Ansturm im Gebirge: Appell an Tourengeher

Skibergsteiger sollten die alpinistischen Grundregeln beachten. Diese dringende Bitte kommt nun von Peter Loitfellner, Bürgermeister der Nationalparkgemeinde Rauris (Pinzgau). Grund ist der Ansturm von Tourengehern in den Hohen Tauern.

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ORF/Gerald Lehner

Wenige Meter unter dem höchsten Punkt des Hocharn

Viele Dreitausendergipfel Salzburgs und Tirols werden in diesen Tagen von Skibergsteigern aus dem In- und Ausland gestürmt. Allein auf dem Hocharn (3.254 m) am südwestlichen Ende des Rauriser Tales im Unterpinzgau waren am Wochenende täglich bis zu 600 Skibergsteiger unterwegs – einige mit augenscheinlich erheblichem Risiko. Ähnliche Szenen waren auch auf dem Rauriser Sonnblick (3.105 m) zu beobachten, dem direkten Nachbarn in der Reihe schöner Gletscherberge.

Hunderte Gipfelbesteigungen pro Tag

Viele Tourengeher brechen nicht früh genug auf, sagen Experten. Und wenn sie dann auch zu spät vom Gipfel abfahren, steigt an warmen Frühlingstagen die Gefahr von Nassschneelawinen. Der Rauriser Bürgermeister Loitfellner (SPÖ) beobachtet, dass immer mehr Anfänger unterwegs seien. Er rät dringend davon ab, in der Früh zu spät zu starten, und die Mitnahme der empfohlenen Notausrüstung sei besonders wichtig.

„Man kann Leben damit retten. Ich appelliere an den Kreis der Erfahrenen, dass sie auf Laien und Anfänger positiv einwirken. Das ist eine riesige Herausforderung. Wenn nach 11.00 Uhr da im Aufstieg noch jemand nicht in Gipfelnähe ist, dann ist das natürlich sehr gefährlich“, so der sozialdemokratische Gemeindepolitiker, der sich hauptberuflich sein Brot als Bergbauer verdient.

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5.000 Euro Maut an einem Wochenende

Der Bürgermeister freut sich andererseits auch über den Ansturm, der von Jahr zu Jahr stärker wird. Die meisten Tourengeher benützen die Mautstraße vom Rauriser Ortsteil Bodenhaus zum Großparkplatz Lenzanger - fast bis nach Kolm Saigurn - und bezahlen pro Auto neun Euro Tagesmaut. Allein am Samstag wurden mehr als 300 Auffahrten gezählt, am Sonntag 250. Das macht allein am vergangenen Wochenende Einnahmen von circa 5.000 Euro für die kleine Unterpinzgauer Gemeinde. Diese werde das Geld in den Nationalpark Hohe Tauern investieren, sagt Loitfellner.

Rauriser Sonnblick Hocharn Kolm Saigurn Nationalpark Hohe Tauern

Gerald Lehner

Vor Tagesanbruch noch menschenleeres Umfeld beim Rauriser Sonnblick: Die Massen kommen viel später

Notausrüstung wichtig

Noch immer trifft man Bergfreunde in größeren Seehöhen, die keine Verschütteten-Suchgeräte (LVS) dabeihaben oder vorhandene nicht einschalten. Das zeigte auch der ORF-Lokalaugenschein am Wochenende auf dem Hocharn bei Rauris. Methodik der Erkundung: Wer sein eigenes Gerät auf Empfang stellt, kann leicht erkennen, ob Alpinisten in der Nähe die ihren eingeschaltet haben oder nicht. Eine Frau aus Oberösterreich antwortete auf unsere freundliche Anfrage zu ihrem fehlenden Gerät: „Das brauche ich nicht, hat eh alles mein Mann dabei. Der ist schon viel weiter oben unterwegs.“

Nicht selten haben auch jüngere Hochleitungssportler - trotz der taktischen Anforderungen in der hochalpinen Wildnis – in ihren kleinen und sehr leichten Rucksäcken keine Lawinenschaufel dabei, wie sie für Skitouren abseits von gesicherten Pisten dringend empfohlen wird. Dazu kommt noch die allgemeine Notausrüstung: Verschütteten-Suchgerät, Stabsonde und einige andere Utensilien.

