Zwei Arbeiter verbrannt: Angeklagte weisen Schuld zurück

Beim Landesgericht Salzburg hat Mittwoch der Prozess um den Feuertod zweier Arbeiter in der Salzburger Aluminiumfabrik (SAG) in Lend (Pinzgau) begonnen. Alle Angeklagten bekannten sich beim Start des Verfahrens nicht schuldig.

Der beschuldigte Staplerfahrer, der die Türe zur Vorwärmekammer des Industrieofens geschlossen hatte, und den die Staatsanwältin „als unmittelbaren Täter“ bezeichnete, bekannte sich ebenfalls nicht schuldig. Die beiden verunglückten Kollegen hätten jede Sicherheitsvorkehrung außer Acht gelassen, erklärte der Verteidiger des 53-jährigen Erstangeklagten.

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Verfahren soll einen Monat dauern

ORF-Redakteur Jörg Eisenberger hat mit einem TV-Team den Auftakt des Prozesses verfolgt.

Anwalt verweist auf Vertrauensgrundsatz

Warum die zwei Kollegen diese Sicherheitsmaßnahmen wie das Ausschalten des Hauptschalters der Kammer, die Anbringung eines Schlosses und Hinweisschildes sowie die Unterlegung der Türe mit Blöcken zum Schutz vor einer Schließung nicht eingehalten hätten, das werde hier niemand im Gerichtssaal beantworten können, erklärte der Verteidiger. Der 56-Jährige, der dann bei dem Unfall verbrannte, habe bis dahin immer seine Kollegen darüber informiert, wenn Reparatur- oder Instandhaltungsarbeiten in der Vorwärmekammer durchgeführt wurden: „Mein Mandant konnte sich auf den Vertrauensgrundsatz verlassen, dass jeder im Unternehmen die Vorgaben einhält.“

Voller Gerichtssaal beim Prozess rund um die getöteten Arbeiter der SAG Lend

APA/Neumayr/MMV

Wegen der beiden Toten in der SAG Lend im März 2012 wird seit Mittwoch am Landesgericht verhandelt

Detailierte Schilderung von Vorgängen

Für den Erstangeklagten sei auch nicht erkennbar gewesen, dass sich Personen in der Kammer befanden, sagte der Verteidiger. Der 53-Jährige habe zuvor in der Vorwärmekammer 1 bemerkt, dass an der Rückseite ein Blech lose geworden sei. „Er hat den Schaden gemeldet.“ Bei einer Besichtigung mit einem anderen Mitarbeiter sei ihm von diesem mitgeteilt worden, dass der 56-jährige Schlosser den Schaden reparieren werde, er sei aber nicht über den Zeitpunkt informiert worden. Sein Mandant habe dann weitergearbeitet und etwa gegen 9.00 Uhr die Türe der Vorwärmekammer geschlossen - die Betriebstemperatur beträgt 300 bis 500 Grad Celsius. Als er gegen 13.30 Uhr die Kammer öffnete, habe er die beiden Leichen bemerkt.

Anwalt des Unternehmens: „Alles war genehmigt“

Der Anwalt des beschuldigten Unternehmens, Rechtsanwalt Philipp Lettowsky, der auch zahlreiche Angeklagte vertritt, erklärte, dass zu der zertifizierten Anlage zwei unbedenkliche und zweifelsfreie EU-Konformitätserklärungen abgeliefert worden seien, die auf rechtlichen Normen und Vorgängen basierten. Eine Firma könne darauf vertrauen, dass die gelieferte Anlage dem Stand der Technik entspreche. Zudem habe das Werk 3, in dem sich die Anlage befand, „soweit erforderlich, eine Betriebstättengenehmigung“. Knapp ein Jahr vor dem tragischen Unfall sei die gesamte Betriebsanlage im Werk 3 von externen Experten nach der Gewerbeordnung geprüft worden und dabei sei nichts bedenkliches festgestellt worden.

Lettowsky verwies ebenfalls auf den Vertrauensgrundsatz bei einer arbeitsteiligen Arbeitsweise unter den Mitarbeitern: „Die Routine wird unterbrochen, wenn vorgeschriebene Sicherheitsvorkehrungen nicht befolgt werden.“ Nichts Anderes sei am 8. März 2012 geschehen. Lettowsky bestritt auch den Vorwurf der Staatsanwaltschaft, dass die Anlage schwerwiegende sicherheitstechnische Mängel aufgewiesen hätte, und diese Mängel nicht gemeldet worden seien. Die Installierung einer Warnleuchte und einer Warnhupe sei nicht kausal für das Unglück gewesen, sagte der Verteidiger.

