2015: Salzburg als Drehscheibe für Flüchtlinge

Die Flucht vor Krieg, Terror und Not hat heuer Salzburg getroffen wie seit Jahrzehnten nicht. Während sich private Hilfs-Initiativen hervor taten, kamen auch Ausländerfeindlichkeit und Gegenwehr auf.

Anfang des Jahres war die Aufregung noch groß wegen einem neuen Asylquartier in einer Gemeinde, wegen der Zelte auf dem Gelände der Polizeidirektion in der Salzburger Alpenstraße oder wegen des Durchgriffsrechts des Bundes. Monatelang stritten sich Bund, Land und Gemeinden, wer denn dafür verantwortlich sei, dass es zu wenige Plätze für Asylwerber gibt.

Die Dimension der Problematik wird zu diesem Zeitpunkt allerdings noch unterschätzt oder verdrängt, bis die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ankündigte, dass Syrer in Deutschland bleiben dürfen. Innerhalb weniger Stunden standen Flüchtlingsmassen am Salzburger Hauptbahnhof und Salzburg wurde zur Drehscheibe auf dem Weg nach Deutschland.

Salzburg wird über Nacht zur Drehscheibe

Am 31. August kamen die ersten Züge mit Flüchtlingen aus Ungarn kommend in Salzburg an. Das Ziel der Menschen an Bord war Deutschland. Österreich wurde zum Korridor, die Polizei ließ die Menschen durch und das Fremdengesetz wurde ausgesetzt - ein politischer Schulterschluss zwischen Österreich und Deutschland. In Salzburg mussten die Flüchtlinge umsteigen und teils hier übernachten - 1.500 Flüchtlinge auf Hauptbahnhof (salzburg.ORF.at; 1.9.2015).

Polizei sperrte Rolltreppe am Hauptbahnhof ab

Wildbild.at

Der Hauptbahnhof wurde für viele Flüchtlinge zur vorläufigen Endstation

Viele Freiwillige kamen zum Bahnhof um spontan zu helfen, etwa Mirjam Zimmermann: „Die Menschen brauchen etwas zu essen und zu trinken. Da hilft man, und es gibt keine Ausreden.“ So ging es Tage weiter, bis zum 13. September durchquerten tausende Flüchtlinge Salzburg.

Grenzkontrollen und Bahnstopp erregen Gemüter

Dann zog Deutschland allerdings die Notbremse, führte Grenzkontrollen ein und stoppte reguläre Züge. Diese Maßnahmen sollten den Strom der Flüchtlinge verlangsamen, und Salzburg wurde für Tausende auf dem Weg nach Deutschland zur Sackgasse.

Die Bahnhofs-Tiefgarage wurde zum Transitlager umfunktioniert um die Flüchtlinge versorgen zu können, Einsatzorganisationen und freiwillige Helfer waren rund um die Uhr im Einsatz. Der Bahnhof selbst stand mehrmals kurz davor, wegen Überlastung gesperrt zu werden. Das Problem war, dass die Einsatzkräfte nur kurzfristig erfuhren wann und mit wie vielen Flüchtlingen an Bord Züge ankamen - Bahnhofsgarage wird Flüchtlingscamp (salzburg.ORF.at; 11.9.2015).

Da es oft nur zäh weiterging und die Flüchtlinge nicht mehr am Bahnhof warten wollten, machten sich viele zu Fuß auf den Weg zum Grenzübergang nach Freilassing (Bayern). Dort errichteten Stadt und Land ein Lager. Dennoch litten vor allem Kinder immer wieder unter dem schlechten Wetter.

Wochen und Monate verstrichen, Abläufe spielten sich ein und wurden zur Routine, und die alte Autobahnmeisterei bei der Autobahnabfahrt Salzburg-Mitte wurde zur neuen Haupt-Anlaufstelle.

Freilassing Flüchtlinge Flucht Grenze Grenzübergang

ORF

Immer wieder drohte die Lage an der Grenze nach Freilassing zu eskalieren

Freiwillige und Hilfsorganisationen am Limit

Politisch wurden die Fäden im Hintergrund gezogen, vorne an der Front standen aber nach wie vor freiwillige Helfer und Einsatzkräfte. Sie arbeiteten am Limit.

