Armut unter Roma: Schwere Kritik an EU

Der reiche Teil der EU tue viel zu wenig, um benachteiligte Regionen Osteuropas zu entwickeln. Das sei Hauptursache für extreme Armut vieler Roma und anderer EU-Bürger, die in Westeuropa zu überleben versuchen. Das sagte der Experte Norbert Mappes-Niediek am Montag bei einer Podiumsdiskussion in Salzburg.

Norbert Mappes-Niediek Journalist Autor Redakteur

radio-bremen.de

Mappes-Niediek gestaltet immer wieder auch Hörfunkproduktionen für deutsche Stationen aus Österreich, Ost- und Südosteuropa

Der deutsche Autor und Journalist Mappes-Niediek ist Korrespondent internationaler Medien auf dem Balkan, in Südost- bzw. Osteuropa und Österreich. Mit ihm und dem Salzburger Schriftsteller Karl-Markus Gauß saßen Montagabend zwei bekannte Experten für das Thema auf dem Podium des Stefan Zweig Centre in der Edmundsburg auf dem Salzburger Mönchsberg.

Kritik an Salzburger Wirtschaftstreffen

Mappes-Niediek betonte bei der Debatte, gerade im reichen und schönen Salzburg seien früher bei Treffen internationaler Wirtschaftsführer und Politiker verschiedene Maßnahmen vereinbart worden, die mit zur Verelendung breiter Bevölkerungsschichten in Rumänien, Bulgarien und anderen Staaten im Südosten Europas beigetragen hätten. Eine der Folgen sei die Auswanderung vieler Roma, die im reichen Westeuropa der extremen Armut in ihren Heimatregionen entfliehen wollten. Die EU wäre gut beraten, würde sie regionale Arbeitsmärkte und neue Industrien in diesen Staaten stärker fördern, anstatt sie durch ihre mangelnde Sozial- und Wirtschaftspolitik noch weiter zu zerstören.

„Hetze gegen Bettler“

Dem stimmte auch der Salzburger Autor Gauß zu, der in diesem Zusammenhang massive Kritik am europäischen Bankenwesen übte, das viel Geld aus Steuermitteln der Europäer immer wieder für sich lukriere - dank starker Lobbys in Brüssel und anderen Hauptstädten.

Gedenktag Roma-Attentat

ORF

Gedenkfeier für die von dem Rechtsradikalen Franz Fuchs ermordeten Roma im Burgenland

Diese Mittel sollten endlich von der EU für arbeitsmarktpolitische Projekte ausgegeben werden, forderte auch Gauß und kritisierte einmal mehr auch das Klima in Salzburg und anderen Städten Österreichs. Da werde von Politikern und Medien immer wieder ungeniert gegen Bettler und Roma öffentlich gehetzt - ohne sozial verträgliche Lösungsmöglichkeiten darzustellen.

Zuhörer bedauerten, dass zu der Salzburger Podiumsdiskussion am Montagabend keine Vertreter der Salzburger Politik aus Stadt und Land gekommen waren, um zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen und Gegenpositionen darzustellen.

Sklaven wie schwarze Arbeiter in Amerika

Mappes-Niediek verglich die historische Entwicklung bei den Roma und ihre Armut mit den Umständen der schwarzen Bevölkerung in den USA. Diese wurde Mitte des 19. Jahrhunderts nach dem Sezessionskrieg aus der Sklaverei befreit. Kaum jemand in Europa wisse, dass Roma genau bis in diese Zeit in Rumänien ebenfalls als Sklaven leben mussten: „Roma waren über viele Jahrhunderte vollständig Unterjochte, die nicht einmal ihren eigenen Körper besaßen. Familien konnten auseinandergerissen, ihre Mitglieder getrennt verkauft werden. Das wirkt nach bis in unsere Zeit, weil es bei ihnen nie Grundbesitz gab, den sie auch vererben hätten können.“

„Arme Roma, böse Zigeuner - Was an den Vorurteilen über die Zuwanderer stimmt“ war das Thema der Podiumsdiskussion. Das ist auch der Titel eines aktuellen Buches von Mappes-Niediek, das 2012 in Berlin erschien.

Pflichtlektüre neben „Hundeessern“ von Gauß

Sein Buch gehört mittlerweile zur Pflichtlektüre jener, die sich mit den vielschichtigen Problemen der Roma näher beschäftigen wollen. Ebenso wie das Basiswerk „Die Hundeesser von Svinia“ des Salzburgers Gauß, der für die Recherche wie der deutsche Kollege längere Zeiten in Roma-Siedlungen und Slums des östlichen Europa verbrachte.

Arme Roma , böse Zigeuner Norbert Mappes Niediek Buch Cover

Ch. Links Verlag

Cover des Buches von Mappes-Niediek, in dem dieser viele Urteile, Vorurteile und Hasstiraden gegen Roma und Bettler, Klischees, aber auch Beschönigungen aktueller Probleme und verschiedene Straftaten von Mitglidern der Roma-Volksgruppe genau unter die Lupe nimmt. Das Buch besticht durch viele Fakten, bisher oft unbekannte Hintergründe, gute Dramaturgie sowie eine klare und konkrete Sprache. Es ist frei von Fachchinesisch und auch im Unterricht an Schulen und Unis einsetzbar.

