Bettler „Glocken unseres Gewissens“

Die Debatte um Bettler in der Stadt Salzburg sei so emotional, weil der persönliche Kontakt mit Bettlern bei vielen Bürgern Unbehagen auslöse. „Bettler sind die Glocken unseres Gewissens“, sagte der Schriftsteller Dimitre Dinev bei einer Tagung in Salzburg.

Kaum ein Thema beschäftigt die Stadtpolitik und die Stadtbewohner so wie die Bettler. Jeder sieht sie, Emotionen werden wach, man denkt nach. Die Wogen gehen hoch - das zeigte sich erst Dienstagmittag bei der Radio-Salzburg-„Mittagszeit“. Die Sendung können Sie hier nachhören.

Bettler treffen bei vielen Menschen einen wunden Punkt, sagten zwei Autoren bei einer Tagung zum Thema Betteln im Bildungshaus St. Virgil in Salzburg-Aigen. Es gibt kein Problem mit dem Betteln, sondern ein Problem mit der Verteilung von Geld, betonte der gebürtige Bulgare Dimitré Dinev: „Das ist das Problem, würde ich sagen: Die Bettler sind die Glocken unseres Gewissens.“

Bettler symbolisieren „Angst vor dem Abstieg“

Auch für den Salzburger Schriftsteller Karl-Markus Gauß war die Sichtbarkeit der Bettler das eigentliche Problem, das die Menschen mit ihnen haben: „Wenn man mit einem einfachen Erlagschein sozusagen fünf Euro im Monat abbuchen könnte, dann wäre das kein Problem. Aber man muss sie sehen und auch aushalten lernen, sie zu sehen.“

Bettlerin mit Becher sitzt in der Fußgängerzone

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Der Anblick von Bettlern sei vielen unangenehm, weil er sie an den leicht drohenden sozialen Absturz erinnert, sagen Autoren und Juristen

Der Rechtssoziologe Nikolaus Dimmel von der Universität Salzburg sah das ganz ähnlich: „Im Bettler wird sozusagen fleischlich konkret eine Drohung wahr, die uns alle berührt - nämlich die Möglichkeit des jederzeitigen individuellen Abstiegs oder Absturzes, der insbesondere die untere und mittlere Mittelschicht schon zu erreichen beginnt. Von daher muss man auch diese latente Aggressivität verstehen, die gegenüber den Bettlern an den Tag gelegt wird, weil die etwas symbolisieren: nämlich die Möglichkeit der Vernichtung der eigenen bürgerlichen Existenz.“

ÖVP und FPÖ wollen neues Gesetz - aber „nicht nötig“

Rund 100 Bettler sind derzeit in der Stadt Salzburg aktiv - ein deutlicher Zuwachs gegenüber den letzten Jahren. ÖVP und FPÖ in der Stadt wollen deshalb ein neues Landesgesetz gegen das Betteln: „Die Freiheitlichen haben bereits einen Vorschlag auf den Tisch gelegt - nämlich das Landesgesetz zu ändern, so wie in Wien, und fordert das gewerbsmäßige Betteln zu verbieten“, sagte der Obmann der Stadt-FPÖ, Andreas Schöppl.

„In der Angelegenheit hat das Ball hin und her spielen keinen Sinn“, fand dagegen Soziallandesrat Heinrich Schellhorn (Grüne). „Wir als Landesgesetzgeber sehen da keinen Handlungsbedarf.“

Regeln „aus Angst ums Image“ nicht umgesetzt

Auch Rechtssoziologe Dimmel glaubte nicht, dass neue Gesetze nötig sind: „Es reicht völlig, die bestehenden anzuwenden. Die Situation ist dadurch geprägt, dass die bestehenden Gesetze nicht angewendet werden. Es reicht, EU-Gemeinschaftsrecht, Jugendwohlfahrtsrecht, Landespolizeirecht, Fremdenrecht, hygiene- und sanitätspolizeiliche Vorschriften anzuwenden, um diesem Problem zu begegnen.“

Grund für die derzeitige Blockade sei, dass sich sowohl Politik als auch Polizei „vor einem schlechten Image fürchten, das aus einem wie auch immer rechtlich basierten Zugriff oder Durchgreifen herrühren könnte“, war Dimmel überzeugt. „De facto ist es aber so, dass wir in Österreich ein Problem, das ein Problem europäischer Ungleichheit ist, nicht lösen können. Man kann das Problem nur lösen, wenn man in den Herkunftsländern der Bettler ansetzt.“

Jurist: Ohne Regulierung für Bettler geht es auch nicht

Gleichzeitig könne sich die Politik aber auch nicht einfach damit abfinden, dass es Bettler einfach gibt - und sie als Erwerbstätige zu betrachten sind, gab der Rechtssoziologe zu bedenken: „Betteln ist durch den Verfassungsgerichtshof über den Grundsatz der Erwerbsfreiheit geschützt - daher gibt es kein allgemeines Bettelverbot in Österreich, sondern nur selektive Verbote wie aggressives Betteln. Es ist auch so, dass wir kein ökonomisches Problem damit haben.“

Für den Juristen war aber klar, „dass wenn wir das Betteln in dieser Form nicht rechtlich bearbeiten, wir in der Perspektive mit rechtlichen Problemen zu tun bekommen: Es ist so, dass jemand, der aus den Niederlanden oder Belgien kommt und hier arbeiten will, ein sehr kompliziertes Verfahren durchläuft und sich an Regeln halten muss. Und wir können schlecht einem arbeitssuchenden Niederländer einen ganzen Berg von Regeln auferlegen und dann einem bettelnden Rumänen oder Bulgaren sagen: Für dich gilt das nicht. Das ist ein Gleichheitsproblem.“

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