Kletterpionierin Helma Schimke verstorben

Die Salzburger Bergsteigerin, Kletterin und Architektin Helma Schimke ist tot. Wie erst jetzt bekannt wurde, verstarb die international gewürdigte Sportpionierin am Samstag mit 92 Jahren.

Schon mit 13 Jahren hatte die gebürtige Seekirchenerin mit dem intensiven Sporteln in den Bergen begonnen. Man schrieb das Jahr 1939. Auch nach dem Krieg ab 1945 war die Lage nicht gerade paradiesisch für das Klettern und Bergsteigen. Mädchen und Frauen wurde der Sport in den strukturell sehr konservativen und wirtschaftlich harten Zeiten vom gesellschaftlichen Mainstream kaum oder gar nicht zugestanden. Wenn sie es dennoch betrieben, dann sorgte das für viel Unverständnis, Ablehnung und zum Teil auch harte Kritik. Aus der Sicht der modernen Wohlstandswelt mit ihren vielen und guten Bergsteigerinnen war das ein Szenario, das sich heute kaum jemand vorstellen kann.

helma schimke kletterin bergsteigerin

Gerald Lehner

Zur Erinnerung an Helma Schimke - 16. Februar 1926 bis 7. April 2018

Harte und schwierige Touren

In Schimkes Tourenbüchern finden sich neben anderen Erfolgen auch die Brenva-Flanke, der sehr lange, schwierige Peuterey-Grat auf dem Montblanc, die Nordostwand auf dem Piz Adile, die damals wegen des massiven Eispanzers viel schwierigere Pallavicini-Rinne auf dem Großglockner, die Westwand der Maukspitze, die Südostverschneidung der Fleischbank im Kaisergebirge und die Ostwand auf dem Monte Rosa.

Früh mit Buhl, Schmuck, Wintersteller auf dem Weg

Einige der besten Bergsteiger der 1950er Jahre gehörten in Schul- und Studienjahren zu ihrem Gefährten- und Freundeskreis - darunter die beiden Salzburger Fritz Wintersteller und Marcus Schmuck, denen mit Hermann Buhl und Kurt Diemberger die Erstbesteigung des Broad Peak in Pakistan gelang (1957) – mit geringen technischen Mitteln und ohne Hilfe von Hochträgern im reinen, damals revolutionären „Alpinstil“. Das hatte es auf den Achttausendern bis dahin nicht gegeben.

Marcus Schmuck auf dem Broad Peak, 9. Juni 1957

Fritz Wintersteller

Marcus Schmuck, 1957 auf dem Broad Peak

Schimke war in den heimatlichen Bergen Salzburgs, des Berchtesgadener Landes und des Wilden Kaisers auch mit Buhl unterwegs. Der Tiroler aus Innsbruck war familiär auch in Berchtesgaden verwurzelt und schon seit 1953 ein Weltstar – wegen seines Alleingangs bei der Erstbesteigung des Nanga Parbat.

Humor, Charme, soziales Verständnis

Wesentliche Merkmale Schimkes waren neben ihrem Sportsgeist und Leistungsvermögen ein großes Mitgefühl für Schwächere, Interesse für soziale und technische Fragen, Optimismus, ausgeprägter Humor, Selbstironie und ihr Charme, mit dem sie das Leben, die Künste und das Dasein generell betrachtete. Eine ideologisch motivierte Geschlechterkämpferin oder Fanatikerin war sie nicht. Sie zog ihr Ding mit Stil durch, bewies praktische Talente in vielen Bereichen. Da konnten Männer oder Neider lästern, wie sie wollten.

Schimke verdiente das Brot für ihre Familie und sich als freiberufliche Architektin und gehörte als junge Sportlerin in den 1950er und 1960er Jahren zur damals in Europa und Übersee sehr kleinen Schar der Frauen - unter den ebenfalls nicht gerade zahlreichen Männern im alpinen Spitzenbereich. Der Krieg hatte auch in diesen Bereichen gewaltige Lücken gerissen.

Helma Schimke

ORF

Mit dem Vorsteiger Schmuck im schwierigen Fels auf der Fleischbank im Wilden Kaiser

Viele Anekdoten
Die Salzburgerin fuhr mehrmals mit dem Motorroller in die Westalpen. Mit sportlich herausragenden Männern kletterte sie zuerst als Nachsteigerin, später übernahm sie immer wieder auch die psychisch viel anspruchsvollere Führungsarbeit.

