Baumgartners Sprung viel schneller als berechnet

Der Stratosphärensprung von Felix Baumgartner, bei dem er 2012 die Schallmauer durchbrochen hat, hat völlig neues physikalisches Wissen gebracht. Der Salzburger fiel deutlich schneller als erwartet zur Erde, schreiben deutsche Forscher.

Am 14. Oktober 2012 sprang der Salzburger Extremsportler Baumgartner aus einer Höhe von rund 39 Kilometern auf die Erde und durchbrach dabei im freien Fall die Schallmauer. Deutsche Forscher haben nun die Strömungsdynamik analysiert und berichten im Fachblatt „Plos One“, dass Baumgartner trotz seines unregelmäßig geformten Outfits schneller fiel als ein glatter, symmetrischer Körper. Dieser müsste „normalerweise“ - laut bisher geltender Strömungslehre - schneller sein.

Felix Baumgartner Stratos-Sprung Stratosphäre

JAY NEMETH/RED BULL CONTENT POOL

Baumgartner beim Ausstieg aus der Ballonkapsel

Physiker verblüfft über 1,25 Mach

Ulrich Walter, Leiter des Lehrstuhls für Raumfahrttechnik an der Technischen Universität München (TUM), hat als wissenschaftlicher Berater des Stratos-Teams den Sprung aus der Stratosphäre live mitverfolgt. Und er hat das weltweit im TV übertragene Ereignis dazu genutzt, um den Fall eines unregelmäßig geformten Objekts zu studieren: „Bisher wusste niemand, welchen Einfluss raue und ungleichmäßig geformte Oberflächen - beispielsweise die Falten des Schutzanzugs und der Rucksack, den Baumgartner trug - auf die Strömungsdynamik haben“, so der Forscher.

Die Überraschung kam schon kurz nach der Landung, so Walter: „Unsere Berechnungen, die auf der Strömungsdynamik eines glatten Körpers basierten, hatten ergeben, dass Baumgartner eine Sprunghöhe von etwa 37 Kilometern benötigen würde, um die Schallmauer zu durchbrechen, also schneller zu fallen als Mach 1, was etwa 1.200 Stundenkilometern entspricht. Tatsächlich erreichte Baumgartner jedoch weit mehr, nämlich eine Geschwindigkeit von 1,25 Mach.“

Verhalten von Luft an Schallgrenze sehr komplex

Wie es gelang, trotz Schutzanzugs und Rucksacks schneller zu fallen als ein symmetrisches Objekt mit glatten Oberflächen, versuchten die Wissenschaftler, mit Hilfe der aufgezeichneten Daten wie der Druck- und Temperaturwerte in der Atmosphäre, der Geschwindigkeit Baumgartners und seiner Lage im Raum in jedem Moment des Falls zu klären. Das Problem dabei ist, dass die Berechnung der Strömungsdynamik nahe der Schallgrenze komplex ist, weil sich dabei unterschiedliche physikalische Phänomene überlagern.

Glatte Oberfläche wäre langsamer

So weicht Luft bei Geschwindigkeiten zwischen 0,7 und 1,3 Mach einem bewegten Objekt nicht mehr elastisch aus, sondern reagiert starr. Es bilden sich Schockwellen, die zu Turbulenzen führen, und diese absorbieren Energie, was zu einem Anstieg des Luftwiderstands nahe der Schallgeschwindigkeit führt. Umgekehrt können bei bestimmten Strömungsverhältnissen Unebenheiten an der Oberfläche den Luftwiderstand verringern - so wie ein Golfball mit seinen kleinen Dellen in der Oberfläche besser fliegt. Dadurch kann auch ein Körper im freien Fall schneller sein, wenn er keine glatte Oberfläche hat.

Schallmauer selbst fast ohne Widerstand

Für die Wissenschaftler kam das Ergebnis überraschend. Während der Strömungswiderstandskoeffizient eines glatten Kubus ab 0,6 Mach kontinuierlich bis 1,1 Mach steigt, blieb er bei Baumgartners Flug nahezu unverändert - die Schallmauer erzeugte in seinem Fall kaum eine zusätzliche Abbremsung.

Laut Walter hat die Untersuchung gezeigt, dass beliebige Dellen, Falten und Unregelmäßigkeiten der Oberfläche im Bereich nahe der Schallgeschwindigkeit den Luftwiderstand deutlich senken. Das könnte einmal auch für Flugzeuge interessant sein, wenn deren Reisegeschwindigkeit weiter steige, so die Forscher.

Haihaut als Beispiel in flüssigen Strömungen

Bleibt die Frage, wie weit und ob überhaupt diese neuen Erkenntnisse aus der Strömungsphysik von Luft an der Schallmauer mit der Strömungslehre von Flüssigkeiten zusammenpassen. Diese lassen sich im Gegensatz zu Gasen allerdings kaum zusammenpressen. Bei Haien ist beispielsweise schon lange bekannt, dass ihre sehr raue Haut im Wasser einen wesentlich geringeren Strömungswiderstand hat als glatte oder sogar speziell polierte Oberflächen. Die Wasserpartikel in den Unebenheiten der Haut wirken laut Experten wie eine verbesserte Gleitschicht gegenüber dem umgebenden Wasser. Dadurch brauchen Haie viel weniger Energie, um ihre vergleichsweise hohe Geschwindigkeit zu erreichen und zu halten.

Gerald Lehner, salzburg.ORF.at/APA

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