ehemalige Taubstummenanstalt des Landes
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Chronik

Gewalt an Kindern in früherer Taubstummenanstalt

Bei der Volksanwaltschaft haben sich bisher rund 80 Opfer von Gewalt und Missbrauch in der ehemaligen Taubstummenanstalt Salzburg gemeldet, der heutigen Josef-Rehrl-Schule. Zwischen 1950 und den späten 1980ern sollen Hunderte gehörlose Kinder im Internat gequält worden sein.

Mit den geschilderten Zuständen von damals habe der heutige Betrieb überhaupt nichts mehr zu tun, wird in der Rehrl-Schule betont. Allerdings solle die Schulgeschichte neu beleuchtet werden, fordert die Volksanwaltschaft.

Schläge mit dem Stock, Ziehen an den Haaren, stundenlang nichts zu trinken trotz langer Märsche über den Mönchsberg, Essenszwang, bei dem auch zuvor Erbrochens mitgegessen werden musste: Die Opfer von Gewalt und Missbrauch im damaligen Landesinstitut für Hörbehinderte bzw. der Landestaubstummenanstalt in Salzburg-Lehen, der heutigen Josef-Rehrl-Schule, haben Psychologen der Volksanwaltschaft viele Missstände geschildert.

Dunkles Kapitel ans Licht gekommen

Viele hätten das erste Mal von dem Erlittenen erzählt, heißt es aus der Volksanwaltschaft. In der Schule hätten sie sich nicht ausdrücken können. Die Gebärdensprache sei den Kindern und Jugendlichen nicht beigebracht worden und sogar verboten gewesen. Stattdessen seien Gehörlose gezwungen worden, Laute zu machen – und wenn diese nicht der deutschen Sprache entsprachen, dann habe es Prügel gegeben.

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Früherer Schüler
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ehemaliges Landeshörbehinderteninstitut
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Ein Lehrer habe die gehörlosen Kinder sogar gezwungen, Musikinstrumente zu lernen – auch hier habe es bei falschen Tönen Schläge gegeben. Heimfahren durften die Kinder nur in den Sommerferien. Viele waren vom Kindergartenalter bis zum Abschluss der Lehrzeit in dem Internat und damit großteils von ihren Familien getrennt.

Strenges Regime in 50er und 80er Jahren

Zwischen den 1950er und den 1980er Jahren habe unter mehreren Schulleitern dieses Regime geherrscht, heißt es von der Volksanwaltschaft. Einer davon war auch der Kurzzeit-Landeshauptmann Josef Rehrl, Bruder von Franz Rehrl, der vor dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls Landeshauptmann war. 30 der Opfer haben bisher eine Heimopferrente über die Volksanwaltschaft zugesprochen bekommen.

Bisher haben 25 Opfer eine einmalige Entschädigung zwischen mehreren tausend und 20.000 Euro vom Land Salzburg bekommen – wie auch die „Salzburger Nachrichten“ in ihrer Mittwoch-Ausgabe berichteten. 37 Opfer warten noch auf eine Entscheidung über einen Ausgleich. Und durch die Berichterstattung dürften sich noch mehr Betroffene melden, heißt es von der Volksanwaltschaft gegenüber dem ORF.

Unterschiedliche Schulnamen

Bei der Gründung 1898 hieß die Schule „Landestaubstummenanstalt“ und wurde später in „Heim für Deutsche Jungen“ umbenannt. In den 1960er Jahren kam das „Landesinstitut für Hörbehinderte“ – und seit 2002 ist es die „Josef-Rehrl-Schule“.

Johanna Wimberger von der Volksanwaltschaft schildert konkrete Zustände: „Die Kinder wurden nur dazu erzogen, von den Lippen abzulesen. Und sie wurden teilweise auch mit körperlicher Gewalt gezwungen, Laute zu bilden und zu sprechen, obwohl sie teilweise gänzlich gehörlos waren. Als besonders grausam haben die Betroffenen zum Beispiel berichtet, dass es verboten war, die Gebärdensprache zu benutzen – sowohl in der Schule als auch im Internat. Wenn sie sie benutzt haben, dann mussten sie zum Beispiel etwa in der Ecke stehen, mit dem Rücken zur Gruppe. Und das muss man sich so vorstellen: Wenn man gänzlich gehörlos ist, bekommt man dann über eine halbe Stunde, vielleicht auch eine Stunde nicht mit, was hinter dem Rücken passiert.“

„Grausame Bestrafungen“

Auch an andere Quälereien in Schule und Heim in Salzburg erinnerten sich die damaligen Kinder und Jugendlichen, sagt die Volksanwaltschaft: „Sie haben besonders den Durst als sehr qualvoll erlebt. Und es war auch in der Taubstummenanstalt üblich, dass sie kaum zu trinken bekommen haben. Das haben auch sehr viele Betroffene in den Berichten erzählt, dass sie dann heimlich auf der Toilette etwas getrunken haben – immer mit der Angst im Rücken: Wenn man entdeckt wird, dann gibt’s wieder Schläge oder irgendwelche anderen Bestrafungen.“

Dem Regime jahrelang ausgeliefert

Die Buben und Mädchen seien über Jahre dem Regime in dem Gehörloseninstitut ausgeliefert und von ihren Familien getrennt gewesen, so Wimberger: „An die Taubstummenanstalt war auch ein Kindergarten angeschlossen. Und die Eltern wurden angehalten, die Kinder schon ab dem Kindergartenalter dort in die Unterbringung zu geben. Die waren dort schon im Internat untergebracht mit vier Jahren. Und teilweise haben sie eben nachher noch die Lehre gemacht – das heißt, die waren über zehn Jahre dort im Internat untergebracht.“

Es dürften sich noch mehr Opfer melden – auch wenn die Schwelle für viele hoch sei, so die Expertin: „Viele haben nach wie vor Angst, dass sie wieder traumatisiert werden bzw. dass ihnen so wie damals einfach nicht geglaubt wird, wenn sie über diese Übergriffe berichten.“