Widerstandskämpferin Agnes Primocic
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Politik

Gedenkprojekt für Widerstandskämpferin Primocic

Im Zuge des Projektes „Orte des Gedenkens“ des Landes Salzburg erinnert die Stadt Hallein (Tennengau) nun ein Jahr lang an ihre Bürgerin Agnes Primocic, die in der nationalsozialistischen Zeit bis 1945 wohl mehr als einem Dutzend Menschen das Leben gerettet haben dürfte.

Die Widerstandskämpferin Agnes Primocic starb 2007 im Alter von 102 Jahren in ihrer Heimatstadt.

Zur offiziellen Eröffnung des Gedenkjahres fehlte es Samstag nicht an mahnenden Worten. „Agnes Primocic war weit über die Ortsgrenzen hinaus bekannt. Sie trat resolut mit viel Überzeugungskraft auf und stellte immer wieder sehr direkte Fragen an die Menschen, die ihr begegneten“, sagte der an dem Projekt beteiligte Historiker Albert Lichtblau: „Viele kannten sie in Hallein noch persönlich, aber für die jüngeren Generationen ist sie lediglich aus Erzählungen bekannt, wenn überhaupt.“

Das Projekt solle dabei helfen, die Erinnerung an sie und das Wirken des Widerstandes gegen die Nazis in Hallein zu erneuern.

In dem zeitgeschichtlichen Reiseführer „Im Schatten der Mozartkugel“ zitiert die Salzburger Historikerin Susanne Rolinek die Halleiner Arbeiterin Agnes Primocic, die sich in den 1930er Jahren auch für ihre Kolleginnen in der Halleiner Tabakfabrik einsetzte:

„Ich habe schon als junge Frau viel gelesen und habe mich vielleicht auch ein bisschen mehr ausgekannt in allem. (…) Es hat Frauen gegeben, die überhaupt von, sagen wir, Geschlechtlichem nichts verstanden haben. Die Frauen sind damals sehr als Menschen zweiter Güte behandelt worden, das muss man wirklich sagen. Ich habe eine gekannt, die hat schon zwei Kinder gehabt und nicht gewusst, was ein Orgasmus ist. Ich habe unterm Dach bei der Mutter ein Büchlein gefunden, das hab ich gelesen, und dann hab ich ihnen davon erzählt. Wie das für die Frauen interessant war!“

Mehr dazu in imschatten.org

Rotes Auto mit QR-Code

In Hallein will die Salzburger Künstlerin Kathi Hofer mit einem „Auto für Agnes Primocic“ ein Zeichen setzen. Der rote, mit Informationen versehene Pkw parkt in den kommenden zwölf Monaten an vier Orten in der Salinenstadt, die für die Zeitzeugin relevant waren. Ein QR-Code am Kleinwagen leitet zu Hörspaziergängen, die auf den Spuren von Primocic durch die Stadt führen. Bis Mai 2024 gibt es außerdem Diskussionsabende, Vorträge und Schulbesuche.

Die 1905 geborene Arbeiterin in der Halleiner Zigarettenfabrik (ein „Tschickweib“) engagierte sich früh in der Gewerkschaft. Primocic beteiligte sich als Mitglied der KPÖ an der im Untergrund agierenden „Roten Hilfe“ für in Not geratene Familien von politisch verfolgten Linken. Sie wurde im Austrofaschismus und später im Nationalsozialismus immer wieder verhaftet und von der Gestapo verhört. Da sie von ihren Mitstreitern nicht verraten wurde, kam sie aber wieder frei und nicht ins KZ.

KZ-Häftlinge gerettet

1943 verhalf sie dem späteren Organisator der Partisanengruppe Willy-Fred, Sepp Plieseis, zur Flucht aus einem Nebenlager des KZ Dachau außerhalb von Hallein. Im April 1945 war Primocic wesentlich daran beteiligt, 17 zum Tode verurteilten KZ-Häftlingen das Leben zu retten. In einer Rotkreuz-Uniform suchte die dreifache Mutter den Kommandanten des Lagers auf, um ihn angesichts der sich nahenden US-Armee erfolgreich zur Freilassung der Inhaftierten zu bewegen. Nach dem Krieg war die „rote Agnes“ weiter politisch aktiv, saß für die KPÖ im Halleiner Stadtrat und war lange die Obfrau des KZ-Verbandes Salzburg.

„Offene Gesellschaft ist viel Arbeit“

Der Halleiner SPÖ-Bürgermeister Alexander Stangassinger warnte bei dem Festakt vor einem Rechtsruck in östlichen und südlichen Nachbarländern und in Österreich selbst: „Was in solchen Phasen gebraucht wird, ist Widerstand“, sagte er und griff einen bekannten Satz von Primocic auf: „Nicht stillhalten, wo Unrecht geschieht.“

In Vertretung des zweiten Salzburger Landtagspräsidenten Sebastian Huber (NEOS) betonte der Historiker David Goldmann, dass eine offene und demokratische Gesellschaft viel Arbeit sei: „Wir brauchen Menschen, die hellwach bleiben und aufstehen, wenn es notwendig ist.“

Feste Gedenkorte in allen Bezirken

Die Arbeitsgemeinschaft „Orte des Gedenkens“ errichtet bis 2027 in allen sechs politischen Bezirken des Landes einen künstlerisch gestalteten Ort auf Zeit, der an den Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime erinnern soll. Den Anfang machte im Vorjahr Neumarkt am Wallersee im Flachgau, im kommenden Jahr ist St. Johann im Pongau an der Reihe.