Einfamilienhaus in 10.000 Meter Höhe
ORF/Gerald Lehner
Auer flog früher österreichische Abfangjäger des Typs Saab 105-OE. Er ist der Zwillingsbruder von Martin Auer, der auf einem Eurofighter des Bundesheeres weiterhin als Kampfpilot im Einsatz ist - als einziger Salzburger in der Staffel. Ab und zu besucht er seinen Bruder und den Boeing-Flugsimulator „Synthetic 737“ in Alkoven bei Linz. Der ist aus weltweit zusammengekauften Originalteilen entstanden.
Neben Anfängern auch Profi-Piloten
Die oberösterreichischen Betreiber Marko Aigelsperger und Eric Pürstinger haben viel privates Geld investiert. Mittlerweile nutzen neben Anfängern, Laien und Fortgeschrittenen auch professionelle Airline-Piloten die Anlage, die in einem Einfamilienhaus untergebracht ist. Sie sammeln hier Trainingsstunden und bewältigen gefährliche Situationen, die vorprogrammiert und abgearbeitet werden können.
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Verschiedenste Airports mit allen Details, Landschaften und Meere weltweit - auch die Alpen und ihr wildes Wetter samt detailgenauen Wolken - können aus insgesamt acht Computern auf die Leinwände vor den Fenstern des Cockpits dreidimensional projiziert und eingespielt werden. Übers Web lassen sich reale Wetter-, Flughafen- und Flugverkehrsdaten in den Simulator laden. Elf Kilometer Kabel wurden in der Anlage verlegt.
Testflug von Salzburg nach Korsika
Der ORF-Reporter (im Video auf dem Sitz links) durfte unter Aufsicht von „Co-Pilot“ und Fluglehrer Eric Pürstinger (rechter Sitz) die Boeing 737 von Linz nach Calvi auf Korsika fliegen, mit einem schwierigen „Circling Approach“ vor dem Final (Endanflug).
Video: Endanflug auf Calvi
Auch in der realen Welt müssen Piloten vor Calvi an der Küste rein auf Sicht und ohne automatisches Landesystem gegen das korsische Hochgebirge navigieren und anfliegen. Kamera: Wolfgang Auer.
In der Endphase bei diesem Flughafen muss die große Maschine um 180 Grad gewendet und in Gegenrichtung gelandet werden – wenn der Wind vom Meer her in den für einen Verkehrsjet engen Talkessel von Calvi bläst. Gelandet und gestartet wird in der gesamten Fliegerei aus Sicherheitsgründen – nach Möglichkeit – immer gegen den Wind.
Ausrüstung und Geräte im Originalzustand
Das Alkovener 737-Cockpit und seine mit Händen und Füßen bedienbaren Geräte und Komponenten sind echt. Zusammengeschaltet wirken sie wie in der Realität – physikalisch-technische Steuerungen und Instrumente für Triebwerke, professionelle Navigationsausrüstung, Regler, Steuerknüppel, Pedale, Schalter und Sitze. Gründer und Financier ist Marko Aigelsperger.
Bildergalerie:
Ex-Kampfpilot als Fachberater
Der einzige im Betreiberteam mit langjährig professionellem Hintergrund als Flieger ist Stefan Auer. Der Salzburger hat auf Pilatus-PC-7-Trainingsmaschinen und SAAB 105-OE-Abfangjägern insgesamt 1.500 Flugstunden gesammelt - mit 2.500 Landungen im Logbuch. Auer zog sich aus gesundheitlichen Gründen vom Militär zurück und verdient sich sein Brot nun als Computer-Techniker und Fachberater für Luftfahrtthemen. Er betreut als Konsulent und Sicherheitsexperte auch die international bekannte Flieger-Rennserie eines Salzburger Getränkekonzerns.
