Wrack der ausgebrannten Gletscherbahn Kaprun im Tunnel
APA/Franz Neumayr
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Chronik

20 Jahre Kaprun-Unglück: Ein langer Weg zurück

Nach der Brandkatastrophe von Kaprun (Pinzgau) am 11. November 2000 hatte der Ort einen langen Weg zurück zur Normalität. Bei dem Feuer im Standseilbahntunnel starben 155 Menschen. Ihrer wird heuer – coronavirusbedingt – still gedacht.

Jedes Jahr am 11. November um 9.00 Uhr erinnern die Gemeinde Kaprun und die Gletscherbahnen an die 155 Opfer des Brandunglücks – in der 2004 eröffneten Gedenkstätte bei der Talstation der Gletscherbahn Kaprun am Fuß des Kitzsteinhorns. Heuer ist diese Feier coronavirusbedingt besonders klein gehalten – ein Gottesdienst ohne Politikerreden, auch Medienvertreter sind nicht erwünscht. Mehr als sechs Personen gleichzeitig dürfen nicht in die Gedenkstätte. Auf Wunsch der Angehörigen der Toten wurde aber ein Gedenkbuch aufgelegt, in das jeder seine Gedanken oder Erinnerungen niederschreiben kann.

„Der 11. November ist ein schmerzvoller Tag für Kaprun – ganz besonders für die Angehörigen der Opfer, aber auch für alle Kaprunerinnen und Kapruner und alle, die an das Unglück denken“, sagt Norbert Karlsböck. Er war im Jahr 2000 Bürgermeister von Kaprun, heute ist er Vorstandschef der Gletscherbahnen Kaprun AG. „Besonders ist der Tag auch für das Unternehmen, weil auch wir haben Mitarbeiter bei dem Unglück verloren.“

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Ausgebranntes Wrack der verunglückten Kapruner Gletscherbahn in Tunnel
APA/Franz Neumayr
Ausgebranntes Wrack der verunglückten Kapruner Gletscherbahn in Tunnel
Feuerwehrleute vor der verrauchten Bergstation der Standseilbahn Kaprun am 11. November 2000
ORF
Feuerwehrleute vor der verrauchten Bergstation der Standseilbahn Kaprun am 11. November 2000
Luftaufnahme der Bergstation der Kapruner Gletscherbahn: Klar sichtbar der Rauch
APA/Großruck Bernhard
Luftaufnahme der Bergstation der Kapruner Gletscherbahn: Klar sichtbar der Rauch
Abtransport eines Verletzten der Kapruner Gletscherbahnkatastrophe
APA / Pictures unlimited / J.Fesl
Abtransport eines Verletzten der Kapruner Gletscherbahnkatastrophe
Seilbahnkatastrophe am Kitzsteinhorn/Bergung der Opfer
APA/Franz Neumayr
Bergung der Opfer im Tunnel nach der Seilbahnkatastrophe von Kaprun
Särge der Opfer der Brandkatastrophe von Kaprun am Salzburger Flughafen aufgestellt
APA/Franz Neumayr
Särge der Opfer der Brandkatastrophe von Kaprun – am Salzburger Flughafen aufgestellt
Garnitur der Standseilbahn in Kaprun vor dem Brand
ORF
Garnitur der Standseilbahn in Kaprun vor dem Brand (Archivbild)
Die Tunneleinfahrt der Kapruner Gletscherbahn
APA/Pictures unlimited / J.Fesl
Die Tunneleinfahrt der Kapruner Gletscherbahn am Unglückstag
Die stark verkohlte Garnitur der am Unglückstag Talwärtsfahrenden Gletscherbahn
APA/Calle Törnström
Die stark verkohlte Garnitur der am Unglückstag talwärtsfahrenden Gletscherbahn – in ihr starben zwei Menschen
Abtransport  des Wracks der Gletscherbahn Kaprun
APA/Calle Törnström
Abtransport des Wracks der ausgebrannten Standseilbahn
Richter Manfred Seiss beim Auftakt zum Kaprun Strafprozess 2002 – mit zahlreichen Fotografen und Kameraleuten
APA/Hans Klaus Techt
Richter Manfred Seiss beim Auftakt zum Kaprun-Strafprozess 2002 – mit zahlreichen Fotografen und Kameraleuten
Voller Saal im Salzburger Kolpinghaus zum Auftakt des Kaprun Strafprozesses 2002
APA/Franz Neumayr
Voller Saal im Salzburger Kolpinghaus zum Auftakt des Kaprun-Strafprozesses 2002
Gedenkstätte für die Opfer der Brandkatastrophe in Kaprun von außen
ORF/Peter Obermüller
Seit 2004 gibt es die Gedenkstätte für die Opfer der Brandkatastrophe
Das Innere der Gedenkstätte für die Opfer der Brandkatastrophe in Kaprun
ORF/Peter Obermüller
Mit Blumen, Bildern und Kerzen wird im Inneren der 155 Toten gedacht
Kreuze und Erinnerungsbilder in der Gedenkstätte für die Opfer der Brandkatastrophe in Kaprun
ORF/Peter Obermüller
Der Trauergottesdienst heuer findet dort aber unter Coronavirus-Auflagen statt

