Schüler beim Lernen zuhause – homelearning oder distance learning
Hermann Hammer
Hermann Hammer
Soziales

Expertin: „Familien jetzt keinen Druck machen“

Zwei Wochen ohne Schule, ohne Kindergarten liegen hinter Österreich. Bei vielen ist der Arbeitsplatz nach Hause übersiedelt, genauso wie der Schulunterricht. Eine extrem fordernde Zeit für Eltern und Kinder, bestätigt Kinder- und Jugendpsychologin Christa Wienerroither. Was jetzt besonders wichtig ist, haben wir mit ihr besprochen.

Die Schulen und Kindergärten sind seit Mitte März quasi geschlossen, viele Eltern arbeiten im Homeoffice, das gesellschaftliche Leben findet nur noch in den eigenen vier – teils sehr beengten – Wänden statt: Österreichs Familien verbringen gerade sehr viel Zeit mit sich selbst und das birgt zweifellos einiges an Konfliktpotenzial. Denn hinzu kommt, dass viele Eltern besonders jetzt von finanziellen oder auch gesundheitlichen Sorgen geplagt werden. Und ein Ende der Abschottung und Sicherheitsmaßnahmen ist noch nicht in Sicht.

„Schwieriger Balanceakt für Eltern“

Um diesen neuen Alltag so gut wie möglich meistern zu können, sind Eltern jetzt besonders gefordert neue Strukturen für sich und ihre Kinder zu schaffen und für eine gut lebbare Atmosphäre zu Hause zu sorgen, sagt die Kinder- und Jugendpsychologin Christa Wienerroither. „Sie müssen mit der eigenen Verunsicherung zurecht kommen, eigene Ängste regulieren und gleichzeitig den Kindern vermitteln: wir können das gut zusammen schaffen. Es ist ein schwieriger Balanceakt im Moment“, bestätigt die Therapeutin.

Christa Wienerroither
SALK
Dr. Christa Wienerroither ist klinische und Gesundheitspsychologin und Psychotherapeutin am Uniklinikum Salzburg in der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde

Für Kinder sei das Kontaktverbot zu ihren Freunden, Schulkollegen oder auch Verwandten, wie Oma und Opa, im Moment die größte Herausforderung. „Bei kleinen Kindern ist es so, dass die Beziehung zu Gleichaltrigen vor allem über spielerische, körperliche Nähe zustande kommt und das kann man digital – etwa durch Videotelefonie – nicht ersetzen“, sagt Wienerroither und ergänzt: „Bei Jugendlichen stehen die Freiräume und die Autonomie im Vordergrund und da ist es für viele natürlich sehr schwierig, dass sie jetzt mit der Familie so eng zusammenrücken.“

Klare Strukturen für neuen Alltag wichtig

Besonders wichtig für Familien sei es jetzt eine klare (Tages-)Struktur zu schaffen. „Viele Kinder haben sich gefreut, dass es jetzt keine Schule gibt. Trotzdem ist es sehr hilfreich, wenn man miteinander einen strukturierten Tagesablauf vereinbar: also eine Zeit festlegt, wann man aufsteht, wann gelernt wird etc. Die Eltern können aber nicht in die Lehrerrolle schlüpfen. Der Schulunterricht lässt sich zu Hause nicht authentisch zu Hause simulieren“, so die Kinder- und Jugendpsychologin.

Appell: „Eltern und Kindern jetzt keinen Druck machen“

Und was den Heimunterricht betrifft, hat Wienerroither einen deutlichen Appell an Eltern und Lehrer: „Unsere leistungsorientierte Gesellschaft sollte jetzt einen Schritt zurückgehen und den Kindern und Eltern nicht auch noch Druck machen, wenn es mit dem Heimunterricht nicht so perfekt klappt. Die Familien haben alle ihre unterschiedlichen Situationen. Es gibt Eltern die jetzt viel zu Hause sind und es sich vielleicht gut einteilen können. Dann gibt es Eltern in Schlüsselfunktionen – im Handel, in der Pflege – die sich zurzeit die Türklinke in die Hand geben und kaum Zeit haben. Und für viele Familien in beengten Wohnverhältnissen, vielleicht auch schwierigen finanziellen Situationen, ist es jetzt ohnehin viel schwerer ein harmonisches Zusammenleben zu schaffen.“

Gerade jetzt könne man nicht erwarten, dass alles perfekt weiterlaufe. Die Expertin appelliert deshalb auch an die Lehrer und Schulen Aufgabenstellungen mit vielen Spielräumen zu geben, einmal öfter ein Auge zu zudrücken, wenn es nicht so klappt und keinen Druck zu machen.

„Die Schule sollte jetzt nicht vorrangig sein. Mit den Kindern ist es wichtig viel zu redet, mit ihnen zu besprechen, wie man den Tag gemeinsam gut und abwechslungsreich gestalten, wie man Highlights einbauen kann. Es gibt ganz viele Ideen und Vorschläge auch im Internet mit basteln, kochen, spielen usw. Und hier sollten sich die Eltern genau überlegen worauf die Kinder und sie selbst denn Lust hätte und neugierig sind“, empfiehlt Wienerroither.

