Beim Glanspitz-Park im Salzburger Stadtteil Lehen wird Sportgeschichte in diesen Tagen und Wochen geschrieben. Fünf Ultra-Langstreckenläufer und Yoga-Spezialisten duellieren sich hier noch bis November auf 5.000 Kilometern (bzw. 3.100 Meilen) und über 52 Tage.
Gesamtstrecke entspricht 120 Marathons
Laufen Sie regelmäßig? Wenn ja, dann wissen Sie, wie es sich anfühlt: Wenn man fünf, zehn oder gar 20 Kilometer durchlaufen kann. Vielleicht wissen Sie aus eigener Erfahrung auch, wie es Menschen geht, wenn sie als Amateure ihren ersten Marathon schaffen. Nach vielen Wochen, Monaten, teils auch Jahren mit konsequentem Training und eiserner Disziplin.
Selbst für viele Leistungssportler und Profis der Langstrecken ist es kaum zu glauben, was in dem kleinen Park beim Salzachkraftwerk von Salzburg-Lehen nun zu sehen ist: Die Streckenlänge entspricht fast 120 Marathons. Über ca. 52 Tage wird jeden Tag von 6.00 Uhr früh bis Mitternacht gelaufen, zwischendurch auch gegangen und gerastet. Die 5.000 Kilometer sind nur zu schaffen, wenn jeder pro Tag im Schnitt etwa hundert Kilometer zurücklegt.
Auch Salzburger im Rennen
Auch ein Lokalmatador läuft mit, der 52-jährige Ushika Muckenhumer. Er betreibt in Salzburg ein Geschäft für Musikinstrumente. Dazu kommen der in Zürich lebende Italiener Andrea Marcato (38), der nahe Prag wohnende Tscheche Milan Javornicky (46), der in Island lebende Ire Nirbhasa Magee (41) und Ananda-Lahari Zuscin (45) aus Kosice in der Slowakei. Sie absolvieren die Gesamtstrecke auf 4.780 Runden in dem kleinen Salzburger Park neben einem beliebten Lehener Kinderspielplatz. Eine Runde ist ungefähr einen Kilometer lang.
Alle Läufer sind berufstätig, richten fast ihre gesamte Freizeit auf Meditation bzw. Lauftraining aus und bezeichnen sich auch als Yogis. Sie gehören zu dem auf allen Kontinenten aktiven Netzwerk des Ultra-Langstreckenläufers, Yoga- und Meditationsmeisters Sri Chinmoy (1931-2007). Der lebte einst in Indien und den USA.
Wozu das Ganze? Reiner Wahn?
Organisator des Rennens in Salzburg ist Priyavadin Reisecker, ein Mathematiker und gebürtiger Oberösterreicher aus Hochburg-Ach. Er betreibt in der Landeshauptstadt ein vegetarisches Restaurant und hat selbst schon mehrfach an Ultra-Langstreckenläufen teilgenommen, die bis zu 15 Tage dauerten: „Das ist im Vergleich zu einem normalen Marathon schon auch hart, aber kein Vergleich zu dem, was wir hier über mehr als 50 Tage miterleben.“
Gefährliche Sekte?
Chinmoys Bewegung wurde von Teilen christlicher Kirchen immer wieder ideologisch angegriffen. 1995 gab es in Deutschland einen Gerichtsbeschluss, wonach Behörden des Bundes und der Länder von einer Aufnahme von Chinmoys Lauf- und Meditationsgruppen in die Liste gefährlicher „Jugendsekten und Psychogruppen" absehen sollen, weil es keinerlei Beweise für diese Kategorisierung gebe. Kritik gibt es laut Medienberichten immer wieder von Einzelpersonen. Bekannt ist auch das soziale Engagement der Bewegung in Ländern der Dritten Welt.
