Airbus von British Airways im Steigflug – hinten Tennengebirge. Fehlerbehaftet, unzuverlässig, unsicher, große  Qualitätsmängel – so beurteilen Fachleute nach einem Probebetrieb den automatischen Flugwetterdienst, bei dem es künftig keine Meteorologen mehr geben soll. Das neue System will die Flugsicherung Austro Control (ACG) auch auf dem Salzburg Airport einführen. Flughafen
Gerald Lehner
Gerald Lehner
Verkehr

Kritik an Automatik-Flugwetterdienst in drei Gutachten

Fehlerbehaftet, unzuverlässig, unsicher, große Qualitätsmängel – so beurteilen Fachleute nach dem Probebetrieb den automatischen Flugwetterdienst, bei dem es künftig keine Meteorologinnen und Meteorologen mehr gibt. Das neue System will die Flugsicherung Austro Control (ACG) auch auf den Airports von Salzburg und Innsbruck einführen. Drei Gutachten sprechen dagegen.

Es geht um das neue Messsystem, das künftig über digitale Sonden die Wetter-, Wind- und Sichtdaten beim Flughafen sammeln soll. Ähnliches ist für den Flughafen Innsbruck geplant. Sollte es auf Dauer eingeführt werden, dann gebe es an Ort und Stelle keine eigenen Flugmeteorologen mehr. Diese Aufgaben sollen dann in Wien von einer Zentralstelle übernommen werden. Dort würde man dann von fern her auf die lokalen Wetterdaten zugreifen und auf dieser Basis entscheiden, ob gestartet, geflogen und gelandet werden kann oder nicht.

Grundlage für Flug- und Landungsplanung

Cockpit-Crews brauchen nämlich – trotz modernster Ausrüstung der Jets – bei Nebel, tief hängenden Wolken oder Dunkelheit laut Gesetz eine gewisse Mindestsicht in Bodennähe. Gibt es diese nicht, dürfen keine Starts und Landungen stattfinden.

Landespolitik gegen Zentralisierung
Der Salzburger Landtag hat vor fast einem Jahr mit den Stimmen aller Parteien die Forderung an die Bundesregierung beschlossen, der Flugwetterdienst in seiner bisherigen Form müsse erhalten bleiben.

Ähnlich läuft es auch im Bundesland Tirol. Die politischen Forderungen an das Verkehrsministerium stießen bisher auf Ablehnung in Wien.

In Salzburg wird das neue und automatisierte Wetterdienstsystem seit April 2022 parallel zum klassischen Betrieb erprobt und getestet. Dabei laufen auch direkte Qualitätsvergleiche. Fazit beteiligter Fachleute: Der automatisierte, von fern bediente und für die Zukunft fix geplante Dienst könne es nicht mit der Verlässlichkeit und Sicherheit aufnehmen, wenn das Gehirn eines Meteorologen oder einer Meteorologin mit genauen Ortskenntnissen und viel Erfahrung an lebenswichtigen Entscheidungen beteiligt ist.

Drei interne Gutachten

Dem ORF liegen nun – über die Verkehrsgewerkschaft vida – dazu drei schriftliche Expertisen vor, die bei Austro Control nur für den internen Gebrauch bestimmt sind. Ein Gutachten stammt vom Chef der Flugsicherungsstelle Salzburg auf dem Airport. Er bezeichnet die Zuverlässigkeit des geplanten Systems als „nicht ausreichend“. Die Sensoren würden besonders im Winter und bei Schlechtwetter fragwürdige Daten liefern, die mit der Gesamtlage auf dem Flughafen nicht übereinstimmen. Zum Beispiel seien die riesigen Wiesen neben Rollwegen und Hauptpiste oft mit Feuchtigkeit gesättigt, dadurch entstehe dort bei Kälte geringfügiger Nebel. Die neuen Sensoren würden stattdessen Daten über dichten Nebel auf dem gesamten Areal liefern. Das würde dann eine Sperre des gesamten Flughafens erzwingen – während anfliegende Besatzungen gleichzeitig beste Sicht auf die Landebahn hätten.

Flughafen Salzburg Landespiste Landebahn Piste 33 Airport Flugplatz Tower Rollweg Rollbahn LOWS
Flugbild: Gerald Lehner
Der Salzburg Airport von Süden her – für diese Richtung trägt die Hauptpiste (rechts) die Nummer 33, von Norden her wäre es die 15. Das bezieht sich auf die jeweilige Himmelsrichtung (330 Grad bzw. 150 Grad).

Kritik auch an Wolkenmessung

Ähnlich kritisch klingt die Beurteilung der Sensoren, die die Untergrenze der Wolkenschichten messen sollen. Das neue System würde sogar von der Dampffahne eines nahegelegenen Industriebetriebes nicht gerade positiv beeinflusst, analysiert der Cheflotse sinngemäß. Ein Mensch an Ort und Stelle könne so irreführende Daten jederzeit richtig interpretieren, berichtigen und dem Flugpersonal entsprechend verlässliche Informationen liefern – das von Wien ferngesteuerte Digitalsystem jedoch nicht.

