Früher Prophet: Krise der EU und Englands

Montagabend ging es an der Uni Salzburg um den Brexit und den amerikanischen Philosophen Leopold Kohr. Neben Großbritannien prophezeite der gebürtige Salzburger der EU keine gute Zukunft - schon 1970 bei einem Vortrag in London.

Leopold Kohr

Gerald Lehner

Kohr 1993 in seiner britischen Wahlheimat Gloucester

Kohrs Vortrag hieß damals „Das Ende Großbritanniens“. Er bezog sich 1970 auf die politischen und ökonomischen Folgen der jahrhundertelangen Unterdrückung und Bevormundung der kleinen keltischen Völker Großbritanniens und der vielen kleinen Völker des nahezu globalen Kolonialreiches. Die in den letzten Jahren wieder aktuellen Abspaltungstendenzen der Schotten und Waliser sowie die gegen Nationalismen gerichtete Staatsstruktur der viersprachigen Schweiz gehörten zu seinen Lieblingsthemen.

Erinnerungsrede für Freidenker Conway

Und auch die einsprachige Hegemonialmacht England im Süden der britischen Inseln werde ihre Unterworfenen künftig nicht mehr von oben herab behandeln können, sondern in die kulturelle wie politische Freiheit entlassen müssen.

Moncure D. Conway

Unbekannter Fotograf

Conway

Politische Saurier und starr geführte Riesenreiche könnten ohnehin auf Dauer nicht überleben, sagte Leopold Kohr in seiner „52nd Conway Memorial Lecture“ zur Erinnerung an den amerikanischen Schriftsteller Moncure D. Conway (1832-1907). Der gebürtige Salzburger und US-Staatsbürger hielt diese Rede am 6. Oktober 1970 in der Conway Hall, London. Conway war im 19. Jahrhundert neben Henry David Thoreau, Ralph Waldo Emerson und anderen ein lautstarker Freidenker und radikaler Gegner der Sklaverei in den USA. Er widmete seine Thesen auch den Bewohnern Asiens und Afrikas, die eine Befreiung und Demokratisierung verdienen würden.

Krise Englands, aktuelle Krise der EU

Der Salzburger Philosoph Günther Witzany stellte diese im Original englischsprachige und mittlerweile 48 Jahre alte Rede Kohrs am Montagabend an der Universität Salzburg erstmals analytisch einem deutschsprachigen Publikum näher vor. Anschließend wurde mit den Zuhörern über mögliche aktuelle Bezüge zu Brexit, Großbritannien und EU diskutiert.

Veranstaltungshinweis: „Das Ende Großbritanniens“, Vortrag von Günther Witzany mit Diskussion. Uni Salzburg, Hofstallgasse 1, Hörsaal 121 - 26.2.2018, 18.15 Uhr. Eintritt frei.

Witzanys Thema waren zwei - ineinander verschachtelte – Problemkreise: Die historische Krise Großbritanniens als zentralistisch regierter Vielvölkerstaat und koloniales Imperium sowie die aktuelle Krise der Europäischen Union, die der Vortragende ebenfalls als zentralistischen, viel zu starren Riesen skizziert. Die EU weise aus demokratischer, regionalwirtschaftlicher und sozialpolitischer Sicht massive Defizite auf - wie alle zu groß geratenen Systeme, Staaten, Konzerne und Körperschaften.

Regionen: „Heilung vom politischen Größenwahn“

Wales, Schottland, Cornwall, Yorkshire, Dorset, Rutland und andere kulturell eigenständige Regionen Großbritanniens würden sich eines Tages aus der Vorherrschaft Englands befreien, sagte Kohr im Jahr 1970: „Das Monster der Größe erstickt alle kleinen Völker“.

Kohrs Schüler Witzany wendet solche Thesen seit Jahren auch bei seiner Analyse und teils harten Kritik der Europäischen Union an. Die großen Mächte und riesigen Apparate müssten aufgeteilt werden - auf Basis der europäischen Regionalkulturen und nicht auf Basis bestehender Staatsgrenzen, Ideologien und Nationalismen.

Bei Kohr hört sich das sinngemäß so an: Nur durch Aufspaltung in kleinere Einheiten könnten die großen und kriegstreibenden Nationalismen Europas letztlich im Zaum gehalten werden. Und nur eine möglichst vielfältige Regionalisierung über bestehende Staatsgrenzen hinweg könne die Menschheit vor der „Krankheit der Maßlosigkeit und des politischen Größenwahns bewahren“.

Kohrs Londoner Vortrag von 1970 wurde vor kurzem ins Deutsche übersetzt und hier als PDF ins Internet gestellt.

Leopold Kohr an der Schreibmaschine Philosoph Ökonom Journalist www.kohr.at

Gerald Lehner

Leopold Kohr wenige Wochen vor seinem Tod (26. Februar 1994) im britischen Gloucester

Journalistischer Kampf gegen Hitler

Der junge Salzburger Leopold Kohr, 1909 in Oberndorf (Flachgau) geboren, arbeitete 1936 als frischgebackener Jurist und Staatswissenschafter im Spanischen Bürgerkrieg als Journalist und Kriegsberichterstatter. Er kannte George Orwell und Ernest Hemingway persönlich, die damals seine Kollegen waren. Kohr sympathisierte mit den katalonischen Anarchisten, die Stalins Agenten in Spanien und die Faschisten Francos gleichermaßen bekämpften. 1939 flüchtete er als Gegner Hitlers von Salzburg zuerst nach Frankreich, dann nach Kanada und in die USA. Er analysierte in führenden Zeitungen Nordamerikas während des Zweiten Weltkrieges die Lage Europas und beleuchtete den Hintergrund Hitlers, der wie Kohr aus der Region an Salzach und Inn stammte. Kohr wurde später als Philosoph, Regionalist und Ökonom international bekannt. Der britisch-deutsche Schriftsteller Fritz Schumacher verarbeitete dieses Denken in den 1970er-Jahren zu dem Bestseller „Small is beautiful“. Der Buchtitel wurde dann Kohr von anderen als Leitspruch seiner Philosophie zugeschrieben. Letztlich war es eine Verharmlosung seiner Thesen und Utopien, die das politische Ende der Großmächte zum Ziel hatten - mit friedlichen Mitteln der Regionalisierung und Aufspaltung in überschaubare, besser regierbare Einheiten. Weltweit.

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