Thomas Bernhard: „Kulturkampf“ beendet

Beim Thomas-Bernhard-Festival in Goldegg (Pongau) wurde nun nach 25 Jahren ein alter „Kulturkampf“ charmant beendet: Der Berliner Regisseur Claus Peymann und der ÖVP-Politiker Andreas Khol sind sich einig, der „Skandal“-Dichter Bernhard war eigentlich ein Konservativer.

Das Festival „Verstörungen“ von Kulturarbeiter, Hotelier und Haubenkoch Sepp Schellhorn wurde heuer im Herbst seinem Namen voll gerecht. Man höre, staune und sei leicht verstört: Der Schriftsteller, Aufrührer und Nestbeschmutzer Thomas Bernhard sei ein Patriot und konservativer Mensch mit großer Liebe zu Österreich gewesen. Das haben nun überraschenderweise in Goldegg bei einem Podiumsgespräch zwei einstige politische „Erzfeinde“ wie Claus Peymann und Andreas Khol gemeinsam festgestellt. Droht Bernhard nun ein Schicksal wie Mozart in Salzburg? Vom verfemten Avantgardisten zum Geheiligten und kommerziell Genutzten?

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Gerald Lehner

Berühmter Theatermann und einst vielfach angefeindeter „Piefke“ Claus Peymann im Schloss Goldegg (rechts) mit Moderator Michael Fleischhacker (früherer Chefredakteur der „Presse“) und ÖVP-Spitzenpolitiker Andreas Khol, Urgestein der Konservativen mit neuen Einsichten (links)

Großer Wandel im Geschichtsverständnis

Es war ein historischer Moment, denn so wird aus einem einstigen Feindbild des konservativen (inklusive sozialdemokratischen) bis rechten Teils des politischen Spektrums und aus einem „Staatsfeind“ wie Bernhard offiziell ein Heimatdichter. Und Khol betont nun mit fester Stimme des Gebirglers, vor 25 Jahren hätte er sicher nicht auf diese Art über Bernhard geurteilt: „Aber man wird mit den Jahren gescheiter.“ Langer Applaus im Publikum.

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Gerald Lehner

Peymann in Goldegg auf dem Dachboden des Schlosses

Beim Goldegger Kultur- und Bernhard-Festival „Verstörungen“ stellten sich der Berliner Regisseur Claus Peymann und der Tiroler Andreas Khol, früherer Klubobmann der ÖVP im Nationalrat und heutiger Bundeschef des schwarzen Seniorenbundes, auch der Diskussion mit dem Publikum. Es wurde ein spannender, gegensätzlicher und funkensprühender Abend, der auch von Selbstironie auf beiden Seiten, argumentativ gut geführten Attacken und einem grundlegenden Respekt vor dem scharfen Geist der anderen Seite getragen war. Zum Beispiel Peymann: „Herr Khol, Sie sind ein sehr gescheiter Mensch, aber ...“

„Heldenplatz“ zerstört Geschichtslügen

Der einstige ÖVP-Meinungsmacher und Klubchef Kohl hatte vor 25 Jahren zu den schärfsten Kritikern von Thomas Bernhard gehört. Damals hatten auch „linke“ Größen und Populisten wie Helmut Zilk und Bruno Kreisky (beide SPÖ) ihre Attacken auf Thomas Bernhard abgelassen - zum Gefallen des publizistischen Boulevards.

Khol outete sich nun in Goldegg als profunder Kenner des dichterischen Lebenswerkes von Bernhard und passionierter Besucher von Theaterstücken Peymanns, der er schon vor 25 Jahren gewesen zu sein scheint: „Ich war in allen Ihren Stücken an der Burg, meistens mit meiner Frau“, sagte Khol.

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Gerald Lehner

Khol sparte auch nicht mit lateinischen Zitaten

Der Berliner Regisseur hatte als damaliger Direktor des Burgtheaters in Wien auch Bernhards Stück „Heldenplatz“ auf die Bühne gebracht, in dem die verlogene Staatsdoktrin der Opferrollen Österreichs und vieler Österreicher während und nach dem Nationalsozialismus zerlegt wird.

