„Wüterich“ Toscanini bekämpfte Nazis

Vor genau 150 Jahren wurde der Dirigent Arturo Toscanini geboren. Der wegen seines Temperaments als „Wüterich“ bekannte Superstar nutzte ab 1935 die Salzburger Festspiele für den Kulturkampf gegen die Nazis in Deutschland - bis fast zum „Anschluss“.

Arturo Toscanini

United States Library of Congress

Im New Yorker Exil

Sein Geburtstag jährt sich am 25. März. „Er stellte ein neues Werkverständnis in den Mittelpunkt, bei dem es in erster Linie auf die Aussage der Partitur und den mutmaßlichen Willen des Komponisten ankam, nicht auf das, was ‚schon immer so gemacht‘ wurde“, sagt Musikwissenschaftler Daniel Brandenburg von der Universität Salzburg.

Innovator, Modernist, Hitler-Gegner

Der Italiener Toscanini habe lange vor dem Zweiten Weltkrieg den noch heute als modern geltenden Dirigierstil und ein modernes Verständnis von musikalischer Interpretation begründet. Als innovativer Querdenker im Sinne der Musik habe er sich bei Wagner in Bayreuth den Orchestergraben abgeschaut und ihn zum Beispiel auch in Mailand eingeführt.

Als „unbeugsamer, aufrechter Vertreter seiner musikalischen, menschlichen und politischen Überzeugungen“ - wie Brandenburg ihn beschreibt - weigerte sich Toscanini unter den Nazis, in Deutschland zu spielen. Auch im Italien Mussolinis hielt er es nicht lange aus, 1937 ging er nach New York ins Exil, wo er das NBC-Rundfunk-Orchester leitete. Auf Schallplattenaufnahmen ist der unvergleichliche Toscanini-Stempel zu hören, mit seinem Tempo und seiner Präzision.

Turbo für Festspiele in Krisenzeiten

Als Toscanini im Sommer 1935 begann, auch bei den - durch Hitlers Machtübernahme im nahen Deutschland krisengeschüttelten - Salzburger Festspielen zu dirigieren, stellte sich das internationale Publikum wieder scharenweise ein. Zunächst kümmert er sich um zwei Opern: „Falstaff“ und „Fidelio“.

Seit 1927 war die Auslastung des Festivals nur ein einziges Mal ein wenig höher als 70 Prozent gewesen: 1930. Und jetzt - 1935 - im ersten Opernjahr Toscaninis, kletterte diese Statistik auf 85 Prozent Und das bei anhaltender Tausend-Mark-Sperre durch die Nazis gegen Österreich. Deren Bedeutung für den österreichischen Fremdenverkehr kann man ermessen, wenn man bedenkt, dass 1932 der Anteil der deutschen Staatsbürger am österreichischen Tourismus 40 Prozent betrug.

Legendäre Wutausbrüche

Arturo Toscanini

Deutsches Bundesarchiv / CC BY-SA 3.0 de

Toscanini auf einem Bahnhof in Norditalien, 1931

„Nein, nein, nein, ein Graus, eine Sauerei!“ Oder: „Es ist immer noch nicht gut!“ Auf YouTube kann man Stunden damit verbringen, die Wutausbrüche eines Italieners zu verfolgen - oder einige seiner beeindruckendsten Konzerte, bei denen es scheint, als würde er das Orchester führen wie eine Marionette.

Dirigieren gegen Hitler

Die Salzburger Festspiele stellten nach 1933 - nach Hitlers Machtübernahme in Deutschland ein Refugium des Kulturprotestes gegen die Nazis dar. Eine zentrale Rolle dabei nahm Toscanini ein, der zu seiner Zeit gut und gerne als der bekannteste Dirigent der Welt bezeichnet werden konnte - mehr dazu oe1.ORF.at

Wie erinnert sich seine Heimat?

In Italien wird an den wohl berühmtesten Orchesterleiter des 19. und 20. Jahrhunderts mit zahlreichen Konzerten, Ausstellungen und Veranstaltungen erinnert, in den Zeitungen sind Würdigungen zu lesen - dabei wurde er zu Lebzeiten längst nicht nur geliebt. Er verlangte seinen Musikern und sich selbst Perfektion ab und ging als „Maestro assoluto“ in die Geschichte ein. Das Publikum von New York bis Mailand feierte ihn - und mit welcher Präzision er seine Musiker leitete, war selbst im Radio zu hören.

