Politik

Chef des Verfassungsgerichts kritisiert CoV-Politik

Kritik an CoV-Vorschriften der Bundesregierung und an Verwaltungsbehörden hat Freitag der Präsident des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) bei einer Podiumsdiskussion in Salzburg geübt. So „ziemlich alle Grundrechte“ seien „massiv beeinträchtigt“ gewesen, sagte Christoph Grabenwarter. Das habe es „seit 1945 in diesem Land nicht gegeben“.

Vor zwei Tagen hatte der VfGH mehrere Bestimmungen zur Coronavirus-Bekämpfung für gesetzeswidrig erklärt. Grabenwarter präzisierte nun am Freitag dieses Urteil im Rahmen der Veranstaltung „Verfassung der Kultur – Kultur der Verfassung“.

Kritik an uraltem Epidemiegesetz

Er konstatierte „weniger eine Krise der Politik als eine Krise der Verwaltung“. Für sinnvoll würde er außerdem eine Novelle des Epidemiegesetzes von 1913 halten: „Unser Epidemiegesetz ist älter als die Bundesverfassung und die Salzburger Festspiele.“ Es würde nicht schaden, sich „Gedanken zu machen, ob man das nicht ins 21. Jahrhundert holen könnte“.

Turbogesetzgebung von März unter der Lupe

Zuvor hatte Grabenwarter in seiner Festrede betont, dass unabhängig von den Grundrechten alle Gesetze der Verfassung entsprechen müssen, und alle Akte der Regierung und der Verwaltung gesetzmäßig sein müssen: „Für die Parlamente folgt daraus die Pflicht, hinreichend vorbereitete und klare Gesetze zu beschließen. Es kann nur der Ausnahmefall sein, dass Gesetze an einem Tag das gesamte Verfahren durchlaufen, wie wir es im März erlebt haben.“

Auch Regierungen an Recht gebunden

Dass sich auch Regierungen in Demokratien an geltende Gesetze und Entscheidungen von unabhängigen Gerichten halten müssen, geht ideengeschichtlich u. a. auf Thomas Jefferson (1743-1826) zurück. Der hauptsächliche Verfasser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776, einflussreichste Staatstheoretiker der USA und dritte US-Präsident war wie die anderen „Gründerväter“ der Vereinigten Staaten ein strikter Verfechter dieser Gewaltenteilung. Absolutistischen Monarchen im alten Europa war ein solches Denken fremd.

Christoph Grabenwarter Präsident des Verfassungsgerichtshofes
VfGH/Katharina Fröschl-Roßboth
Grabenwarter

Parallel zur aktuellen Kritik des österreichischen Verfassungsrichters Grabenwarter läuft schon seit Wochen bundesweit eine breite Debatte, ob manche Maßnahmen der Exekutive und Verwaltung gegenüber Bürgern im Zusammenhang mit CoV-Vorschriften rechtmäßig oder möglicherweise auch illegal gewesen sein könnten. Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, wie viele Streitfragen in diesem Zusammenhang auch die Justiz und die gerichtlichen Instanzen beschäftigen könnten.

Agierten Verwaltung und Polizei immer legal?

Die Verwaltung müsse ihre Akte immer auf die Gesetze stützen und bestimmte Verfahren einhalten, forderte Grabenwarter weiter. Dazu gehöre auch, die Entscheidungsgrundlagen zu ermitteln und zu dokumentieren. Nur so sei gewährleistet, dass die Bürger wissen, „was verboten und was erlaubt ist“, so der VfGH-Präsident.

Festspiel-Symposion in der Aula

In einer Woche beginnen die Salzburger Festspiele – etwas anders als gewohnt: verkürzt, nur die halben Sitzplätze, keine Pausen, viel Corona-Schutz. Und dennoch ist man froh, dass es sie heuer überhaupt gibt.

Festspiele und Bundesverfassung beide 100

In der Großen Aula der Universität Salzburg ging es am Freitag zum 100-Jahr-Jubiläum der Salzburger Festspiele bei einem Symposium auch um den 100. Geburtstag der Verfassung Österreichs. Beide waren ein Neubeginn nach der Monarchie und dem Massensterben im Ersten Weltkrieg – mehr dazu in salzburg.ORF.at (24.7.2020).

Hans Kelsen und Max Reinhardt
Glorfindel Goldscheitel / Goethe-University Frankfurt am Main / Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.
Zwei Männer, denen Österreich bis heute viel verdankt: Hans Kelsen, der „Vater“ der Bundesverfassung – Max Reinhardt, der „Vater“ der Salzburger Festspiele. Beiden mussten wegen ihrer jüdischen Herkunft vor den Nationalsozialisten fliehen, die auch Österreich zwischen 1938 und 1945 beherrschten.