Massenskitour

Paul Sodamin

Konzentrierte Hangbelastungen sollten vermieden werden

Geringe Sicherheitsabstände

Dass angesichts dieser Entwicklung und der wachsenden Zahl von Tourengehern nicht deutlich mehr Unfälle geschehen, überrascht und freut ehrenamtliche Einsatzkräfte und professionelle Bergführer. Andererseits fragen sich Experten, wie lange sich das Glück in den Bergen auf diese Art noch strapazieren lässt. In Fachkreisen wird zum Beispiel auch nicht gern gesehen, wenn sich lange Marschkolonnen im Steilgelände beim Aufstieg über- und untereinander in die Quere kommen.

Hangbelastungen und die Gefahren für alle verstärkten sich dadurch, sagt Günther Karnutsch, Chef des Salzburger Verbandes der staatlich geprüften Berg- und Skiführer: „Angesichts langer Schlangen in den Anstiegsspuren ist schon von fern sichtbar, dass immer mehr Laien in anspruchsvollem Gelände unterwegs sind – ohne die erforderlichen Sicherheitsabstände. Ich bin ratlos, wie wir das positiv beeinflussen können. Wir müssen uns bei der Kritik auch selbst an der Nase nehmen. Das ganze Mahnen nützt nichts. Es bleibt die Hoffnung, dass nichts passiert.“

Rauriser Sonnblick Hocharn Kolm Saigurn Nationalpark Hohe Tauern

Gerald Lehner

Nicht mehr lange bis Sonnenaufgang: Halbmond über den Hohen Tauern

Nassschneelawinen sehr gefährlich

Der ideale Firngenuss wartet nach dem Frost der klaren Frühlingsnächte in den meisten Hängen schon zwischen 10.00 und 11.30 Uhr. Wer später abfährt, kann schnell bis zu den Knien in schwerem Sulz „versinken“. Der ist dann das Umfeld für Nassschneelawinen. Im Vergleich zu „trockenen“ Schneebrettern und Staublawinen gelten diese zwar als langsam und träge. Wer jedoch in ein solches Monster gerät, kann wegen der oft riesigen Ausmaße und der enormen Dichte der Schneemassen rettungstechnisch äußerst schlechte Karten haben.

Rauriser Sonnblick Hocharn Kolm Saigurn Nationalpark Hohe Tauern

Gerald Lehner

Licht des Tagesanbruches

„Ratschläge kommen eher nicht gut an“

Der mit 69 Jahren noch immer sehr leistungsfähige Skibergsteiger und Allround-Alpinist Johann Reinegger aus Bischofshofen (Pongau) war am Wochenende auch in den Rauriser Bergen unterwegs.

Hannes Reissegger Skitourengeher

Gerald Lehner

Routinier Reinegger am Wochenende bei Kolm Saigurn

Der pensionierte Eisenbahner brach in Kolm Saigurn sehr früh zu seiner Tour auf. Was er bei der Abfahrt von anderen zu sehen bekam, machte ihn wieder einmal nachdenklich: „Ich habe es mittlerweile aufgegeben, auf andere Leute einwirken zu wollen. Du mutierst da in deren Augen sehr schnell zum Oberlehrer, wirst manchmal sogar beschimpft, auch wenn du es höflich und nett rüberbringst. Das geht dich einen Dreck an, habe ich auch schon gehört. Es ist schwierig und wird immer schwieriger, je mehr Leute unterwegs sind. Hoffen wir einfach, dass viele noch gut dazulernen und bis dahin weiter nichts Gröberes passiert. Absolute Sicherheit gibt es ohnehin nie.“

Reinegger hört nun für heuer nach den Firnschwüngen in Rauris schon mit dem Tourengehen auf - trotz der noch immer hervorragenden Schneelage: „Ich habe das Mountainbike vor ein paar Tagen schon ausgewintert. Da finde ich nach dem Training immer so schöne und stille Platzerl zum Genießen.“

Gerald Lehner, salzburg.ORF.at

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