„Dieses Unglück ist Teil unserer Geschichte“

Seit 20 Jahren leben die Kapruner mit der Erinnerung an den Brand: „Dieses Unglück ist Teil unserer Geschichte. Das gerät einfach nicht in Vergessenheit – das wird über Generationen weitervermittelt werden. Jeder hat Bekannte, Verwandte oder Freunde gehabt, die von diesem tragischen Unglück betroffen waren“, schildert der amtierende Bürgermeister der Pinzgauer Gemeinde, Manfred Gaßner (SPÖ), gegenüber Ö3-Reporter Peter Obermüller. „Wir werden auch stets unser klares Bekenntnis und unsere Verantwortung dafür tragen. Es wird im Ort Kaprun immer präsent sein.“

Rudolf Neumair verlor bei dem Unglück am 11. November 2000 seinen damals neun Jahre alten Sohn, der mit der Standseilbahn zum Skifahren auf das Kitzsteinhorn wollte: „Es ist damals sehr schwer gewesen für uns. Aber es muss weitergehen – und es ist auch weitergegangen. Wir schauen alle nach vorne, zurückschauen bringt nichts“, sagt Neumair heute. „Ich habe mir aber auch nie selbst einen Vorwurf gemacht, dass ich gesagt habe ‚Wieso schickst du ihn Ski fahren?‘ An das habe ich so nie gedacht.“

Tote aus acht Nationen

150 der 162 Passagiere kamen bei dem Feuer in der bergwärts fahrenden Standseilbahngarnitur ums Leben. Nur zwölf konnten sich retten. Zusätzlich starben noch zwei Personen im entgegenkommenden Zug und drei in der Bergstation der Gletscherbahn. Die Toten kamen aus acht Ländern – neben Österreichern und Deutschen waren unter anderen auch US-Amerikaner, Tschechen und Touristen aus Japan unter den Toten.

Grafik: Der Kamineffekt im Tunnel der Gletscherbahn Kaprun
ORF
Durch den Kamineffekt wurde der Brand wesentlich beschleunigt

Ursache für das tödliche Feuer war Hydrauliköl, das aus einer Leitung auf einen in der talseitigen Führerkabine der Standseilbahn angebrachten Heizlüfter tropfte. Durch den Kamineffekt in dem engen Tunnel griff das Feuer von der Führerkabine der Standseilbahn rasch auf die gesamte Garnitur und die Menschen darin über. Aus Sicherheitsgründen waren zudem die Türen geschlossen – einige Fahrgäste schlugen daraufhin die Scheiben ein, um fliehen zu können. Aber nur jene, die in der Panik nach unten in Richtung des näher gelegenen Tunnelausgangs flüchteten, hatten eine Überlebenschance.

Gericht stellte keine Schuldigen fest

Bei dem Prozess nach dem tödlichen Unglück mussten sich 16 Angeklagte wegen fahrlässiger Herbeiführung einer Feuersbrunst und fahrlässiger Gemeingefährdung verantworten – darunter auch Mitarbeiter der Gletscherbahnen Kaprun und der Firmen, die den Heizlüfter und die Hydraulikleitungen eingebaut hatten. Schuldsprüche gab es in dem Verfahren aber keine – alle Angeklagten wurden in allen Instanzen freigesprochen. Die Begründung: Alle damals gültigen Vorschriften seien eingehalten worden, der Heizlüfter habe einen Konstruktionsfehler gehabt.

Dieses Urteil löste vor allem unter Angehörigen der Toten heftige Kritik aus – für viele war es unverständlich, dass niemand an dem Tod der 155 Menschen schuld sein sollte.

