Missbrauch: Mehr Opfer erzählen

Immer mehr Opfer von sexuellem Missbrauch trauen sich und suchen Hilfe. Das Kinderschutzzentrum Salzburg betreute im Vorjahr an die 1.200 Mädchen und Buben - ein Viertel mehr als 2010. Ihre Geschichten sind oft unfassbar - so wie die einer 32-jährigen Salzburgerin.

Die Stadt-Salzburgerin schilderte im „Salzburg heute“-Interview ihren Leidensweg. Sie wurde als Kind zehn Jahre lang von ihrem Vater und ihrem Großvater missbraucht: „Die ersten Erinnerungen, die ich bewusst habe, da war ich fünf, sechs Jahre alt. Ich glaube, dass das alles schon früher begonnen hat. Da hatte ich aber natürlich dafür keine Sprache“, schildert die Frau heute. „Das ist so gegangen, bis ich 14, 15 war.“

Die 32-Jährige im Gespräch mit Elfi Geiblinger

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„Im familiären Kreis keine Hilfe da“

Durch den sexuellen Missbrauch im engsten Familienkreis „war die Verzweiflung so hoch, weil im familiären Kreis natürlich keine Hilfe da war und logisch war, dass man sich da nirgendwo hinwenden kann“, sagt die 32-Jährige. „Die größte Verzweiflung war immer, dass meine Mutter das gewusst, aber nichts gemacht hat. Man denkt dann als Kind: Wenn die Mama einem nicht hilft und nichts tut, was kann denn dann Falsches daran sein?“

Die Frau ist nach wie vor in Therapie. Obwohl Vater und Großvater tot sind, quälen sie die Erinnerungen permanent: „Wie soll denn ein vierjähriges Mädchen ausdrücken, was der Papa, der sie noch am Tag vom Kindergarten abgeholt und mit ihr am Spielplatz war, in der Nacht mit ihr macht? Ich habe dafür keine Sprache gehabt. Und die verschlüsselten Sachen, die ich sicher gesagt habe, hat niemand verstanden.“

„Dauerzustand der Todesangst“ hinter heiler Fassade

Die Kindheit der heute 32-Jährigen war durch ständige Angst und Hoffnungslosigkeit geprägt: „Irgendwann habe ich einfach aufgehört, zu glauben, dass mir irgendwann jemand hilft. Irgendwann ist die Verzweiflung so hoch, dass das Kind in mir einfach gedacht hat: Niemand wird mir je irgendwie helfen können.“

Die Salzburgerin weiß bis heute nicht, wie sie es damals schaffte, ihr Martyrium durchzuhalten: „Im Nachhinein gesehen, war ich einem Dauerzustand von Todesangst - und parallel dazu die Einser-Musterschülerin. Man hat ja funktioniert im Alltag. Wir waren ja die perfekte Familie. Das ist ja genau das Schlimme an der Sache. Mein Vater hat mir immer gedroht: Wenn ich was sage, dann bringt er mich so um, wie er meine Lieblingskatze umgebracht hat.“

Von Vater schwanger, Abtreibung

Die sexuelle Gewalt von Vater und Großvater endete erst, als sie von ihrem Vater schwanger war, schildert die Salzburgerin: „Ich habe dann das Kind in einer illegalen Abtreibung abtreiben müssen. Da war ich 15. Ich bin dann auch mit 17 ausgezogen.“

700 bis 800 Fälle pro Jahr in Salzburg

Die 32-jährige Salzburgerin ist kein Einzelfall. Jedes zehnte Kind wird im Laufe seiner Kindheit sexuell missbraucht. Das sind alleine in Salzburg 700 bis 800 Fälle pro Jahr. Angezeigt werden jährlich aber nur rund 50 Fälle: „Opfer von sexuellem Missbrauch unterliegen einem massiven Geheimhaltungsdruck. Sie fühlen sich schuldig und schämen sich dafür“, schildert die klinische Psychologin Sabrina Galler vom Kinderschutzzentrum Salzburg. „Es braucht oft Jahre und mehrere Anläufe, bis sie sich anvertrauen. Dieses Anvertrauen passiert in einer einschlägigen Einrichtung, aber nicht bei Gericht.“

Zwei Drittel der Gerichtsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs werden jedoch eingestellt. Die mutmaßlichen Täter kommen ohne Strafe davon. Galler kennt den Grund: „Die Beweislage im Bereich sexueller Missbrauch ist sehr schwierig. Es gibt keine klaren Verletzungen, die einem Missbrauch zugeordnet werden können. Hier braucht es die Aussage des betroffenen Kindes - und es steht oft Aussage gegen Aussage.“

Bei Missbrauchs-Verdacht „nicht vorschnell handeln“

Bei einem Missbrauchs-Verdacht sollte man „Ruhe bewahren und nicht vorschnell handeln, sondern Schritt für Schritt entscheiden“, rät die Psychologin. „Dafür gibt es Einrichtungen wie Kinderschutzzentren in ganz Österreich, an die man sich wenden kann.“

In den Kinderschutzzentren in Zell am See, Mittersill (beide Pinzgau) und der Stadt Salzburg werden missbrauchte Kinder und Jugendliche sowie deren Familien beraten, betreut und bei Gerichtsprozessen auch begleitet.

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