Trotz Wolfsattacken: EU bleibt bei Abschussverbot

Entgegen den Forderungen vieler Bergbauern will die EU-Kommission die immer mehr werdenden Wölfe nicht zum Abschuss freigeben - trotz zunehmender Attacken gegen Nutztiere und Weidevieh. Das wurde nun aus Brüssel mitgeteilt.

tote Ziege

ORF/Wolf

Vor wenigen Tagen im Pongau gerissene Ziege. Viele Bergbauern in Österreich können sich teure Schutzmaßnahmen gegen Wölfe nicht leisten

Eine Änderung des besonderen Schutzstatus für Wölfe sei nicht geplant, erklärte EU-Umweltkommissar Karmenu Vella bei einer Veranstaltung im Europäischen Parlament in Brüssel.

Er erntet dafür zum Teil harte Kritik von Landwirten in den Alpen. Sprecher der Landwirtschaftskammern in Österreich und Südtirol betonen, die EU würde abgehoben agieren und regionale Probleme nicht kennen. Immer mehr Nebenerwerbs- und Bergbauern würden aufgeben, weil sie sich den teuren Schutz gegen Wölfe nicht leisten könnten. Die ökologisch wichtige Almwirtschaft sei nun noch stärker in Gefahr als bisher.

EU: „Wahrung des Naturerbes“

„Es geht um die Wahrung des Naturerbes. Wir brauchen die Koexistenz von Mensch und Wolf“, erklärt dagegen EU-Umweltkommissar Vella. Nutztierzüchter aus ganz Europa klagen auch in Brüssel über zunehmende Verluste in ihren Herden und forderten mehr Handhabe gegen Wölfe - bis hin zu Abschüssen. „Die Koexistenz funktioniert nicht“, sagen Schafzüchter. Auch Behörden in Frankreich, Spanien und Italien melden einen deutlichen Anstieg von Tierrissen durch Wölfe. In Österreich sind bisher vor allem Salzburg, Tirol und Teile Oberösterreichs von Angriffen auf Nutztiere betroffen.

Wölfe dürfen in Europa nur in Ausnahmefällen abgeschossen werden, etwa wenn besonders aggressive Einzeltiere dem Menschen zu nahe kommen. Daran soll sich laut EU-Kommission grundsätzlich auch nichts ändern.

EU empfiehlt bessere Schutzmaßnahmen

EU-Kommissar Vella warnt vor einer „Schwarz-Weiß-Debatte“ und empfahl Mitgliedsländern und Tierhaltern effizientere Schutzmaßnahmen: Elektrozäune, modernes Weidenmanagement, Schulungen für Landwirte und, wenn alles nichts hilft, finanzielle Kompensation beim Verlust von Nutztieren. Die Kommission sei auch bereit, solche Maßnahmen zu unterstützen, verwies Vella auf entsprechende Fördermittel in diversen EU-Töpfen. Zugleich nahm er die Mitgliedsstaaten in die Pflicht. Diese müssten für entsprechende Maßnahmen auf regionaler Ebene sorgen. „Warum erwartet alle Welt, dass die Lösung aus Brüssel serviert wird?“, so Vella.

„Almwirtschaft gefährdet, Kosten unkalkulierbar“

Mehr Freiheiten für die Regionen fordert unterdessen der Österreicher Gregor Grill von der Landwirtschaftskammer Salzburg. „Ich halte den strengen Schutzstatus in dieser Form nicht mehr für angebracht. Mit 20.000 Tieren würde ich den Wolf in Europa nicht als gefährdet einstufen“, sagt Grill. Er berichtete vor EU-Parlamentariern aus der österreichischen Praxis. Nahezu jede Nacht sei zuletzt Weidevieh im Salzburger Pongau von einem Wolf gerissen worden: „Wir sind ein Wolf-Transitland.“ Der Großteil der Weideflächen befinde sich im alpinen Raum und auf Almen, und es gebe einen krassen Mangel an Hirten und ausgebildeten Hirtenhunden. Zwei Drittel der Weidehalter seien Nebenerwerbsbauern, die sich umfassende Schutzmaßnahmen kaum leisten könnten, betonen Sprecher der Landwirtschaft. Es würden personelle Kapazitäten, Zeit und Geld fehlen, so Grill. Viele Landwirte würden deshalb ihre Kleinbetriebe schließen, mit ökologisch sehr negativen Folgen für die alpine Kulturlandschaft.

Südtirol: „EU kennt reale Welt nicht“

Mehr regionalen Spielraum bei der Abwehr von Wölfen fordert auch der Südtiroler EVP-Parlamentarier Herbert Dorfmann. „Für absoluten Schutz gibt es keine Notwendigkeit. Aber die EU-Kommission kennt die reale Welt nicht“, kritisiert Dorfmann. In Regionen wie Südtirol, Tirol oder Salzburg seien Herdenschutzmaßnahmen auf alpinen Weiden nicht überall machbar. Die geeigneten Elektrozäune würden auch touristische Freizeitaktivitäten einschränken. „Wo Herdenschutz nicht möglich ist, muss regional auch ein Abschuss möglich sein“, fordert Dorfmann.

Abschüsse nur in Einzelfällen erlaubt

Der Wolf wurde in Mittel- und Westeuropa Mitte des 19. Jahrhunderts ausgerottet, im Osten und Süden des Kontinents überlebten die Tiere. In den vergangenen 20 Jahren kehrten sie wieder in die früher dichter von ihnen besiedelten Gegenden Europas zurück. In Österreich gibt es seit einigen Jahren einzelne Wolfssichtungen. Insgesamt dürften in Europa zwischen 10.000 und 20.000 Wölfe leben. Genaue Zahlen gibt es nicht. Wölfe sind in Europa streng geschützt. Die entsprechenden Regelungen finden sich völkerrechtlich in der Berner Konvention und EU-rechtlich in der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie.

Deutscher Politiker im Flachland gegen Abschüsse

Stefan Wenzel war früher Umweltminister im weitgehend flachen Niedersachsen, wo es eine hauptsächlich industriell organisierte Landwirtschaft mit sehr großen Betrieben und finanziell schlagkräftigen Strukturen gibt - und kaum Nebenerwerbsbauern sowie keine Alm- und Bergbauern. Wenzel hält wenig von Abschüssen. Das deutsche Bundesland habe in den vergangenen Jahren ein eigenes Wolfskonzept entwickelt und umgesetzt. Ergebnis: Gutes Herdenmanagement und guter Herdenschutz helfen. Mit Elektrozäunen, Herdenschutzhunden und der Vermeidung von Futterkonditionierung auf Menschennähe sowie Förderungen und Ausgleichszahlungen bei Schäden habe man in Niedersachsen gute Erfolge erzielt.

Links: