An klaren Tagen auf höheren Bergen von Salzburg, im nördlichen Tiroler Unterland und im grenznahen Oberbayern konnte man die Dampffahne aus dem riesigen Kühlturm von Isar 2 in der Ferne oft am Horizont sehen – besonders in Herbst und Winter, wenn die Kondensation durch die Kälte stärker ist.
Seit Sonntag auch kein großer Kühlkreislauf mehr
Laut Werksleitung erfolgte am Samstag ab etwa 23.30 Uhr keine Einspeisung in das Stromnetz mehr. Das heißt, im ersten Schritt wurden Dampfturbinen und Generatoren zum Stillstand gebracht. Etwa eine Viertelstunde später wurde der nukleare Reaktor für immer abgeschaltet. Neun Stunden liefen die großen Kühlkreisläufe dann noch weiter.
Seit Sonntagmorgen ist nun über dem 165 Meter hohen Kühlturm auch kein Kondensationsdampf mehr zu sehen. Bis von der gesamten Anlage nach dem nun kommenden Rückbau nichts mehr da ist, dürfte es bis zu 15 Jahre dauern.
Einer der stärksten Reaktoren weltweit
Seit der Block Isar 2 vor 35 Jahren in Betrieb genommen wurde, hat das Kraftwerk laut Betreiberfirma PreussenElektra etwa 404 Milliarden Kilowattstunden (kWh) Strom erzeugt. Es sei noch vor ein paar Monaten – am 11. November 2022 – mit der zu diesem Zeitpunkt erreichten Strommenge von 400 Milliarden kWh ein internationaler Leistungsrekord eingestellt und seither weiter übertroffen worden. Und in der gesamten Betriebszeit habe es keinen Störfall gegeben, betont das Unternehmen.
Aktuelle Fotos wenige Tage vor der Abschaltung – von Ostermontag, 10. April 2023:
Knapp 1,5 Gigawatt elektrische Leistung
Die Dampfturbinen und Generatoren von Isar 2 hatten bei Volllastbetrieb eine Bruttogesamtleistung von 1.485 Megawatt (MW) und eine elektrische Nettoleistung von 1.410 MW – also knapp 1,5 Gigawatt. Er war der leistungsstärkste deutsche Reaktor und zehntstärkste weltweit. Bei einer thermisch-nuklearen Leistung von 3.950 MW lag der Wirkungsgrad damit bei etwa 35 Prozent, die in Strom umgewandelt werden konnten. 65 Prozent der Kernspaltungswärme mussten weggekühlt werden.
Das Reaktorgebäude ist in Stahlbetonbauweise ausgeführt und hat eine Wandstärke von mehr als einem Meter.
Hier einige Archivbilder aus den letzten Jahren, als Isar 2 noch mit Volllast in Betrieb war. Entsprechend waren auch die Dampffahne und damit die Kühlleistung des riesigen Turmes:
Reaktor 1 war baugleich mit Zwentendorf
Der benachbarte Block Isar 1 – baugleich wie die nie in Betrieb genommene Anlage von Zwentendorf (Niederösterreich) – wurde von PreussenElektra schon 2011 abgeschaltet. Er befindet sich seit 2017 im Rückbau. Der Rückbau für Isar 2 ist bei der Aufsichtsbehörde im bayrischen Umweltministerium beantragt worden. Mit der Genehmigung rechnen die Betreiber im Laufe des Jahres 2023. Die Arbeiten sollen 2024 beginnen. PreussenElektra hat für den Rückbau beider Anlagen insgesamt etwa 2,2 Milliarden Euro veranschlagt.
Politische Debatten
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bezeichnete den Atomausstieg zum jetzigen Zeitpunkt inmitten einer wirtschaftlich gefährlichen Energiekrise als schweren Fehler. Bei einem Besuch in Isar 2 am Donnerstag forderte er eine Verlängerung der Laufzeiten für die letzten drei AKWs – neben Isar 2 noch Emsland in Niedersachsen und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg – sowie eine Reaktivierung weiterer Anlagen bis zum Ende dieses Jahrzehnts.
Zustimmung findet Söder bei seinem Koalitionspartner, den Freien Wählern. Auch Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber kritisierte kürzlich das Abschalten der AKWs, insbesondere mit Blick auf die Energiekrise und den kommenden Winter.
Dagegen sieht Ludwig Hartmann, Vorsitzender der Grünen im bayrischen Landtag, den Freistaat gut aufgestellt „für ein Morgen ohne Atomstrom“. Die Energieversorgung der Zukunft werde auf erneuerbaren Energien aufbauen.
Was tat sich Samstag sonst noch?
Mit der Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke ist in Deutschland nach mehr als 60 Jahren die Stromgewinnung aus Atomkraft zu Ende. Das AKW-Aus war von langer Hand vorbereitet worden, der Rückbau wird noch lange dauern. Am Samstag demonstrierten Gegner und Befürworter der Kernkraft – mehr dazu in news.ORF.at (16.4.2023)