„Musste in Kinderheim ohne Bezahlung arbeiten“

Heimkinder, die ohne Bezahlung für Firmen arbeiten mussten, das habe es nicht nur in Tirol gegeben, auch in Salzburg. Diesen Vorwurf erhebt eine heute 62-jährige Frau, die in den 1960-er Jahren im Heim St. Josef kaserniert war.

In Tirol setzt man sich bereits seit einiger Zeit mit dem Thema auseinander. Doch Heimkinder, die ohne Bezahlung für Firmen arbeiten mussten, habe es auch in Salzburg gegeben, sagt eine heute 62-jährige Frau, die in den 1960er Jahren im Heim St. Josef kaserniert war. Sie musste als 12- und 13-jährige in einer Salzburger Konditorei putzen, ohne Lohn dafür zu bekommen. Die Frau ist von der Klassnik-Kommission als Opfer anerkannt, die Erzdiözese bezahlt ihre eine Therapie - als Spätfolge einer offenbar entsetzlichen Zeit in einem von Nonnen geführten Kinderheim.

Heim St.Josef

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Das Heim St.Josef, das im Jahr 1962 geschlossen wurde.

Vater wurde straffällig, Kind in Heim gesteckt

Das Heim St.Josef wurde im Jahr 1992 geschlossen. Zuvor waren dort jahrzehntelang sogenannte „schwer erziehbare Mädchen“ interniert. Nun wurde der Fall einer heute 62-jährigen Frau bekannt, deren Vater straffällig geworden war. Das Kind wurde aber nicht zur völlig schudlosen Mutter gebracht, sondern in das Heim St.Josef gesteckt. Im „Salzburg heute“-Interview berichtet die 62-Jährige, die anonym bleiben will, von ihrer Zeit im Heim zwischen 1962 und 1964.

Die betroffene frühere Heiminsassin.

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Die heute 62-Jährige, die anonym bleiben will, berichtet von ihren Erfahrungen in der Heimzeit.

„Es war die Hölle auf Erden“

„Es war eine Katastrophe - die Hölle auf Erden. Kinder, die brav waren, durften - als so genannte Belohnung - zur Konditorei Ratzka putzen gehen. Das war immer am Samstag und es betraf Kinder, bei denen keine Gefahr bestand, dass sie abhauen. Da mussten wir dann richtig putzen und bekamen dann am Abend dafür ein Stück Kuchen - etwas, was es im Heim überhaupt nie gab, weil man dort sehr kurz gehalten wurde. Geld habe ich für diese Arbeit nicht bekommen. Auch in einem landwirtschaftlichen Betrieb in der Hellbrunner Alle ‚durften‘ einige der Kinder als ‚Belohnung‘ arbeiten. Ich jedenfalls kann mir ein Gefängnis nicht schlimmer vorstellen als dieses Heim war.“

„Man hat nicht geschaut, wie es uns geht“

Es habe sich damals eindeutig um Kinderarbeit gehandelt, kritisiert die 62-Jährige. „Wenn Kinder unter 14 Jahren in einer Bäckerei putzen müssen, ist das ja nicht gerade eine rosige Arbeit. Und wenn sie sich damit eine Putzfrau erspart haben, so empfinde ich dies heute im nachhinein als Sauerei. Ich muss im Zorn zurückblicken und bin enttäuscht, dass es so etwas im Namen der Republik oder der Landesregierung gegeben hat und man nicht geschaut hat, wie es solchen Kindern geht. Aber es war ja damals das Jugendamt auch nicht viel besser.“

Konditorei Ratzka

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In der Konditorei Ratzka „durften die braven Heimmädchen putzen“.

Firma Ratzka weist Vorwürfe zurück

Die Konditorei Ratzka habe noch Unterlagen bis ins Jahr 1966 zurück finden können, jedoch nicht mehr für die fragliche Zeit davor, sagt deren Anwältin Anna Ponz. „Zuerst einmal möchte ich sagen, dass die gesamte Familie Ratzka über die Vorwürfe entsetzt ist. Es handelt sich um ein altes, seriöses und penibles Unternehmen und die Tochter als jetzige Betreiberin mit den Vorwürfen überhaupt nichts zu tun hat. Richtig ist, dass Mädchen aus St.Josef zum Arbeiten geschickt worden sind - allerdings mit der Auflage, dass sie älter als 14 Jahre sein müssen. Und man hat darauf vertraut, dass diese Vereinbarung eingehalten wurde. Aber die Mädchen hatten keinen Ausweis und es konnte daher auch nicht kontrolliert werden.“

„Mädchen haben nach der Arbeit Geld bekommen“

Bezüglich Bezahlung habe es einen vereinbarten Stundenlohn gegeben, betont Ponz. „Nach Arbeitsschluss haben die Mädchen das Geld bar ausbezahlt bekommen. Und dann ist die Lohnliste zum Steuerberater gegangen und es wurde abgerechnet.“

Hat das Heim das Geld einbehalten?

Zu Vermutungen, dieses Geld könnte dann vom Heim einbehalten worden sein, äußert sich Ponz vorsichtig. „Das kann ich nicht ausschließen, das entzieht sich meiner Kenntnis. Mir wurde jedenfalls mitgeteilt, dass aus der Kassa bar bezahlt und das Geld den Mädchen mitgegeben wurde.“

Nach Selbstmordversuch aus dem Heim gekommen

Im vergangenen Jahr hat das Heim St.Josef eine Vereinbarung mit der 62-jährigen abgeschlossen, die deren Ansprüche zur Gänze abdecken. Die Frau selbst war damals als Mädchen nach einem Selbstmordversuch aus dem Heim gekommen und machte trotz ihrer Erlebnisse später als erfolgreiche Geschäftsfrau Karriere. Von den im fraglichen Zeitraum in St.Josef tätig gewesenen Personen lebt heute niemand mehr.