Warum kommen Roma in Osteuropa aus ihrem Elend nicht heraus? Warum zieht es so viele aus Rumänien und Bulgarien in westeuropäische Städte, wo sie auf der Suche nach einem besseren Leben sind - oft auch als Bettler?

Sind sie arm, weil sie diskriminiert werden, oder werden sie diskriminiert, weil sie arm sind? Sind sie arbeitsscheu, latent kriminell und dümmer als andere, wie populistische Politiker und manche Rassisten pauschal - oft nur hinter vorgehaltener Hand, aber auch in knallharten Wahlkämpfen auf Kosten von Minderheiten - behaupten?

Hunderttausende Arbeitsplätze zerstört

Der deutsche Journalist Mappes-Niediek sagt, viele Frauen und Männer der Roma-Volksgruppe in Rumänien, die älter als 40 sind, hatten früher oft - wenn auch schlecht bezahlte - Jobs gehabt.

Dann wurden ab 1990 viele Industriezweige geschlossen, und ganze Landstriche kippten ins Elend. Roma verloren als Erste ihre Jobs, sagt Mappes-Niedek: „Die EU sieht hier weitgehend tatenlos zu. Bestenfalls werden kosmetisch ein paar Projekte gegen Diskriminierung finanziert. Diese kosten nur einen Bruchteil dessen, was gute Regionalentwicklung und ein intakter Arbeitsmarkt kosten würden. Langfristig wären das jedoch die besseren und preisgünstigeren Investitionen in die Zukunft Europas.“

Bettler, der in der Fußgängerzone am Boden sitzt

ORF/Peter-Paul Hahnl

Viele Bettler in Österreich sind Roma, doch bei weitem nicht alle

„Dritte Welt“ der EU

Wie viele Menschen oder Gruppen in ähnlich katastrophaler Armut von Entwicklungsländern, reagieren Roma mit verstärktem Traditionalismus bzw. Lebens- und Wirtschaftsformen, die es früher gab, und die heute eher aussichtslos sind. Dazu gehört auch, dass junge Frauen wesentlich mehr Kinder bekommen als ihre Mütter noch vor 20 Jahren - eine typische Folge von Not und mangelnder Bildung. Andererseits ist der starke familiäre Zusammenhalt, der von Laien oft mit „Bandenbildung“ verwechselt wird, einer ihrer letzten Rettungsanker vor dem Untergang.

Mappes-Niedek beschreibt die Roma auch als Überlebenskünstler - neben der wirtschaftlichen Seite auch in zeithistorischem Bezug. Zu Zehntausenden verschwanden Roma aller Altersgruppen bis 1945 in den Gaskammern, Verbrennungsöfen und Massengräbern der Nationalsozialisten.

„Gypsy Industry“ als Festigung von Elend

Neben solchen Rückblenden analysiert und dokumentiert der Autor und Journalist auch eine verfehlte Minderheitenpolitik in Europa, deren „Hilfe“ zu einer Art „Gypsy Industry“ geführt habe. Diese verstärke und festige die Abhängigkeiten und Missstände noch. Besonders interessant sind Passagen des Buches, die Handelswege früherer Jahrhunderte bzw. Jahrtausende beleuchten. Hier verbinden die europäischen Roma unsere Gegenwart mit dem mittelalterlichen Indien bzw. Pakistan, wo ethnische Wurzeln dieser Minderheit liegen.

Wahre Europäer?

Der Einfluss des kleinen Volkes von Wanderhändlern, Kesselflickern und Metallspezialisten - manchmal auch Weltklassemusikern wie den Gitarristen Django Reinhardt und Harri Stojka - auf Europas Geschichte, Kunst und Wirtschaft war über Jahrhunderte weit größer, als vielen Gegnern lieb ist. Manche Kritiker bringen sie nur mit Bettelei oder Diebstählen in Verbindung. Roma gehören zu Europas Geist wie alle anderen Volksgruppen und Völker. An Massenverbrechen der Staaten und Kriegstreibereien haben sie sich - als transnationales Kollektiv - nie beteiligt. Wahre Europäer: Roma leben seit Jahrhunderten über alle Staaten und Territorien des Kontinents verteilt.

Django Reinhardt Musiker Jazzer Gitarrist 1946 Jazz Gitarre

Library of Congress / Washington / William P. Gottlieb

Der Jazzer und Arrangeur Django Reinhardt, der trotz einer - bei einem Brandunfall als Teenager - verkrüppelten linken Hand zu einem der besten Gitarristen der Musikgeschichte aufstieg: hier 1946 in New York City. Seine Eltern waren belgisch-französische Sinti, eine Untergruppe der Roma

Buchhinweis
Mappes-Niediek, Norbert: Arme Roma, böse Zigeuner. Was an den Vorurteilen über die Zuwanderer stimmt. Ch. Links Verlag. Berlin 2012.

Gerald Lehner, salzburg.ORF.at

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