1988 sorgte das messerscharfe Stück für einen veritablen und wochenlangen „Skandal“, bei dem auch „Kronenzeitung“ sowie das bürgerliche Organ „Die Presse“ viel Schaum vor dem Mund gehabt hätten, Österreichs Ehre besudelt sahen und noch ordentlich Öl ins Feuer gegossen hätten, wie es Peymann in Goldegg nun beschrieb. Khol nickte zustimmend.

Österreichs Opfermythos entsorgt

Andreas Khol betonte, die Aufführung von Bernhard-Stücken durch Peymann sei jedoch nicht - wie von Peymann mit leichtem Selbstlob dargestellt - der Beginn von Österreichs Katharsis und Erneuerung in Bezug auf seine Rolle im Nationalsozialismus gewesen. Der Wandel dieses Geschichtsbildes vom „Opfer“ zum „Täter“ habe schon viel früher begonnen, nämlich mit der Debatte um Kurt Waldheim und seine Gedächtnislücken über seine Funktion in der Hitlerarmee, wobei Khol nun in Goldegg zwischen den Zeilen Waldheim offenbar weiterhin zu verteidigen suchte. Doch Khol scheint längst auch ein vehementer Verfechter eines neuen Denkens zu sein.

Sehr viele NS-Verbrecher waren Österreicher

Der noch immer einflussreiche, frühere ÖVP-Klubobmann im Nationalrat verwies - fast schon mit Stolz in der Stimme - auch auf Bundeskanzler Franz Vranitzkys (SPÖ) offizielle Entschuldigung im Auftrag der damaligen Bundesregierung für die einstigen NS-Verbrechen. An diesen waren bis 1945 überproportional viele Österreicher führend beteiligt. Und Khol beleuchtete und würdigte auch eine Pionierrolle der späteren Bundesregierung von ÖVP und FPÖ unter Wolfgang Schüssel, die die Entschädigung für frühere Zwangsarbeiter der Nazis, die Gründung des Nationalfonds und andere Reformen gegen Geschichtslügen früherer Bundes- und Landesregierungen erst möglich gemacht habe.

Thomas Bernhard

ORF

Thomas Bernhard saß auf seiner Wolke und blickte herab

Zuhörer: „Wunderbarer Abend“

In Goldegg empfanden es viele Zuhörer als wohltuend, dass sich zwei politisch so gegensätzliche Zeitgenossen wie der bekennende, vielleicht einst auch radikale Linke Peymann - mit seiner beruflichen Unterstützung für ehemalige RAF-Mitglieder und Ex-Häftlinge - und der einst als Erzkonservativer bekannte Khol so zivilisiert und dennoch hart auf die Schaufel nehmen können: „Die Positionen, die Sie vertreten oder schon vertreten haben, die hängen mir zum Hals heraus“, kam sinngemäß von beiden Seiten. Schmunzeln vieler Zuhörer.

Auch der grüne Klubobmann im Salzburger Landtag, Cyriak Schwaighofer - ein gebürtiger Goldegger, kam ins Schloss und beurteilt das Geschehen so: „Das war eine Sternstunde intellektueller Auseinandersetzung. Vielen Dank für diesen wunderbaren Abend.“

„Kein Weltverbesserer, genauer Beobachter“

Einig sind sich Peymann und Khol, dass der einst so geschmähte Dichter Thomas Bernhard in seinem ganzen Lebensbild klar ein Konservativer gewesen sei. Er hatte sich wegen seiner Lungenkrankheit in Oberösterreich einen Bauernhof für den Lebensabend gekauft, um gute Luft aus einem nahen Wald um sich zu haben. In dieser Zeit wurde der Rebell Bernhard auch Mitglied des ÖVP-Bauernbundes, vermutlich, um als Nebenerwerbslandwirt steuerliche Vorteile zu haben. Khol und Peymann sind sich auch darin einig, dass Bernhard ideengeschichtlich kein „Linker“ gewesen sei, weil er die Welt nicht verbessern sondern nur zerlegen, analysieren und beschreiben habe wollen - mit Klartext.