Hochbegabt aus einfachen Verhältnissen

Toscanini wurde am 25. März 1867 als Sohn eines Schneiders in Parma geboren. Eine Lehrerin war es, die seine außergewöhnlichen Talente entdeckte. Nach einem Mal Lesen konnte er ganze Gedichte auswendig aufsagen. Auf dem Klavier traf er jede Note sofort, die soeben noch gesungen wurde. Mit neun Jahren kam der Hochbegabte ins Konservatorium. Noch als Erwachsener sprach er von „Gefängnisatmosphäre“. Als Internatsschüler konnte er seine Eltern nur einmal pro Woche sehen. Nach dem Abschluss schlug er sich als Cellist und ohne festes Engagement durchs Leben.

Ins kalte Wasser gesprungen in Rio

Dann das unvorhergesehene Debüt: Als 19-Jähriger - Toscanini hatte noch nie eine Oper dirigiert - war er als Cellist mit dem Impresario Claudio Rossi auf Südamerikatournee. In Rio de Janeiro warf Rossi nach einem Streit den bisherigen Dirigenten hinaus und teilte Toscanini nur Minuten vor der Aida-Aufführung mit, dass er nun ans Pult müsse. Als Grundlage diente Toscanini lediglich ein Klavierauszug. Ohne kompletten Notensatz griff Toscanini zum Taktstock und dirigierte aus dem Gedächtnis. Mit sehr großem Erfolg beim brasilianischen Publikum. Von da an ging es nur noch steil bergauf.

Riesiges Arbeitspensum begründet Weltruhm

1886 berief man ihn an das Teatro Carignano in Turin, wenig später ging er an die Mailänder Scala. Im Jahr 1907 verließ er nach Querelen das Haus und übernahm die künstlerische Leitung der New Yorker Metropolitan Opera. In der beeindruckenden Liste seiner Uraufführungen reihen sich „Pezzi sacri“ von Giuseppe Verdi, „Bajazzo“ von Ruggiero Leoncavallo, „La Boheme“ und „Turandot“ von Giacomo Puccini sowie Opern von Umberto Giordano und Ildebrando Pizzetti aneinander. Und Toscanini blieb dabei: Er dirigierte die Konzerte und Opern aus dem Gedächtnis.

Adorno als harter Kritiker

Sein Erfolg brachte ihm auch Kritik und Rivalitäten ein. Musik-Philosoph Theodor W. Adorno etwa nannte Toscaninis Musik „Fertigfabrikat“ und den Maestro selbst „Kapellmeister“ und „Taktschläger“. Der deutsche Konkurrent Wilhelm Furtwängler nannte Toscaninis Erfolg einst „verhängnisvoll“ und bedauerte, „dass in Amerika die Menschen meinen, dass Beethoven so klingen soll“. Schlagfertig wie Toscanini war, revanchierte er sich bei seinem Widersacher und nannte ihn einen „Hanswurst“.

Am strengsten aber blieb Toscanini mit sich selbst. Lief bei einem Auftritt etwas schief, sagte Toscanini, „ist das immer meine Schuld, wer glaubt, dass Mozart, Beethoven, Wagner oder Verdi sich irren, ist ein Idiot“. Im Alter von fast 90 Jahren starb Toscanini in einem Vorort von New York, seine letzte Ruhestätte fand er wie so viele andere Opern-Größen auf dem Mailänder Zentralfriedhof.

„Übervater der heutigen Dirigenten“

Heute gilt er als „sagenhaft, wegweisend und italienisch“, wie ihn der junge Musikdirektor aus Bologna Michele Mariotti bezeichnet, der soeben ein Konzert zu Ehren Toscaninis dirigiert hat. „Er hat die Welt erobert, ohne zu vergessen, von wo er kam.“ Ein Vergleich mit anderen Orchesterleitern würde Toscanini nicht gerecht, sagt Musikwissenschaftler Brandenburg: „Ich finde, dass er ruhig der ‚Übervater‘ heutiger Dirigenten bleiben kann.“

Lena Klimkeit - Deutsche Presse Agentur, oe1.ORF.at

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