Reiner Wahn? Endloses Laufen im Kreis, ganz im Sinn der einstigen Selbsterkenntnis von Formel-1-Weltmeister Niki Lauda? Nun ja, so könnte man es schon auch sehen, schmunzelt Reisecker: „Letztlich geht es hier nicht um Triumphe über andere, nicht darum, die Konkurrenten niederzulaufen, sondern das eigene Ich und die Dinge, die uns ganz tief im Inneren auf der Seele liegen. Ein Mensch macht auf dieser Distanz emotional fast alles durch, was denkbar ist, Negatives und Positives – neben den körperlichen Leiden und Freuden.“
Globale Krise: „Vertrauen führt zum Ziel“
Ist das eine besondere Art dieser Egotrips, für die viele Arten von Extremsport berühmt und teils auch berüchtigt sind? „Die Welt steckt derzeit tief in der Krise, die negativen Energien scheinen massiv zu dominieren. Viele sagen, ein Ende sei nicht in Sicht. Aber unsere Teilnehmer sind überzeugt, dass sie hier nicht nur um sich selbst kreisen, sondern auch viele Menschen motivieren können, sich nicht hängen zu lassen. Es gibt immer einen Weg. Und es geht auch aus den großen Tiefs weiter, wenn du es anpackst, dir selbst und anderen vertraust. Und natürlich spielt das läuferische Vorbild unseres Yogameisters Sri Chinmoy dabei eine Rolle“, so Priyavadin Reisecker.
Auch der betreuende Arzt staunt
Der Austro-Amerikaner Tom Drekonja hat in Salzburg als Facharzt eine Praxis für Orthopädie. Er ist für Österreichs staatliche Behörden auch Experte und Gutachter für die Medizin der Luftfahrt und Flugzeugpilot. Drekonja untersucht nun als Ehrenamtler die Athleten in regelmäßigen Abständen, wenn sie Pausen machen: „Mich erstaunt, dass sie alle hervorragende Hämoglobinwerte haben, obwohl sie Vegetarier sind. Normalerweise kann ein Mensch solche Leistungen nur bringen, wenn er auch genug rotes Fleisch als Eisenlieferant auf dem Speiseplan hat. Aber ihre pflanzliche Kost ist äußerst gut und sorgfältig ausgewählt. Das Hauptproblem ist, dass sie über die sieben Wochen nicht zu viel Gewicht verlieren. Darum essen, essen, essen …“
Gewichtsverlust als Gefahr
Pro Tag bracht ein Läufer unter diesen Bedingungen etwa 10.000 Kilokalorien. In Priyavadin Reiseckers Salzburger Organisationsteam arbeiten zahlreiche Ehrenamtliche aus dem In- und Ausland mit – Männer und Frauen, die sich über sechs Wochen bei der intensiven Betreuung und Ernährung der fünf Läufer abwechseln und ergänzen. Es wird praktisch den ganzen Tag über gekocht und organisiert. Dazu kommt die Arbeit bei der Versorgung der Wunden und Muskeln.
Nachschub bei Schuhen schwierig, Füße werden größer
Jeder Athlet „vernichtet“ auf der Gesamtdistanz bis November zwischen 15 und 20 Paar Laufschuhe. Logistisch lasse sich das nur über den kleinen Laufsport-Laden von Stephan Tassani im grenznahen Piding (Bayern) bewältigen, sagt Reisecker: „Die großen Sporthandelsketten können und wollen uns da überhaupt nicht helfen. Die haben ihr Sortiment und Schluss. Das kleine Geschäft dagegen reagiert sehr schnell und unbürokratisch. Zum Beispiel werden die Füße der Läufer immer größer. Wer sonst 43 hat, braucht dann 45 oder 46 im Lauf der Wochen. Das bildet sich dann über Monate wieder zurück, wenn das Rennen vorbei ist.“
Salzburger können es kaum glauben
Von Tag zu Tag interessieren sich immer mehr Passanten aller Altersklassen und Schichten für das 5.000-Kilometer-Rennen. Die Organisatoren wünschen sich, dass manche Radfahrer in dem kleinen Park langsamer vorbeifahren, um auf dem Rundkurs niemanden zu gefährden.
Die liebevoll gestaltete Labestation für die fünf Athleten beim Versorgungszelt fällt besonders auf. Bei unserem ORF-Lokalaugenschein kam auch der Salzburger Pensionist Willi Hecht vorbei, ein noch immer guter Tennisspieler und Sportler – mit seiner im Rollstuhl sitzenden Frau Sieglinde: „Seit Tagen fällt mir das Zelt auf, aber ich dachte, das halt eine der vielen Benefiz-Aktionen. Nun weiß ich die Daten, Fakten und Hintergründe. Man braucht seine Zeit, um das wirklich zu begreifen. Diese fünf Männer machen das Unmögliche möglich. Wir kommen jetzt jeden Tag her.“