Kultur im Schatten der Festspiele

Neben den - beim Aufwand für Künstler und Material alles überstrahlenden - Festspielen gibt es in Stadt und Land Salzburg zahlreiche kleinere Veranstaltungen und Sommerfestivals, die hohe Qualität bei Kunst und Kultur breiter und preisgünstig streuen.

David Murray Cuban Ensemble im republic Jazz

Wildbild

Jazz in Gastein

Der Kultursommer Salzburgs findet nicht nur in der Stadt statt. So banal das klingt, so wichtig ist in Salzburg jedes Jahr der Hinweis auf regionale Besonderheiten und kulturelle Dezentralisierung. Es betrifft eine Gegend mit industrialisiertem Kulturtourismus, in der vieles - auch in der internationalen Berichterstattung - auf die Landeshauptstadt und ihre Kreise zugeschnitten. Neben urbanen Platzhirschen - wie den heuer schon am 19. Juli startenden Festspielen und der bereits laufenden Sommerszene - bietet Salzburg noch zahlreiche weitere Gustostückerl. Das freut Traditionalisten, Moderate, Moderne, Experimentelle und Liebhaber von Avantgarde. Eine komplette Liste des Guten, Wahren, Schönen, Authentischen und Schrägen wäre sehr lang. Hier reicht es nur für eine kleine Auswahl.

Woodstocks Enkel: Liebe & Musik

Krewella Band aus Chicago

electriclove.at

Die Band Krewella aus Chicago beim Electric Love in Koppl

Das - auch im Kontrast zu den eher traditionell programmierten Festspielen - vielleicht provokanteste Salzburger Sommerfest für Junge, Jüngere und Junggebliebene geht auf dem Land zwischen 12. und 14. Juli über die Bühne: Das teils experimentelle Musikfestival „Electric Love“ beim Salzburgring in Koppl (Flachgau) ist auch als lustvoller und lauter Ersatz für das 2008 nach Niederösterreich abgewanderte „Frequency“ gedacht. Unter den Highlights: DJ-Altar, David Guetta, Steve Angello, Lexy & K. Paul.

Das junge Team klingt wie einst die Leute von Woodstock, heute allesamt Pensionisten: „Drei Tage voller Liebe und Musik. Was ist naheliegender als das bei einem Festival zu feiern. Eingebettet im Seenland des Salzkammergutes inmitten der Natur liegt die perfekte Location für Electric Love, Dubstep, Electro, House oder Drum and Bass.“

Spannungsfelder: Menschen und Gebirge

Tauriska Kulturprogramm 2013

tauriska.at

Alpinismus, Berglandwirtschaft, Massentourismus in der Tauernregion und ihre Widersprüche

Der Kulturverein Tauriska in Neukirchen am Großvenediger (Pinzgau) stellt sich in diesem Sommer der Herausforderung, das Dreiecksverhältnis zwischen Berg, Dorf und den Menschen - Einheimischen, Zugereisten, Touristen - kritisch zu betrachten. Zahlreiche Aktivitäten verwandeln den Oberpinzgau über den Sommer und Herbst bis in den Dezember 2013 hinein zu einem vielseitigen Festival: Es gibt zahlreiche Konzerte, Ausstellungen, Vorträge, Schulprojekte und Genussfeste: Programm des Tauriska-Festivals 2013 (PDF)

Die Tauriska-Kulturarbeiter Susanne Dankl und Christian Vötter charakterisieren die heurige Tauriska-Reihe so: „Klein im Sinn des austro-amerikanischen Philosophen Leopold Kohr, überschaubar, im Einklang mit Natur und moderner Kultur: Viel Holz, wenig Stress, altes Handwerk, neue Ideen und vor allem zufriedene Menschen. Das ist das eine, eher klischeehafte Bild vom Dorf in den Bergen. Die andere Seite ist auch nicht zu übersehen: Enge, Leere, Alkoholismus, Abwanderung, Eingriffe in die Natur, gewaltige Investitionen und Menschen, die immer weniger Zeit haben. Wie diese Gegensätze aufeinander wirken, zusammenpassen oder sich abstoßen, das soll hier stärker erkundet werden.“

Grabmaiers Sommerjazz in Gastein

Franz Trattner Schlagzeuger Jazz Gastein Sägewerk Drums Schlagzeug Drummer drums

jazz-im-saegewerk.org

Der österreichische Drummer Franz Trattner - ein gebürtiger Lungauer - gehört international zu den Spitzenleuten - am 14. August mit seinem Fun(k) Orchestra in Gastein

summer.jazz.in.the.city heißt diese Serie: Im Gasteiner Tal am hochgebirgigen Südrand des Bundeslandes in den fernen Tauern kann es der örtliche Kulturarbeiter Sepp Grabmaier auch heuer nicht lassen, eine Sommerserie mit Jazz, Blues und Crossover vom Feinsten den Einheimischen und Gästen aufzutischen - für diese kostenlos. Der Chef des Jazz Sägewerkes Bad Hofgastein übersiedelt dafür mit den Musikern, Bands und seinem Team jeden Mittwoch bis Anfang September in den Merangarten der Nachbargemeinde Bad Gastein (beide Pongau). Auf dem Programm: The Ruff Pack, Bastian Stein Quartet, Tape, Indian Air, Klima Kalima, Franz Trattners Fun(k) Orchestra, Sir Oliver Malleys Blues Distillery, Tango Transit und Vibrathangissimo.