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Reales Wetter, Luftverkehr in Echtzeit
Auer sagt, es sei auch für ihn erstaunlich, wie nahe moderne Simulatoren wie der in Alkoven mittlerweile an der Realität seien: „Ich muss bei den Darstellungen von Landschaften und Wolkensystemen oft zwei Mal schauen, ob es der Blick aus einem echten Cockpit ist oder nicht.“ Dazu könne man mittlerweile die Radar-Daten des realen Verkehrs weltweit in Echtzeit aus dem Internet in den eigenen Simulator herunterladen: „Das führt dazu, dass wir hier in Alkoven – auf dem virtuellen Flughafen Mailand – mit unserer Boeing hinter einem Airbus von Lufthansa zur Startpiste hinausrollen. Und man weiß, dieser Airbus ist genau in diesem Moment auf dem echten Flughafen Mailand unterwegs. Wir sehen hier auch reale Langstreckenjets in großen Flughöhen, die aus Amerika nach Frankfurt unterwegs sind – wenn wir selbst knapp darüber oder darunter gerade nach Irland fliegen.“
Auch diese Geschichten und Eindrücke begeistern die Nutzer der „Synthetic 737“: "Ich habe noch keinen gesehen, der nicht mit einem breiten Lächeln oder Grinsen aus dem Cockpit gekommen wäre. Viele strahlen und sind begeistert“, erzählt der frühere Kampfpilot Auer.
„Professionelle“ Flugsicherung
Einen eigenen Bezug zur realen Fliegerei hat auch der Gründer. Marko Aigelsperger besitzt seit 2007 die Privatpilotenlizenz für kleinere Maschinen. Sein Geschäftspartner Eric Pürstinger betreut im Simulator die immer zahlreicher erscheinenden Fans. Sie dürfen hier den Kapitän spielen. Pürstinger dient ihnen als „Co-Pilot“ auf dem rechten Sitz in der Kanzel und übernimmt dabei auch die Rolle des Fluglehrers.
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Aigelsperger „spielt“ im Nebenraum mit professioneller Funksprache die Flugverkehrskontrolle bzw. den Lotsen auf dem jeweiligen Tower. Die meisten Kunden sind Anfänger und Laien, haben in der ersten Stunde auf dem Simulator genug zu tun, um Checklisten abzuarbeiten, den Riesenvogel virtuell zu starten, in der Luft zu halten, zu navigieren und zu landen. Die Komplexität dieser Industrie und Kulturtechnik wird dadurch im Detail begreifbar.
Viel Zeit, Geld und Nerven investiert
Wie viel hat Gründer Aigelsperger bisher in das Projekt gesteckt? „Sechsstellig!“ Mehr will er dazu nicht sagen – also zwischen 100.000 und einer knappen Million Euro? Laut Insidern trifft viel eher der erste Betrag zu, noch immer sehr viel Geld für ein rein privates Amateurprojekt mit Profi-Ambitionen. Zu Beginn habe es pro Tag bestenfalls einen Kunden gegeben, erzählt der Unternehmer. Mittlerweile habe die dörfliche Boeing den zwanzigfachen Umsatz: „Das ist die Grundlage für unsere Zukunftspläne“, so Aigelsperger. Mit Pürstinger will er in der Nähe von Wels oder Linz künftig eine eigene Industriehalle bespielen. Dort sollen weitere Simulatoren in dieser und noch höherer Qualität entstehen – unter anderem das Cockpit für einen Airbus A320neo.
Simulation „täuscht“ Sinne fast perfekt
Im Gegensatz zu professionellen High-End-Simulatoren - wie sie Flugzeugwerke und Airlines betreiben - fehlt in Alkoven noch eine voll bewegliche Multifunktionsplattform. Für Private und Amateure wäre das eine riesige Investition. Mit ihr ließen sich alle Fluglagen in Bezug zur realen Schwerkraft simulieren - das Rollen, Gieren und Nicken einer Maschine, wie die Richtungsänderungen im dreidimensionalen Raum in der Fachsprache heißen. Dazu wären zahlreiche Hydraulik-Zylinder und weitere komplizierte Steuerungen für die Plattform nötig. In der oberösterreichischen Boeing 737 „spürt“ man diese Kräfte dennoch körperlich. Das Gehirn bildet sie sich ein - wegen der hervorragenden Darstellung der Steig-, Reise- und Sinkflüge, Kurven, Landschaften, Geschwindigkeiten, Luftstraßen, Wetterbedingungen und Wolken.
Gerald Lehner, salzburg.ORF.at
Sendungshinweis - Bericht in ORF Radio Salzburg, 7. 10.2018, zum Nachhören:
Links:
- „Synthetic 737“ in Alkoven
- Einziger Salzburger im Eurofighter-Team (salzburger.ORF.at; 18.11.2017)