Goldegg Goldegger See Schloss Goldegg Goldegger Dialoge Dorf Bergdorf Dorfzentrum Dorferneuerung Raumplanung Raumordnung
Flugbild: Gerald Lehner
Flugbild: Gerald Lehner
WISSENSCHAFT

Goldegg-Studie: DÖW sieht NS-Verharmlosung

Der jahrzehntelange Streit um die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Goldegg (Pongau) geht in die nächste Runde. Die Broschüre eines Salzburger Historikers sei nun eine weitere Verharmlosung der NS-Gewaltherrschaft, kritisiert das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW).

Diese Sicht der Dinge steht in einem aktuellen Brief an die Salzburger Landesregierung – geschrieben von Gerhard Baumgartner, dem langjährigen Leiter des DÖW, einem international forschenden und vielfach über den Nationalsozialismus publizierendem Historiker. Er sieht auf Landesebene in Salzburg nun einen „gedächtnispolitischen Skandal“.

„NS-Gegner nur Randfiguren der Broschüre“

Baumgartner bezieht sich auf eine neue und offizielle Broschüre des Salzburger Landesarchivs, die 2022 erschien – unter redaktioneller Federführung von Oskar Dohle, dem Leiter des Salzburger Landesarchivs. Autor der Broschüre bzw. der neuen Studie ist der Historiker Johannes Hofinger vom Salzburger Stadtarchiv.

Die Bewertung und Gewichtung der nationalsozialistischen Gewalttaten und Morde gegen die Goldegger Bevölkerung in der neuen Publikation ist für DÖW-Historiker Baumgartner „völlig inakzeptabel“. Die Leiden und konkreten Schicksale der insgesamt 14 Goldegger Todesopfer – und vieler weiterer Männer und Frauen im Widerstand – würden nur am Rande erwähnt.

„Broschüre als weitere Schmähung der Opfer“

Im Zentrum der nunmehr offiziellen Darstellung des Landesarchivs stünden auf 30 Seiten die technischen Errungenschaften des NS-Regimes für Goldegg – wie eine neue Wasserleitung, der Straßenbau, Fremdenverkehr und die für die Landwirtschaft verfügbaren Zwangsarbeiter. Dazu kämen „fast schon liebevolle Schilderungen“ von Aktivitäten der Hitlerjugend in der neuen Broschüre, so der Historiker Baumgartner.

Was geschah in Goldegg?

1944 verrieten Spitzel der Gestapo zum Beispiel, dass sich in den Bergen um den Ort einige Deserteure versteckten und den Untergang Hitlers abwarten wollten. Die Regimegegner wurden von einem Teil der Einheimischen unterstützt. SS-Soldaten und Gendarmen machten daraufhin Jagd auf Karl Ruppitsch, Peter Ottino, August Egger, Ernst Klug, Sebastian Bürgler, Simon Hochleitner, Alois Hochleitner, Georg Köstner, Richard Pfeiffenberger und Franz Unterkirchner. Im Juli 1944 umstellte die SS ihr Versteck. Der kampferprobte Peter Ottino tötete zwei SS-Männer, bevor er selbst fiel. Die anderen gaben auf. Simon und Alois Hochleitner wurden wenig später beim Abtransport von hinten erschossen.

Karl Ruppitsch und August Egger starben im KZ Mauthausen. Österreichische „Kameradschaften“, Traditionsverbände der SS und der Wehrmacht diffamierten diese Widerstandskämpfer dann über Jahrzehnte als „Verräter“.

Zudem würden darin – wie in der alten, sehr umstrittenen Ortschronik von 2009 – wieder alte Gerüchte und Geschichten vom Hörensagen aufgetischt. Diese sollen offenbar SS-Leute weiter entlasten, kritisiert das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes. Der leitende DÖW-Experte sieht in der neuen Broschüre wörtlich eine „weitere Schmähung der Opfer“.