Der Ausnahmezustand wurde langsam zum Alltag, wer die Stadt mied, bekam nichts davon mit. Allerdings: Anrainer beschwerten sich über Müll und Lärm, die langen Wartezeiten an den Grenzen nervten die Autofahrer und Geschäftsleute klagten über weniger Kunden. Und über allem stand die Frage, wie lange das noch so weitergehen sollte - Verkehrskollaps durch Grenzkontrollen (salzburg.ORF.at; 14.9.2015).

Dolmetscher der Caritas mit Flüchtlingen am Salzburger Hauptbahnhof

Caritas Salzburg/Wildbild

Viele Freiwillige unterstützten die Einsatzorganisationen

Seit August 300.000 Flüchtlinge versorgt

Gegen Ende des Jahres wurde es dann deutlich ruhiger, aber auch aktuell warten täglich rund 1.000 Flüchtlinge in der alten Autobahnmeisterei auf die Weiterfahrt nach Deutschland. Insgesamt versorgte Salzburg seit Ende August rund 300.000 dieser Transitflüchtlinge mit dem Nötigsten. Je länger der Transitstrom andauerte, umso mehr Menschen entschieden sich dazu, in Salzburg um Asyl anzusuchen.

Aktuell sind hier rund 5.000 Personen in der Grundversorgung, die Menschen kommen aus dem Irak, Syrien und Afghanistan. Es sind aber auch Flüchtlinge aus Nicht-Kriegsgebieten dabei, und auch deswegen polarisierte das Flüchtlingsthema in der Bevölkerung so.

Hoch emotionale Diskussionen

Ein Graben zog sich durch die Bevölkerung, hoch emotional wurde diskutiert und jeder wollte mitreden, nicht nur wenn es um Quartiere in der eigenen Gemeinde ging.

Die europaweite Politik trug zur Verunsicherung bei. Österreich, Deutschland und Schweden nahmen am meisten Flüchtlinge auf, an einem Strang wurde aber nicht gezogen. Dazu gab es Überforderung und Hysterie und auch in der Politik oft Ratlosigkeit, sagte Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP): „Wir gehen sehenden Auges in den Abgrund. Ich habe keine Quartiere für den Anteil, den wir nehmen sollen. Wir bekommen die Quartiere schon jetzt nur mit Hängen und Würgen zusammen.“ - Asyl: Haslauer sieht Land „am Abgrund“ (salzburg.ORF.at; 24.11.2015).

Da waren etwa die Zelte im Frühjahr, umgebaute Hallen und Container, die Quartiersfrage blieb aber. Momentan leben in zwei Drittel der Salzburger Gemeinden Asylwerber, Fragen der Integration bleiben aber. Wie es gelingen kann, das zeigen Beispiele: Die Tourismusschule Bischofshofen etwa, die eine eigene Klasse für Flüchtlinge aufgemachte.

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar

Salzburg als Drehscheibe für Flüchtlinge

Raffaela Schaidreiter berichtet über die Flüchtlingssituation, die Salzburg im JAhr 2015 in Atem gehalten hat.

Experte sieht EU in „existentieller Situation“

Solche Integrationsprojekte müssten aber auf eine breitere Basis gestellt werden, sagen Experten. Da sich viele Regionen Europas aber weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, könnte diese Frage die Zukunft der Europäischen Union gefährden, sagt der ehemalige Salzburger Landeshauptmann Franz Schausberger, nun Vorstand des Instituts der Regionen Europas: „Die EU ist durch die Flüchtlingsfrage in eine existenzielle Situation geraten. In vielen Staaten werden rechtspopulistische, rechtsextreme aber auch linkspopulistische Gruppierungen sehr stark und übernehmen zum Teil auch die Regierungsmacht.“

In den Gremien der EU würden diese Staaten aber nicht nur eine Flüchtlings-kritische oder -ablehnende Position vertreten, sondern generelle eine sehr kritische Haltung gegenüber der EU: „Hier verbinden sich zwei sehr negative Ströme, die für die EU existenzbedrohend sind.“

Dass das christlich geprägte Europa vom Islam überrollt wird, davon könne man nicht sprechen, sagt Franz Schausberger: „Das ist sicher nicht der Fall. Nicht nur die Flüchtlinge müssen aufgeklärt werden, wie unsere Kultur hier ist, sondern wir müssen auch die Österreicherinnen und Österreicher informieren, was sie erwartet, wenn die Flüchtlinge zu uns kommen.“ Es sei außerdem in der Geschichte nachlesbar, dass gerade dort, wo man nicht unmittelbar mit jenen Menschen, denen man ablehnend gegenübersteht, konfrontiert ist, die Ablehnung am größten sei.