Weiter Kritik des Sachverständigen

Der Gerichtssachverständige für Elektrotechnik war aber zu der Ansicht gekommen: Wenn fünf bis zehn Sekunden, bevor das Tor der Vorwärmekammer schließt, einen Anlaufhupe ertönt, dann „müssen das auch die beiden Arbeiter hören“. Auch wenn diese einen Gehörschutz tragen würden, der die Lautstärke etwa um 30 Dezibel auf 70 Dezibel dämpft: „Eine Warnhupe wird auch von der Norm her gefordert.“ Doch mehrere Verteidiger stellten einen Ablehnungsantrag gegen den Gerichtsgutachter. Sie halten ihn für nicht objektiv und daher befangen. Die Anwälte verwiesen dabei auch auf „emotionale Äußerungen des Sachverständigen während seiner Gutachtertätigkeit“. Wenige Tage nach dem Unfall habe er im Werk 3, wo es zu dem Unfall gekommen ist, erklärt, die Anlage sei „sowieso nicht in Ordnung“. „Seine Unparteilichkeit wird in Zweifel gezogen“, sagte Anwalt Lettowsky.

Kein Austausch des Sachverständigen

Richterin Anna-Sophia Geisselhofer lehnte den Antrag auf Enthebung des Gerichtssachverständigen ab. Die Begutachtung durch den Experten sei umfangreich gewesen. Und dabei sei keine rechtliche Bewertung vorgenommen worden.

Opferanwalt Stefan Rieder forderte für drei Hinterbliebene, die einen „Schockschaden“ erlitten hätten, ein Teilschmerzensgeld von jeweils 35.000 Euro und für einen weiteren Angehörigen wegen des erlittenen „Trauerschadens“ 20.000 Euro. Alle Angeklagte sind bisher unbescholten. Sie sind österreichische, deutsche und britische Staatsbürger.

Was geschah am Unglückstag?

Im März 2012 verbrannten die zwei Arbeiter - 49 und 56 Jahre alt - in einer Vorwärmkammer des Aluminiumwerks. Sie wollten in diesem knapp drei mal drei Meter großen Raum Reparaturarbeiten durchführen. Ein Kollege sah die beiden nicht, schloss die Tür und startete den Heizvorgang - mehr dazu in SAG-Unglück: Tragischer Irrtum als Ursache (salzburg.ORF.at; 12.3.2012).

Aluminiumwerk: Getötete selbst schuld

Die Angeklagten und das Aluminiumwerk hingegen sehen die Schuld bei den zwei Opfern: Die beiden hätten vier Sicherheitsvorschriften ignoriert, die beim Betreten der Vorwärmkammer zu beachten sind: „Der Hauptschalter der Anlage muss herausgenommen werden“, sagte SAG-Unternehmenssprecher Hannes Rest am Mittwoch: „Der wird mit einem Vorhängeschloss gesichert. Die Anlage wird vom Strom genommen, es wird auf Handbetrieb umgeschalten. Es gibt die Unterlegskeile in der Tür und ein Warnschild, sodass für alle klar ist, dass Arbeiten in der Kammer passieren.“ Zudem habe die Kammer sehr wohl eine Betriebsgenehmigung und sei auch laufend überprüft worden.

Opfervertreter sieht „Sorgfaltswidrigkeiten“

Dass die getöteten Arbeiter Fehler gemacht hätten, sei unbestritten. Doch nun gehe es um die Frage, wer an dem Unglück mitschuld sei, betont Hinterbliebenen-Anwalt Stefan Rieder: „Die Staatsanwaltschaft hat nicht aus Jux und Tollerei einen Strafantrag gemacht. Wenn man sich diese Gutachten zu Gemüte führt, und sie nicht nur selektiv liest, wie das manche Vertreter des Unternehmens offenbar tun, kommt man ganz klar zu dem Ergebnis, dass hier ein Sammelsurium von Sorgfaltswidrigkeiten vorliegt.“

Prozess soll rund einen Monat dauern

Von den ursprünglich 19 Beschuldigten blieben zum Prozessauftakt 17 übrig: Zwei Strafanträge gegen zwei Personen wurden noch in letzter Minute zurückgezogen. Außerdem wurde ein Strafantrag gegen einen weiteren Beschuldigten vom Verfahren getrennt. Nach dem derzeitigen Prozessfahrplan soll in zehn Verhandlungstagen die Schuldfrage geklärt werden. Geplant ist das Urteil für den 8. Juli. Den Angeklagten drohen bei einem Schuldspruch bis zu drei Jahre Gefängnis. Bei einer Verurteilung der Firma könnte eine Geldstrafe verhängt werden.

Warum neben Firmenangehörigen auch das Unternehmen selbst angeklagt ist, erklärte Staatsanwaltschaftssprecher Robert Holzleitner so: „Nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz kann auch eine juristische Person strafrechtlich belangt werden, wenn aufgrund von Organisationsverschulden, von Missständen im Unternehmen der Vorwurf gemacht werden kann, dass es zu einem Schaden gekommen ist.“

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