Kinder nicht auffälliger - Erwachsene intoleranter

Die Zahl der verhaltensauffälligen oder psychisch kranken Kinder und Jugendlichen in Österreich steige nicht - vielmehr sei die Gesellschaft gegenüber auffälligen Jugendlichen intoleranter geworden, sagen Psychiater.

Entgegen der allgemeinen Wahrnehmung steige die Zahl der psychisch kranken und verhaltensauffälligen Kinder und Jugendlichen nicht an, betonten die österreichischen Kinder- und Jugendpsychiater bei ihrem Jahreskongress in Salzburg. So sind beispielsweise in Salzburg 6.000 Kinder und Jugendliche psychisch krank, weitere 10.000 gelten als psychisch auffällig.

Damit hat jeder fünfte junge Mensch in Salzburg ein Problem - diese Gesamtzahl habe sich in den vergangenen zehn Jahren nicht verändert, sagt Leonhard Thun-Hohenstein, Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie an den Salzburger Landeskliniken.

„Pubertät tritt früher ein“

Veränderungen habe es bei der Verteilung der Störungen gegeben, ergänzte Thun-Hohenstein: „Was heute sicher mehr ist als vor 20 Jahren, ist die Gruppe der Essstörungen, die Gruppe der Sozialverhaltensstörungen ist leicht im Zunehmen gewesen bei den letzten Studien - aber auch nicht so dramatisch, wie man das annehmen würde.“

Grund dafür, dass es in den Schulen mehr Probleme mit Kindern und Jugendlichen gibt, sei, „dass die Pubertät früher eintritt. Daher treten viele Probleme, die sich früher mit 14, 15 manifestiert haben, jetzt schon mit 13, 14 auf. Dann hat ein Schulsystem mit Jugendverhalten zu tun, das es eigentlich nicht gewohnt war.“

Auch die Aufmerksamkeit der Medien für Gewalt, Drogen und Alkoholexzesse unter jungen Menschen habe zugenommen.

„Gerangel und Geraufe nicht mehr erlaubt“

Generell sei die Gesellschaft gegenüber Jugendlichen intoleranter geworden, kritisiert Thun-Hohenstein: „Wenn zwei Burschen am Schulhof raufen, was an sich ganz normal ist, kommt sofort die Lehrerin, schnappt den einen und sagt: ‚Er ist ein Gewalttäter, den müssen wir psychologisieren.‘ Das ist eigentlich eher die Regel als die Ausnahme. Dieses zwischen Burschen übliche Gerangel und Geraufe ist heute nicht mehr erlaubt - bei gleichzeitig einer unglaublichen Überflutung von Vorbildern, wie man sich schlägern kann. Das ist eine sehr widersprüchliche Situation, die dann allen enorm zu schaffen macht.“

„Zur Lösung dieser Probleme wird nach Strafen und nach Einsperren gerufen“, kritisiert auch Ernst Berger, Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Wiener Universitätsklinik Rosenhügel. „Jetzt wird von den Politikern nur mehr diskutiert, ob das Strafen für das Nicht-Schule-Besuchen 440 oder 1.200 Euro sein sollen.“

Nordeuropa bei Betreuung weit voraus

Bei der Betreuung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher seien die Länder im Norden Europas Österreich weit voraus - so der Tenor beim Kongress der heimischen Kinder- und Jugendpsychiater.

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