Verweis auf Nazis in der SPÖ

„Hier unterschied er sich sehr von mir, denn ich will die Welt seit jeher verbessern“, sagte der Künstler und Theatermann Peymann: „Bernhard hasste Deutschland, und er hasste auch mich als seinen deutschen Regisseur.“ Khol schmunzelte dazu. Später zitierte der Schwarze in Goldegg wieder genüsslich seinen Bernhard und sagte, bei seinen Wahlkämpfen gegen die SPÖ habe er viele Passagen aus Bernhards Büchern auswendig hersagen können: „Sie nennen sich Sozialisten, dabei sind sie nur Nationalsozialisten“ - eine Anspielung Bernhards auf die vielen politischen Wehrmachtssoldaten, SS-Leute, Ex-Kriegsgefangenen und braunen Akademiker, die ab 1949 von der SPÖ in ihrem BSA und anderen Formationen der Partei aufgenommen, verharmlost und als Wahlvolk genutzt wurden. Die ÖVP stand diesem Treiben laut Historikern aber kaum nach.

„Kein Provokateur, sondern Angreifer“

Peymann wiederum wies die Theorie vehement zurück, die heute immer stärker um sich greife, auch bei Khol - na ja, Bernhard habe halt nur provozieren wollen, und das müsse man aushalten. Bernhard habe keineswegs „nur“ provozieren wollen, so Peymann: „Künstlern geht es schon auch darum, mit solchen Dingen das Bestehende grundlegend anzugreifen, um Falsches und Verlogenes zum Einsturz zu bringen.“

Ein Murren der Ablehnung ging durch das Publikum, als ein Zuhörer - offenbar großer Fan Thomas Bernhards - den „Berufspolitiker Khol“ massiv kritiserte und meinte, dieser hätte dieser ehrwürdigen Veranstaltung besser fernbleiben sollen. Der Abend wäre aber ohne die Gegenpole nicht einmal halb so unterhaltsam und interessant gewesen. Dessen ist sich auch der einheimische Arbeiter Toni Steinberger bewusst, der sich in der Publikumsdebatte ebenfalls zu Wort meldete.

Totengräber schon lange Fan von Bernhard

Der Totengräber der Gemeinde Goldegg gehört wie der ehemalige Bürgermeister der Nachbargemeinde St. Veit - Richard Donauer (ÖVP) - seit Jahrzehnten zu den Fans von Thomas Bernhard, als dieser vom konservativen bzw. sozialdemokratischen Mainstream noch in Grund und Boden verdammt wurde: „Bernhard war als junger Mensch ja länger bei uns in der Lungenheilanstalt Grafenhof als Todeskandidat und hat unsere Gegend immer wieder eindringlich beschrieben. Damals waren viele empört, als sie in Bernhards Texten auch lesen mussten, dass die meisten Menschen im Pongau wohl im Bierrausch gezeugt worden wären“, schmunzelt Steinberger:

„Aber seine Literatur schildert insgesamt die Härten von Kindheit, Jugend und Nachkriegszeit so anschaulich und eindringlich. Er war aus dieser Sicht wohl auch einer von uns“, sagt der Goldegger Gemeindearbeiter und Totengräber.

„Verstörungen“ mit Stars bis Sonntagabend

Die „Verstörungen“ in Goldegg dauerten bis Sonntagabend. Unter anderem setzten sich die Schauspielstars Ben Becker, Tobias Moretti und Birgit Minichmayr bei Lesungen mit Texten von Thomas Bernhard auseinander.

Gerald Lehner, ORF Radio Salzburg

Großes Feature über „25 Jahre Heldenplatz“ in ORF.at

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