Iranisch-afrikanisch-österreichisch

Choub Jazz Iran Afrika

jazz-im-saegewerk.org

Choub: Mit ihrer nuancenreichen Stimme interpretiert die 26-jährige Golnar Shahyar die Lyrik der persischen Dichter Hāfez und Omar Khayyām und ihre eigenen Songs - auf Englisch, Farsi oder in eigener Fantasiesprache

Zu erwähnen ist auch diese Band Choub am 28. August im Bad Gasteiner Merangarten: Seit Frühling 2011 existiert das iranisch-österreichische Quartett Choub, das ein vielversprechendes Amalgam aus persischer Musik, westlichem Jazz und Latin- sowie Afroeinflüssen zum Besten gibt. Weiche Harmonien, unbändige Dynamik, Virtuosität und Spielfreude zeichnen sie aus.

Resi-Kulturmarathon von Red Bull

Sehr „volksnahe“ Kunst und Kultur - auch von und mit Jungen, Jüngsten, Einheimischen und Gästen - will heuer der bekannteste Getränkekonzern des Landes auf dem Salzburger Residenplatz ermöglichen - gleich ums Eck von der echten „Jedermann“-Bühne der Salzburger Festspiele auf dem Domplatz.

Residenzplatz mit Salzburg Museum und Residenzbrunnen

Gerald Lehner

Frühmorgendlicher Residenplatz vor dem großen Aufbau

Nicht nur Insider freuen sich schon auf Laien- und Straßentheater, Straßenmusiker oder Jam-Sessions von Profis und Amateuren aus vielen Genres und Klangbereichen: Von 19. Juli bis 30. September errichtet Red Bull auf dem Residenzplatz eine mobile „Jedermann Bühne“, die als „Open Stage“ allen Einheimischen oder Touristen offen steht.

Das Konzept ist an den „Speakers’ Corner“ im Londoner Hyde Park angelehnt, allerdings soll es neben feurigen Reden auch Platz für Musik-, Gesangs-, oder Akrobatikeinlagen geben - oder die Bühne gar für einen Heiratsantrag dienen können. Zu Gute kommt das nicht nur den Fans und Passanten: Alle Performances werden aufgezeichnet und auf einer eigenen Website gesammelt.

Der Altstadtausschuss des städtischen Gemeinderats hat schon grünes Licht für das Projekt gegeben. Einstimmig fiel die Entscheidung allerdings nicht: Die Bürgerliste (die Grünen in der Stadt) begrüßte zwar das Konzept, sprach sich aber gegen die geplante Dauer von fast zweieinhalb Monaten aus.

Szene Salzburg modernisiert sich

Das schon seit Jahrzehnten bestehende „Jugendfestival“ Szene Salzburg bzw. Sommerszene in der Stadt hat sich traditionell der Moderne verschrieben. Die eigene Modernisierung wurde nun auch angepeilt. Und die Szene ist bereits vor einigen Tagen in ihr Sommerprogramm 2013 gestartet. Die Serie heißt heuer „You are here“. Noch bis 13. Juli präsentiert die neue künstlerische Leitung 17 Produktionen aus „Tanz und Umgebung“, also Theater, bildender Kunst, „Intervention und Installation“. Boris Charmatz, französischer Performance-Künstler und Choreograf, eröffnete mit seinem „Enfant“. Weitere Highlights: Nadja Hjorton aus Schweden, die Dänin Mette Ingvartsen, das Kollektiv Superama, Phil Hayes mit seinem „Legends & Rumours“ sowie das französisch-argentinische Duo Francois Chaignaud und Cecilia Bengolea zu erleben.

Letztlich findet die Sommerszene dann auch noch ihre Fortsetzung in Teilbereichen der Salzburger Festspiele. Diese veranstalten einige ihrer innovativsten Programme mit jungen Künstlern und Regisseuren im Salzburger Stadtkino, wo eigentlich die Szene zu Hause ist.

