Der Österreichische Verband der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Dolmetscher (ÖVGD) ortet rechtsstaatliche Probleme, wenn „nicht zertifizierte, teilweise unqualifizierte Dolmetscherinnen und Dolmetscher“ verstärkt eingesetzt werden. Anlass für die Kritik sind Berichte über ein Verfahren am Landesgericht Salzburg, das nächste Woche starten soll. Dabei sei eine nicht zertifizierte Dolmetscherin mit dem Kronzeugen liiert gewesen.
Kritik: Ungeprüfte Dolmetscher werden weiter eingesetzt
Die Justiz torpediere hier die eigene Qualitätssicherung, betonten ÖVGD-Präsidentin Andrea Bernardini und Vorstandsmitglied Elisabeth Prantner-Hüttinger am Freitag in einer Aussendung. Der jüngste „Skandal“ in Salzburg sei der Praxis der Gerichte und Behörden geschuldet. Denn neben der offiziellen Liste der geprüften und zertifizierten Dolmetscher gebe es im Jusitz-Intranet auch eine Liste mit „Ad-hoc“-Dolmetschern, die für Übersetzungsdienste herangezogen werden.
Einige der Personen auf dieser „Ad-hoc“-Liste seien jedoch bereits mehrfach durch die Dolmetscherprüfung gefallen und würden trotzdem nach wie vor eingesetzt, ärgerte sich Prantner-Hüttinger gegenüber dem ORF. Dadurch werde die Prüfung samt einjähriger Ausbildung entwertet. Dabei hätten sich gerade im letzten Jahr zahlreiche Dolmetscher auch in Mangelsprachen wie Arabisch oder Farsi zertifizieren lassen, betonte Prantner-Hüttinger.
Das Justizministerium würde zudem entgegen der Warnungen des ÖVGD sogar den Einsatz von Vermittlungsdiensten gutheißen, denen nicht an der Vermittlung von qualifizierten Dolmetschern, sondern an der Erzielung möglichst hoher Vermittlungsprovisionen gelegen sei.
Drogen-Großprozess Anlass für die Kritik
Bei dem Strafverfahren am Landesgericht Salzburg geht es um einen Suchtgifthandel mit mindestens 13,8 Millionen Captagon-Aufputschtabletten zu einem mutmaßlichen Verkaufswert von rund 40 Millionen Euro. Der Prozess startet am kommenden Dienstag (14. Dezember) in Salzburg, 14 Personen sind angeklagt. Die Beschuldigten sollen Mitglieder einer internationalen Tätergruppe sein, die Drogen von Juni 2016 bis März 2021 aus dem Libanon zu einem Umschlagplatz nach Österreich geschmuggelt hat.
„Innige Beziehung“ des Kronzeugen zu Dolmetscherin?
Die Anklage der Staatsanwaltschaft basiert zu einem Gutteil auf den Angaben eines in Salzburg lebenden Irakers, berichteten am Donnerstag die „Salzburger Nachrichten“. Der Mann gilt als Kronzeuge der Anklage. Er habe eingeräumt, in die Drogengeschäfte involviert gewesen zu sein, und habe dafür im Vorfeld offenbar eine Diversion erhalten. Der Kronzeuge soll seit Juni 2019 eine „innige Beziehung“ mit der Hauptdolmetscherin in dem Ermittlungsverfahren geführt haben.
Die Frau sei bei vielen polizeilichen Vernehmungen und zur Übersetzung der Telefonüberwachungsprotokolle eingesetzt gewesen. Sie habe aber die Beziehung zum Kronzeugen geheim gehalten. Zuletzt soll die Dolmetscherin gegenüber der vorsitzenden Richterin beteuert haben, dass ihre Beziehung zum Kronzeugen ihre Dolmetschertätigkeit nicht beeinflusst habe. Der Verteidiger von vier Angeklagten, Rechtsanwalt Kurt Jelinek, ortete gegenüber der Zeitung ebenfalls einen Skandal und erklärte, die Dolmetscherin sei als Lebensgefährtin des Kronzeugen als befangen zu beurteilen.
Landesgericht: Dolmetscherin wurde gestrichen
Der Sprecher des Landesgerichtes Salzburg, Peter Egger, sagte am Freitag auf APA-Anfrage, die Dolmetscherin sei vor rund einer Woche aus der Dolmetscherliste des Landesgerichts Salzburg gestrichen worden – „aufgrund der im Raum stehenden Vorkommnisse im Ermittlungsverfahren“. Die Frau werde daher im „Captagon-Prozess“, der nächste Woche startet, nicht übersetzen. Es werde ein anderer Dolmetscher für die arabische Sprache herangezogen. Das Gericht werde sich bei dem Prozess auch einen persönlichen Eindruck von dem Kronzeugen verschaffen.
Der ÖVGD forderte am Freitag, es sei höchste Zeit, den Missstand bei der Auswahl der Dolmetscher „abzustellen“. ÖVGD-Präsidentin Andrea Bernardini habe in einem Schreiben vom Donnerstag Justizministerin Alma Zadic (Grüne) um einen dringenden Gesprächstermin gebeten.
Ministerium: Digitales Tool soll Verbesserung bringen
Das Gespräch mit dem Verband der Dolmetscher soll noch im Dezember stattfinden, hieß es Freitagabend aus dem Justizministerium auf ORF-Anfrage.
Zudem werde zurzeit in der Justiz „intensiv“ an einem digitalen Tool gearbeitet, um die Bestellung von gerichtlich zertifizierten Dolmetschern auch in kurzfristigen Fällen zu erleichtern. Denn die kritisierte „Ad-hoc“-Liste sei erstellt worden, um auch bei kurzfristig benötigten Übersetzungsleistungen oder bei seltenen Sprachen Dolmetscher zu haben. Das neue digitale Tool soll „im Frühjahr 2022“ in Betrieb gehen und diese bisherige Liste unnötig machen,