Kaprun: Zurück ins Leben

Kaprun „steht zu seiner Verantwortung“

Dennoch habe sich die Gemeinde Kaprun immer um die Verbindung zu den Angehörigen der Toten gekümmert, betont Bürgermeister Gaßner. Der Ort „steht zu seiner Verantwortung. Wir versuchen immer, gegenüber den Angehörigen sehr, sehr bemüht und verantwortungsvoll aufzutreten, sie auch entsprechend zu unterstützen, wenn irgendwelche Anliegen vorliegen. Viele der Betroffenen kommen nicht nur zum Gedenktag, sondern Gott sei Dank auch als Gäste zu uns.“

In den 20 Jahren seit der Brandkatastrophe hat sich aber auch in der Gemeinde Kaprun viel getan: „Nach einer sehr, sehr schwierigen Zeit ist es doch gelungen, wieder zu einer Normalität zurückzufinden“, sagt der Bürgermeister. „Allerdings hat Kaprun auch sehr viel investiert, um das Vertrauen der Angehörigen und auch unserer Gäste zurückzugewinnen.“

Großinvestitionen veränderten den Ort

So wurden in den vergangenen Jahren mehr als 220 Millionen Euro – durchschnittlich elf Millionen Euro jährlich – in Seilbahnanlagen auf dem Kitzsteinhorn investiert. Die Standseilbahn wurde bereits 2001 durch eine Gondelbahn ersetzt. Auch die Verbindung vom Ort Kaprun auf das Kitzsteinhorn wurde Schritt für Schritt ausgebaut. Seit November 2019 gibt es eine zwölf Kilometer lange Seilbahnverbindung mit sechs Gondelbahnen – darunter auch eine Dreiseilumlaufbahn – von der Gemeinde über den Maiskogel hinauf bis zur Gipfelstation in 3.029 Metern Seehöhe. Der Tunnel der alten Standseilbahn ist schon lange verschlossen, das Portal ist zugewachsen. Die Zufahrtsrampe wurde 2012 abgebaut.

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Kitzsteinhorn Gipfelbahn bis auf 3.029 m
Gletscherbahnen Kaprun AG
Die Seilbahnen in Kaprun wurden seit 2000 kräftig ausgebaut – hier die Gipfelbahn
Therme Tauernspa Kaprun von außen
Rupert Steiner/Tauern SPA Tell am See-Kaprun
Das Tauernspa Kaprun war eine weitere Großinvestition in der Gemeinde
Blick auf die Kraftwerksbaustelle Kaprun Limberg II im Jahr 2009
APA/Franz Neumayr
Der Verbund investierte seit 2000 rund 500 Millionen Euro in Kaprun – hier die Baustelle des Kraftwerks Limberg II im Jahr 2009

500 Mio. Euro für Kraftwerksgruppe

Und auch an anderer Stelle wurde in Kaprun in den vergangenen Jahre viel investiert: So entstand für beinahe 100 Millionen Euro mit dem Tauern Spa eine moderne Therme – sie ist seit 2010 in Betrieb. Dazu entstanden in Kaprun auch viele Appartements. Und der Verbund-Konzern investierte seit dem Jahr 2000 beinahe 500 Millionen Euro in Kraftwerksanlagen in Kaprun – etwa in das unterirdische Pumpspeicherkraftwerk Limberg II.

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Kitzsteinhorn Hohe Tauern Nationalpark Gletscher Klima Klimawandel Berge Alpin Alpinismus Dreitausender Wiesbachhorn Bratschenkopf Klockerin Bärenköpfe Hohe Dock Gletscherskigebiet Kaprun Skifahren
Flugbild: Gerald Lehner
Das Gletscher-Skigebiet im vergangenen Winter 2019/2020. Gipfelkette der Großglocknergruppe: Großes Wiesbachhorn, Bratschenkopf, Klockerin, Kitzsteinhorn, Fuscherkarkopf, Bärenköpfe
Hohe Tauern Klimawandel Glockner Gletscher Nationalpark Kitzsteinhorn Kaprun Glocknergruppe Klima Alpen Bergsteigen Berge Gebirge
Flugbild: Gerald Lehner
Kitzsteinhorn mit Bergstation der Hauptseilbahn (rechts auf der Schulter), daneben die Magnetköpfl-Standseilbahn. Hinten Fuscherkarkopf, Bärenköpfe, Verbindungsgrat zur Hohen Riffl

„Es hat sich sehr viel zum Positiven verändert“

Im Ort „geht’s auch gut weiter, es helfen alle zusammen“, schildert Neumair. Ein Symbol dafür sei die neugebaute Gondelbahn, die seit November 2019 den Maiskogel mit dem Gletscherskigebiet verbindet: „Man merkt einfach den Aufschwung überall – und es ist gut so, dass es so geht. Es hat sich in Kaprun sehr viel zum Positiven verändert – ich hoffe, dass es so weitergeht.“

Zehn Jahre Kaprun-Urteil