Jazzbands in Saalfelden

Jazzfestival Saalfelden

Jazzfestival Saalfelden

Heuer viele große Bands, ein Mix aus Innovation und Tradition und viel Neues bringt das 34. Internationale Jazzfestival Saalfelden (Pinzgau). Es geht von 22. bis 25. August über die Bühnen. Intendant Mario Steidl betont, 14 der 15 Jazz-Projekte auf der Hauptbühne im Kongresshaus seien bisher in Österreich noch nie und in Europa nur zum Teil präsentiert worden: „Es gibt eine Vielzahl von außergewöhnlich innovativen Musikern, die sich zugleich mit der Tradition des Jazz auseinandergesetzt und die Musik weiterentwickelt haben. Ich nenne da nur den Freejazzer Wadada Leo Smith, der ein chinesisches Streichquartett und einen Videokünstler in seine zehnköpfige Band integriert hat.“

Die Konzerte auf der Saalfeldener Hauptbühne beginnen Freitag, 23. August, wenn der österreichische Pianist David Helbock mit seinem Projekt „Action Figures“ loslegt. Weitere Highlights: Marc Ducrets zwölfköpfige Band „Tower Bridge“, Tim Berne, Steven Bernsteins Quartett mit Drummer Bobby Previte, Franz Hautzingers Band „Big Rain“, E-Bassist Jamaaladen Tacuma, Hamid Drake am Schlagzeug, Jacob Fred Jazz Odyssey, Jon Madofs "Jewish Afro Beat“, Christian Lillinger’s Grund, Martin Küchen’s Angles 9, Gershwin-Programm von The Uri Caine Ensemble.

Klassikfans mögen Mattsee

Ortszentrum von Mattsee, Marina, Hafen und Strandbad sowie Schloss Mattsee

Gemeinde Mattsee

Deutlich beschaulicher geht es beim Mattseer Diabelli-Sommer zu. Hier treffen seit dem Jahr 2000 Stars der Klassik im nördlich von Salzburg gelegenen Seenland auf ein begeistertes Publikum. Die heurige Serie dauert bis 13. September. Benjamin Schmid, Clemens und Lukas Hagen, Barbara Moser, Frank Stadler oder das Wiener Streichquartett widmen sich heuer neben der Wiener Klassik, niveauvoller Volksmusik und (ein wenig Jazz) vor allem der Musik von Benjamin Britten.

Schellhorns „Verstörungen“ im Frühherbst

Noch kurz ein Blick über den Sommer hinaus: Den Kulturherbst auf dem Land eröffnet ab 19. September der Goldegger Haubenkoch, Hotelier, Politiker (ÖVP bzw. NEOS) und ehrenamtliche Kulturarbeiter Sepp Schellhorn.

Seehof Goldegg Sepp Schellhorn Verstörungen Goldegger See

verstoerungen.at

Blick von Schellhorns Seehof, wo die „Verstörungen“ verstören, auf den Goldegger See

Der Grenzgänger und Jünger der künstlerisch-literarisch-architektonischen Avantgarde hat mit seinem jährlichen Literaturfestival „Verstörungen“ dem Schriftsteller Thomas Bernhard ein bleibendes Denkmal gesetzt. Unweit von Goldegg verbrachte Bernhard wegen seiner Lungenkrankheit lange Zeit in der Heilanstalt St. Veit/Grafenhof und widmete dem Pongau nicht gerade Lobeshymnen in seiner Literatur.

Bernhard längst ein Lokalmatador?

Mittlerweile haben selbst die härtesten Gegner in der Region dem heute weltbekannten Autor offenbar längst verziehen. Die heurigen „Verstörungen“ dauern bis 22. September. Mitwirkende, Vortragende, Diskanten und Gäste sind unter anderem Ben Becker, Tobias Moretti, Andreas Khol und Claus Peymann - eine charmant-provokante Orgie der Gegenpole, um dem Erbe von Thomas Bernhard gerecht zu werden. Impresario Schellhorn schreibt auf der Website seines Festivals:

„»In Österreich mußt du entweder katholisch / oder nationalsozialistisch sein / alles andere wird nicht geduldet« − so ließ Bernhard eine Figur kurz vor seinem Tod als eine Art Testament reden, in seinem Theaterstück »Heldenplatz«. Im Mittelpunkt der zweiten Ausgabe von »Verstörungen. Ein Fest für Thomas Bernhard« steht der »Heldenplatz«. Bernhards Bild von Österreich im Besonderen, der Welt im Allgemeinen, die Theatralik in seinem Werk wie in seinem Leben, seine politischen Interventionen − sie werden durch Lesungen berühmter Schauspieler zu Gehör gebracht.“

Aktuelle Tipps zu nahezu allen Veranstaltungen im Kultursommer von Stadt und Land Salzburg bietet die Website salzburgermonat.at

Gerald Lehner, salzburg.ORF.at

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