorstand und damit das Tagesgeschäft verlassen habe. Und Winterkorn sagt mit Blick auf das 2007 gestartete Smartphone-Zeitalter: „In den vergangenen sieben Jahren hat sich unsere Branche stärker und schneller verändert als in allen Jahrzehnten zuvor.“ Selbst Insider, die bangen, dass Piechs Lebenswerk über die Krise in Misskredit geraten könnte, sagen, der Patriarch sei zuletzt halt nicht mehr nah genug dran gewesen. Die Geschichte seines Abgangs - sie ist auch eine über das Altern und über die Frage, wann und wie ein 78-Jähriger kürzertreten sollte.

Showdowns in Salzburg und Braunschweig

Trotz dieser Probleme trat die Fünferallianz pro Winterkorn anfangs nur an, um wieder Ruhe ins Management und die Belegschaft zu bringen. Die erste Sondersitzung des Präsidiums am 16. April in Salzburg suchte nach dpa-Informationen zunächst vor allem Wege, wie alle ihr Gesicht wahren könnten. Als Ergebnis erklärte das Präsidium danach Winterkorn zum „bestmöglichen“ Boss, und führende Räte betonten, auch Aufsichtsratschef Piech bleibe ihre Wunschbesetzung für den Posten.

Weiter an Winterkorns Sessel gesägt

Doch als Piech nach diesem ersten Krisentreffen nach Informationen der dpa, des NDR und der „Welt“ im Hintergrund weiter an Winterkorns Absetzung arbeitet, stürzt die rettende Brücke des Präsidiums ein. Die zweite Krisensitzung am 25. April in Braunschweig brachte Piech den Rücktritt. Es wirkt wie eine Ironie, dass dem Patriarchen am Ende nur einer gefährlich werden konnte. Er besiegelte seine eigene Ohnmacht.

Feature der Deutschen Presse Agentur (dpa)

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