Fast überall seien in den letzten Wochen innerhalb der Eismassen neue Felsinseln entstanden, betont Fischer.
Die Forscherin ist mit ihrem Team für Österreichs Akademie der Wissenschaften in Innsbruck stationiert: „Es gibt zwischen den Hohen Tauern in Salzburg, Kärnten und Tirol und dem westlichen Rand der Ostalpen an der Grenze zur Schweiz immer mehr große Hohlräume unter Gletschern.“ Diese könnten ab dem Frühsommer 2023 wieder gefährlich werden. Dann sorge wieder mehr Schmelzwasser für die Unterspülung der verbleibenden Zungen, so Fischer. Insgesamt sei die Gefahr kollabierender Eismassen – wie heuer auf der Marmolada – noch lange nicht gebannt.
Bildervergleich über den Sommer
Wir haben in salzburg.ORF.at dazu im Juli eine Reportage mit damals aktuellen Flugbildern der Abschmelzung und Einschätzungen der Expertin Andrea Fischer publiziert – den Link dazu finden Sie ganz unten.
Die hier folgenden Fotos sind vergangenen Freitag entstanden, 23. September 2022. Teils bedeckt schon Neuschnee die Eismassen, deren Grenzen aber noch gut erkennbar sind. Geflogen und fotografiert wurde so, dass die Außen- und Kernzone des Nationalparks nicht verletzt wurden – teils mit starkem Teleobjektiv:
Leichtflugzeug im Einsatz
Bei dieser privat für die Akademie der Wissenschaften finanzierten Mission war am 23. September wieder ein Leichtflugzeug im Einsatz. Diese Dynamic WT-9 kann bei knapp 100 PS auch mit Benzin von der Tankstelle betrieben werden. Schadstoffbilanz, Energieeffizienz und Wirkungsgrad sind weitaus besser als bei den meisten Mittelklassewagen. Zum Vergleich: Die Strecke Salzburg-Venedig ist mit 25 Litern in einer Stunde und zehn Minuten möglich – gegenüber fünf bis sechs Stunden mit dem Auto.
Sahara-Staub im Frühjahr veränderte alles
Für sie war der heurige Sommer besonders interessant, weil schon Anfang Juli der schützende Altschnee aus dem letzten Winter fast komplett weggeschmolzen war. Es ging letztlich auch darum, dass der im Frühling 2022 mehrfach aus der Sahara in die Alpen eingewehte Wüstenstaub den Altschnee viel stärker erwärmte als in normalen Jahren. Die Eismassen waren dadurch wenig später in blankem Zustand und über zusätzliche Wochen der vollen Sommerstrahlung ausgesetzt – was eine Premiere nach Jahrhunderten gewesen sein dürfte.
Im Herbst nun sehr früher Neuschnee
Glaziologin Andrea Fischer ist froh, dass es heuer im Hochgebirge nun schon so viel Neuschnee gibt: „Zusammen mit den sehr kühlen Temperaturen hat das die Schmelze in den Alpen vorerst gestoppt."
Allerdings waren in den Hohen Tauern mit ihren Eisfeldern die jüngsten Schneefälle nicht so ergiebig wie in den Nordalpen, wo es aber keine markanten Gletscher mehr gibt. In den Tauern schimmert an Steilstufen – trotz der neuen Schutzschicht – noch immer das blanke Eis durch den Neuschnee. Fischer betrachtet diese Lage mit gemischten Gefühlen: "Die frische Schicht ist leider nur sehr kalter und leichter Pulver, der noch im Oktober wieder fortgeblasen werden könnte. Viel besser wären nicht ganz so tiefe Temperaturen mit feuchtem Neuschnee gewesen, der dann wieder voll durchfriert und nun einen schützenden Harschdeckel bilden würde.“
Oktober könnte noch Abschmelzung bringen
Die Fachfrau betont, bis Mitte Oktober könnte warmes Wetter noch die neue Schutzschicht der Gletscher wegtauen und das Eis weiter angreifen. Später im Jahr seien dann die Tage viel zu kurz und die Sonnenstrahlung zu schwach.
Blick ins Archiv: Gletscherschmelze im Frühsommer
Wer im Frühsommer zu den Gletschern der Hohen Tauern aufbrach, erkannte manche Winkel nicht mehr wieder. Fast überall enorme Massenverluste – so früh im Jahr vielerorts nur noch blankes Eis ohne schützendem Schnee. Dieser Zustand trat sonst erst im September ein. Fotos von einem Erkundungsflug zeigen das Ausmaß der Gletscherschmelze – mehr dazu in salzburg.ORF.at (27.7.2022)