Ängste nur mit anderen Erwachsenen besprechen

Dass sich das leichter liest und schreiben, als umsetzen lässt, ist einer zweifache Mutter durchaus klar. Für viele Eltern sind es genauso herausfordernde Zeiten. Um aber nicht zusätzliche Ängste bei seinen Kinder zu schüren, rät die Psychotherapeutin dazu, „dass Eltern ihre Sorgen nicht auf gleicher Ebene mit den Kindern besprechen. Das heißt, sie sollten ihre Anliegen und Ängste nur mit anderen Erwachsenen besprechen, und auch für sich selbst so gut wie möglich sorgen. Die Kinder brauchen ein sicheres Gegenüber, das präsent und offen ist für ihre momentanen Bedürfnisse.“

Manche Kinder bräuchten jetzt beispielsweise wieder mehr körperliche Nähe und Beruhigung, wie etwa Hilfe beim Einschlafen, oder werden nachts wieder öfter munter und brauchen die Sicherheit ihrer Eltern. „Da ist es wichtig, dass man verständnisvoll ist. Denn das ändert sich von selbst wieder, sobald wir uns alle wieder sicherer fühlen“, so die Psychotherapeutin.

Kindern auf keinen Fall etwas vormachen

Wichtig im richtigen Umgang mit der Coronavirus-Krise sei es auch mit den Kindern ehrlich zu sein. „Man darf ihnen nichts vormachen, wenn man will, dass sie einem vertrauen. Natürlich sollen die Informationen dem Alter der Kinder angepasst und nicht zu kompliziert sein. Es gibt Kinder, die haben von sich aus einen großen Wissensdurst und fragen ohnehin sehr viel. Dann kann man sich von den Kindern leiten lassen. Aber es gibt auch introvertiertere Kinder. Dann ist es gut, wenn die Eltern ab und zu nachfragen, was sie zur momentanen Situation sagen, wie sie das finden, aber ohne sich den Kindern aufzudrängen“, rät Wienerroither.

Es kann außerdem hilfreich sein den Kindern ein Erklärvideo zu zeigen, um das „unsichtbare“ Virus, so kindgerecht „sichtbar“ zu machen. „Hier gibt es ein sehr gutes Video der Stadt Wien, das ich zur Erklärung empfehlen kann“, sagt Wienerroither.

„Das gemeinsame Tun in den Mittelpunkt stellen“

Außerdem sei es wichtig grundsätzlich eine positive Grundstimmung zu vermitteln. Das heißt, Kinder die zu Ängsten neigen, nicht in die Angst hinein zu begleiten, sie nicht noch zu verstärken, „sondern im Gespräch immer wieder betonen, dass es auch Hoffnung gibt, dass die Ärzte nach Medikamenten und Impfungen forschen und dass wir das alles zusammen schaffen werden“, empfiehlt die Expertin.

„Man sollte den Kindern auch sagen: ‚Wir können gemeinsam etwas tun, damit das Virus wieder verschwindet‘, also ein gemeinsames Projekt mit den Kindern daraus machen, ‚indem wir zu Hause bleiben, öfter die Hände waschen, und draußen Abstand halten.‘ Dabei nicht die Gefahr in den Mittelpunkt stellen, sondern das Tun und das Helfen.“

Bei Überlastung unbedingt Hilfe suchen

Sollte die eigene Belastungsgrenze dennoch irgendwann überschritten sein, ist Hilfe von außen wichtig. „Das heißt: wenn ich merke, ich werde sehr schnell ungeduldig und auch wütend und habe das Gefühl, dass ich die Situation nicht mehr aushalte, dann ist es gut Kontakt zu Vertrauenspersonen aufzunehmen – zu Freunden, dem Partner – und sich ihnen anzuvertrauen und darüber zu sprechen.“

Wer auf sich alleine gestellt ist, dem empfiehlt Psychotherapeutin Wienerroither sich an eine Helpline oder Beratungsstelle zu wenden, bevor die Situation zu Hause eskaliert. Professioneller Rat ist vor allem dann gefragt, wenn sich in der aktuellen Situation Konflikte in Beziehungen, in einer Familie, verschärfen sollten.

Anlaufstellen bei Stress und Konflikten

  • Rat auf Draht ist eine bewährte Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche, aber auch für Eltern. Unter 147 oder online bzw. per Chat beraten Expertinnen und Experten, zur Verstärkung sind dort aktuell auch Schulspychologen im Einsatz.
  • Die Frauenhelpline hat ihr Angebot aktuell ausgebaut. Sie ist unter 0800/222 555 erreichbar. Dazu gibt es täglich von 15.00 bis 22.00 Uhr Onlineberatung unter Haltdergewalt.at.
  • Das Kinderschutzzentrum Salzburg steht derzeit mit einem Beratungstelefon unter der Nummer 0662/44 911 für Fragen, Hilfestellungen und Beratungen wochentags zur Verfügung.
  • Männer, die zu Gewalt neigen oder selber von Gewalt betroffen sind, können sich per E-Mail oder telefonisch unter 0800/246 247 an den Männernotruf wenden.