Das „vergessene“ Russen-Lager Grödig

Dass sich in Grödig (Flachgau) eines der größten Kriegsgefangenenlager Europas befand, ist nur wenigen bekannt. Historiker befassen sich 2014 in einem neuen Buch und in der Ausstellung des Salzburg Museums - über den Ersten Weltkrieg - mit dem Thema.

Gleich nach Beginn des Ersten Weltkrieges sind im Herbst 1914 in Salzburg die Vorbereitungen für ein riesiges Kriegsgefangenenlager getroffen worden. Bis zu 40.000 Gefangene und auch Flüchtlinge wurden von 1915 bis 1920 nahe der Salzburger Stadtgrenze in Grödig und Niederalm in Baracken gepfercht. Das Elend war wegen Krankheiten und der Lebensmittelknappheit in den späteren Kriegsjahren groß.

Erster Weltkrieg Gedenkjahr 2014 Kriegsgefangenenlager Grödig

Salzburg Museum

Russen-Lager in Grödig

Neues Buch über Ersten Weltkrieg

„Das Lager bestand aus mehreren Teilen. Es gab ein klassisches Kriegsgefangenenlager und ein Flüchtlingslager für Menschen, die vor der russischen Armee geflüchtet sind oder die abgesiedelt wurden“, sagte Oskar Dohle, Direktor des Salzburger Landesarchivs und mehrfacher Buchautor der Austria Presse Agentur (APA).

Gerda Dohle, ebenfalls Historikerin, stellt dieser Tage einen Beitrag für ein neues Buch über den Ersten Weltkrieg in Salzburg und das Lager Grödig fertig. Es erscheint im Juni 2014. Gerda und Oskar Dohle haben dafür u. a. die Gendarmerie-Chroniken des Postens Grödig ausgewertet, wo vielerlei Vorkommnisse und Tragödien dokumentiert werden mussten.

Ausstellung im Salzburg Museum

Die Geschichte des Lagers Grödig ist auch Teil der geplanten großen Sonderausstellung über den Ersten Weltkrieg und seine Folgen für die Bevölkerung - zu sehen im Salzburg Museum von 9. Mai bis 28. September 2014. Kuratorin und Hauptgestalterin ist die Salzburger Zeithistorikerin und Provenienzforscherin Susanne Rolinek.

Die Kriegsgefangenen in Grödig während und nach dem Ersten Weltkrieg waren vorwiegend Russen, aber auch Serben und Ostasiaten. Die Flüchtlinge, die ins Land strömten, kamen aus Osteuropa, der damaligen Donaumonarchie und der Westukraine. „Das Lager in Salzburg war aber nicht besser oder schlechter als andere Lager“, sagte Dohle. Die Behörden seien wegen der großen Anzahl von Menschen überfordert gewesen. „Ab Winter 1915/16 wurde es langsam dramatisch wegen der immer schlimmer werdenden Versorgung mit Lebensmitteln.“

Auch Lager in Mauthausen und Ranshofen

Dohle wies darauf hin, dass nicht nur in Grödig ein großes Kriegsgefangenenlager errichtet worden war, sondern auch in Mauthausen und in Ranshofen im benachbarten Oberösterreich. Der damalige Linzer Bischof habe den Kriegsgefangenen in Mauthausen Mut zugesprochen und sich dort das Fleckfieber geholt. „Er ist daran gestorben.“

Bischof Rudolph Hittmair, der sich zum Krankenpfleger ausbilden ließ, war am 5. März 1915 der ansteckenden Krankheit erlegen. Rund 8.000 serbische Kriegsgefangene sind auf dem Friedhof des Ersten Weltkrieges in Mauthausen begraben. Das dortige Lager befand sich übrigens in einem anderen Mauthausener Ortsteil als das spätere Konzentrationslager im Zweiten Weltkrieg.

Im April 1915 kamen die ersten großen Gefangenentransporte in Grödig an. Gegen Kriegsende lebten in den rund 300 Baracken des Kriegsgefangenenlagers rund 40.000 Menschen und damit um einige 1.000 mehr als die Stadt Salzburg Einwohner hatte: rund 35.000. Für soziale Kontakte und zur Ausübung der jeweiligen Religionen standen den Insassen eine Theaterbaracke, eine Bibliothek, Kirchen und ein muslimischer Gebetsraum zur Verfügung.

Teils katastrophale hygienische Zustände

Da ein Großteil der Gefangenen Russen waren, wurde das Lager in Grödig von der Bevölkerung als Russen-Lager bezeichnet. Wie in anderen Lagern auch traten zahlreiche Infektionskrankheiten auf. Es soll Tage gegeben haben, an denen 40 Menschen starben. Laut der Grödiger Gemeindechronik sind während der Lagerzeit über 2.000 Menschen gestorben, wie Gerda Dohle erklärte. „Die Zahl dürfte aber um einiges höher gewesen sein.“ Zeitzeugen berichteten von 17.000 bis 23.000 Toten.

Riesiger Friedhof beim Untersberg

Der sogenannte Russen-Friedhof in Grödig erinnert noch heute an das Gefangenenlager. Am 15. November 2014 findet dort eine Gedenkfeier statt. „Ungefähr 3.800 Personen sind auf dem Russen-Friedhof begraben“, schilderte Friedhofswärter Sepp Haslauer. „Das waren vorwiegend Russen, Serben und Italiener. Vom Glaubensbekenntnis her waren waren sie russisch-orthodox, jüdischen Glaubens, Katholiken und Muslime. Es wurden auch etwa 800 Kinder bestattet, sie kamen aus dem ehemaligen Flüchtlingslager aus der Vojvodina.“ Das österreichische Schwarze Kreuz ist mit der Pflege des Russen-Friedhofs betraut. Es kommt auch für die Kosten auf, die bei Allerheiligen-Sammlungen hereingebracht werden.

Aufstand unblutig beendet

Im April 1918 kam es in Grödig zu einem Lageraufstand, an dem sich rund 3.000 Insassen beteiligten. Er wurde vom Militär unblutig beendet. Nach Kriegsende wurde das Gefangenenlager aufgelöst. Ein kleiner Bereich diente in der Zwischenkriegszeit als Lehrlingserholungsheim, nach 1938 wurde es in eine „Führerschule“ der Hitlerjugend umfunktioniert. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges fanden Flüchtlinge in den übriggebliebenen Baracken eine Unterkunft.

Zum Gedenkjahr

Gerda Dohle hat in der im Juni 2014 erscheinenden Publikation „Salzburg im Ersten Weltkrieg. Fernab der Front - dennoch im Krieg“ (Herausgeber: Oskar Dohle und Thomas Mitterecker) einen Beitrag über das Kriegsgefangenen- und Flüchtlingslager in Grödig verfasst. Und das Salzburg Museum mit Kuratorin Susanne Rolinek widmet dem Ersten Weltkrieg zum Gedenkjahr eine Ausstellung unter dem Titel „Krieg. Trauma. Kunst. Salzburg und der Erste Weltkrieg“ von 9. Mai 2014 bis 28. September 2015.

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