Gedenkverein enttäuscht

Vom privaten Verein der „Freunde des Deserteurdenkmals in Goldegg“ heißt es dazu, man habe jahrelang auf eine saubere Überarbeitung der historischen Darstellungen durch den Salzburger Experten Hofinger gehofft. Diese wäre dringend nötig gewesen, weil die bisher bestehende Ortschronik von Goldegg aus dem Jahr 2009 laienhaft, einseitig und geschichtspolitisch tendenziös sei – mit dem Anklang einer Verharmlosung der NS-Ideologie.

Die neue Broschüre sei nun die nächste Enttäuschung bei diesem Thema, so der Vereinsvorstand in einer Aussendung. Auch in dieser Arbeit seien die Namen der 14 Todesopfer und vieler anderer Gegner des NS-Regimes nicht aufgelistet, ihre persönlichen Schicksale kommen nicht vor. Dass Familien von Regimegegnern nach 1945 über Jahrzehnte im Ort verleumdet und diffamiert worden seien, sei dabei auch kein Thema. Der Gedenkverein schließe sich der Forderung des DÖW an, dass Landesregierung und Landesarchiv diese Broschüre zurückziehen sollten.

Autor sieht „großes Missverständnis“

Der Historiker Johannes Hofinger, Autor der Broschüre, weist die Vorwürfe des DÖW zurück. Auf Anfrage des ORF spricht er von einem großen Missverständnis, das hier vorliege: „Ich bin damals von der Gemeinde Goldegg beauftragt worden, ihre Geschichte in der NS-Zeit neu zu schreiben. Damals wurde ja von vielen Kritikern moniert, dass die alte Ortschronik nicht akzeptabel sei. Ich habe das Thema nun auf neue wissenschaftliche Beine gestellt – auch auf Basis neuer Quellen. Und ich habe das bestmöglich versucht – habe auch den Zeitraum vom Aufstieg der NSDAP in den 1930ern bis zur Entnazifizierung in den 1950ern miteinbezogen.“

Sein Arbeitsauftrag sei dezidiert keine eigene Darstellung über die Geschichte der Goldegger Deserteure gewesen, betont Hofinger. Ihm seien natürlich die Schicksale dieser NS-Opfer bekannt: „Wenn mich der Gedenkverein oder die Gemeinde beauftragt hätten, eine Geschichte der Deserteure zu schreiben, dann hätte ich auch eine solche Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen gemacht.“

Hofinger ist überzeugt, dass er mit seiner Arbeit nichts falsch gemacht habe: „Es waren offenbar nur sehr unterschiedliche Erwartungen.“

Heftige Debatte zum Nachhören:

Uni oder DÖW als neue Partner in Goldegg?

Würde Hofinger jetzt noch eine Extra-Deserteursgeschichte für Goldegg schreiben? Dazu sei er wohl nun ein „zu verbranntes Blatt“, antwortet der Experte. Er schlage allen Partnern eine insgesamt verbesserte Kommunikation durch mehr Gespräche vor: „Wir sollten davon wegkommen, dass man sich über Mailing-Listen, Zeitungen oder andere Medien die Dinge ausrichtet. Wir sollten wirklich machen, was angedacht war – auch im Rahmen eines Gesprächsabends, wo die Neufassung diskutiert wird. Dann kann man die Kritik äußern, dass die Deserteure zu wenig vorkommen. Und dann könnte zum Beispiel die Gemeinde eine Fortsetzungsforschung in Gang setzen.“

Diese Fortsetzung werde dann aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr in seiner Hand liegen, so der Wissenschafter: „Auch das Landesarchiv wäre da vermutlich kein Partner mehr, ich denke eher an die Universität oder das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes.“ Hofinger ergänzt, er habe im Zuge seiner bisherigen Arbeiten auch neue Quellen zu den Schicksalen der Goldegger Deserteure gefunden. Diese Informationen stelle er gern auch anderen Fachkollegen zur Verfügung.

Regierungschef: „Arbeit an Lösung läuft“

Aus dem Büro von Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) wurde dem ORF dazu auf Anfrage mitgeteilt, dass es hier um eine fachliche Diskussion von hoch qualifizierten Experten gehe. Die Gemeinde arbeite daran, eine für alle Beteiligten tragbare Lösung in diesem Konflikt zu finden.