„Wirtschaftliche Nachteile für Salzburg und Innsbruck“

Die Folge sei, dass bei ausschließlicher Anwendung der neuen Technik viele Flüge abgesagt oder von Salzburg oder Innsbruck nach München oder Linz umgeleitet werden müssten – mit entsprechenden Zusatzkosten für alle Beteiligten und höherem Spritverbrauch. Zur Umweltfrage kämen noch zeitliche und nervliche Belastungen für Passagierinnen und Passagiere, so der Flugsicherungsexperte. Fazit: „Dieses System der Fernüberwachung – genannt Remote – ist für Bergregionen ungeeignet. Die aufgelieferten Wetterdaten sind nicht von hinreichender Qualität, um einen geordneten Flugbetrieb ohne wirtschaftliche Nachteile für Salzburg und Innsbruck zu bewerkstelligen.“

„Zuverlässigkeit nirgendwo nachgewiesen“

In einem weiteren internen ACG-Gutachten, das dem ORF ebenfalls vorliegt, schreibt ein früher leitender Flugwetterexperte von Austro Control in Wien, das neue und geplante System sei bestenfalls als Prototyp anzusehen, der noch in Entwicklung stehe. Die nötige Zuverlässigkeit sei bisher nirgendwo nachgewiesen worden – und wenn man internationale Vorgaben berücksichtige: „Es ist ein ungewisser Informationsgeber, nicht nur fragwürdig, sondern nach aktuellem Stand unzulässig.“

Der Fachmann bezieht sich in dieser Beurteilung auf EASA-Regulative, die auch in Österreich gesetzlich verankerten Vorgaben der EU-Luftfahrtbehörde.

Statement eines Piloten
Tatsächlich rufe er bei fragwürdigen Bedingungen für die Flugplanung immer auch bei Austro Control an, sagt der sehr erfahrene Captain zu diesem Thema: „Ich bin froh, wenn einer unserer Salzburger Spezialisten auf dieser eigenen Nummer dran ist. Was mir der Linzer oder Wiener aus der Ferne sagen kann, das ist sehr oft dürftig, weil unser regionales Wetter in Salzburg wohl zu speziell ist – in direkter Nähe hoher Berge.“

Ein anderer Experte rechnet im Fall von Datenpannen auch mit negativen Auswirkungen auf die Staffelung von anfliegenden Flugzeugen. Bei diesem System werden aus Sicherheitsgründen zeitliche Abstände zwischen landenden Maschinen im Vorhinein gut geplant. Wenn zwischendurch oder länger nicht gelandet werden kann, dann entstünde in der Folge ein immer größerer Andrang, der an solchen Tagen die allgemeine Lage und die Sicherheit nicht gerade positiv beeinflusse.

„Letztlich auch Sicherheitsmängel“

Bleibt noch die dritte Expertise – geschrieben von den bisher in Salzburg tätigen Flugmeteorologen an die ACG-Geschäftsführung in Wien und ebenfalls nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Auch er kam über die Verkehrsgewerkschaft vida ans Licht. Die fünf Experten schildern darin den bisherigen Probebetrieb. Sie mussten schon bisher zum Teil auch in Innsbruck ihren Dienst verrichten, nebenbei mit dem neuen System die Wetterdaten für den Salzburger Flughafen interpretieren und diese Informationen an Fliegercrews hinausgeben.

Fazit: „Es ist aus der Ferne keine realistische Einschätzung der Bedingungen möglich.“ Tagsüber bei guter Sicht sehe man wenig Probleme. Unmöglich werde es bei Wolken, Nebel und bei Dunkelheit. Die Flughäfen Innsbruck und Salzburg seien von hohen und sehr hohen Bergen umgeben und haben klimatisch sehr schwierige Bedingungen im europäischen Vergleich: „Wir kommen hiermit unserer Pflicht nach, Sie als Geschäftsführung über diese eklatanten Qualitätsmängel und letztlich auch Sicherheitsmängel zu informieren“, schreiben die fünf Meteorologen an Austro Control.

Das aus der Ferne betriebene System könne die vorgeschriebene Qualität nicht erbringen. Das Quintett der Experten bestätigt die Beschreibungen des Chefs der Flugsicherungsstelle Salzburg.

Das Land Salzburg rechnet mit weiteren Turbulenzen für den Salzburger Flughafen. Zwar sei die Wintersaison im Charterverkehr gut gelaufen. Der  Ukraine-Krieg bringe nun aber die nächsten Schwierigkeiten. Vor allem eine schnelle Rückkehr russischer Gäste sei wohl ausgeschlossen.
Flugbild: Gerald Lehner
Vorfeld (Apron) des Salzburg Airport

ACG-Geschäftsführung weist Kritik zurück

Ablehnend reagiert man beim Management von Austro Control auf Anfrage des ORF zu den drei internen Gutachten. Durch intensive Schulungen werde im neuen Meteorologie Center in Wien auch das lokale Wissen über das Salzburger Wetter weitergegeben, wird versichert. Das neue System habe sich außerdem in Linz schon bewährt. Alles werde sicherer und präziser.

Konkret heißt es in dem Statement: „Selbstverständlich sind dabei mit Hilfe neuer Technologien die höchsten Sicherheits- und Qualitätsstandards bei allen Wetterlagen weiterhin gewährleistet.“

Darüber hinaus können laut ACG-Geschäftsführung die Arbeitsabläufe und der Informationsaustausch im neu entstehenden Meteorologie Center Wien optimiert werden.

Zentralisierung soll weitergehen: „Sehr erfolgreich“

Die Nutzung moderner Flugwetterinstrumente und die Automatisierung seien international bereits Standard, so Austro Control in der Reaktion auf die Gutachten weiter. Bereits heute würden Windrichtung, Windgeschwindigkeit oder Pistensichtweite als Bestandteile einer Flugwettermeldung automatisch erhoben. Das lokale Salzburger Know-how werde auch künftig in Prognosen einfließen.

Dazu komme künftig die Automatisierung etwa bei der Bestimmung von Sichtwerten, Wettererscheinungen und Wolkenuntergrenzen: „In der bisherigen Projektumsetzung hat sich diese Modernisierung sehr bewährt, und die Umstellung ist sehr erfolgreich verlaufen.“