Dann ging es im Gebiet des Montblanc um die schwierige Neutour „Ratti/Vitali“ (benannt nach den Erstbegehern) in der Westwand der Aiguille Noir. 1953 gab es im Europa der Nachkriegszeit noch starke Rivalitäten zwischen den „Bergnationen“ Frankreich, Schweiz, Italien und Österreich. Auf der Hütte wurden die Österreicher am Abend vor ihrem Aufbruch von lokalen Helden verspottet: „Die wollen mit dieser Frau da durch die Ratti!“

Um die Tour zu verhindern, verweigerte der Hüttenwirt der Salzburgerin das Teewasser: „Das hat mich schon sehr gekränkt“, sagte Schimke noch nach Jahrzehnten.

Der Salzburger Bergführer und Kletterer Gerald Zussner aus dem Gasteiner Tal verweist auf Schimkes generell herausragende Rolle im Alpinismus - nicht nur im Frauenbergsteigen: „Sie hat ihren Tee für die Aiguille Noir dann halt bei Fritz Wintersteller und den anderen Österreichern mitgetrunken. Dann sind sie über den zerklüfteten Freney-Gletscher zum Einstieg der Tour aufgestiegen. Es folgte nach harter Kletterei noch ein eisiges Biwak im oberen Drittel der kalten Westwand.“

Helma habe selbst da noch geschwärmt über „diese wundervolle Geräuschkulisse der zusammenbrechenden Eistürme weit unten auf dem Gletscher“, zitiert Schimke-Fan Zussner aus der Bergliteratur: "Am nächsten Tag erreichten sie den Gipfel, trotz des Wahnsinns mit dem Teewasser. Eine grandiose Frau!“

Studium bei Clemens Holzmeister

Schimke absolvierte die Höhere Technische Bundeslehranstalt in Salzburg, wurde Bauingenieurin und studierte dann Architektur in Wien – unter anderem bei Clemens Holzmeister. Sie pendelte regelmäßig in den Westen und meisterte zahlreiche schwierige Klettereien bis zum sechsten Schwierigkeitsgrad, die angesichts der damals noch sehr „primitiven“ Sicherungsmittel viel größere Herausforderungen waren als heute.

Familiäre Tragödie auf dem Watzmann

Die Bergsteigerin war mit dem Salzburger Richter Konrad Schimke verheiratet, der 1961 in der Watzmann-Ostwand von einer Lawine in den Tod gerissen wurde. Als Witwe hörte sie nach diesem Unglück selbst nicht mit dem Bergsteigen auf und hatte ihre drei kleinen Kinder nun allein zu versorgen. Schimke musste sich von Außenstehenden deshalb immer wieder vorwerfen lassen, dass sie unverantwortlich sei. Bis ins hohe Alter war sie überzeugt, dass ihre Entscheidung von damals die einzig richtige gewesen sei, um auch den Kindern ein gutes Leben zu ermöglichen. Diese waren ebenfalls schon früh von den Bergen begeistert. Schimke kletterte später auch mit dem Jesuitenpater Fred Ritzhaupt und der Skirennläuferin Christl Haas in nicht gerade einfachen Routen.

Berge als Lebensschule

Mit zunehmendem Alter galt Schimke bei ihren Fans auch als Philosophin. Sie sah den tieferen Sinn des Bergsteigens nicht mehr so sehr in möglichst hohen Schwierigkeitsgraden, sondern als Schulung der Persönlichkeit und tröstlichen Ausweg aus dem monotonen Alltag der Industriegesellschaft. Dazu kam das Training von Ausdauer und Kraft als gute Strategie gegen den körperlichen Abbau. Sie wirkte damit auch als motivierendes Vorbild für wesentlich Jüngere, die körperliche Gebrechen und seelische Probleme haben.

Schimke ging noch im hohen Lebensalter klettern - bis zum vierten Grad. Das erinnerte die Community wieder an den deutsch-amerikanischen Kletterpionier Fritz Wiessner, der es in seinen 80ern ebenfalls nicht lassen konnte. Ähnlich unterwegs ist noch immer der US-Everest-Pionier Tom Hornbein.

Film

2002 drehten die Salzburgerinnen Anette Mäser und Ulrike Gschwandtner, die später in Pakistan ums Leben kam, einen Film über Schimkes Leben: „Über allem der Berg“. Er wurde in Österreich und auch international bei Festivals ein Erfolg.

Die Pionierin und letzte Zeitzeugin einer untergegangenen Kletterwelt wird am Donnerstag, 12. April 2018, um 10.00 Uhr in der Aussegnungshalle auf dem Salzburger Kommunalfriedhof verabschiedet.

Gerald Lehner, salzburg.ORF.at

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