Harter Lesemarathon: Sieben Stunden Musil

Sieben Stunden ohne Pause hat am Dienstagabend ein Lesemarathon bei den Salzburger Festspielen gedauert. 14 Schauspieler nahmen sich Roberts Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ vor.

Robert Musil

Scan du livre .Musil, Journaux

Musil, um ca. 1900

„Wenn Sie noch auf die Toilette müssen, dann jetzt“. Mit dieser Aufforderung begann Roland Koch am Dienstagabend seine Lesung des Anfangskapitels von Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ bei den Salzburger Festspielen. Der rund sieben Stunden durchgängige Vortrag ohne Pause im Landestheater stellte das Publikum auf eine harte Aufmerksamkeitsprobe.

Sperriger Einstieg ins Epos

„Woraus bemerkenswerter Weise nichts hervorgeht“, hob der Burgtheater-Schauspieler an und trug den recht sperrigen Einstieg des Romans vor, der schon manch bereitwilligen Leser dazu bewogen hat, das Buch wieder wegzulegen. Da war das Publikum noch frisch und aufnahmebereit.

Insgesamt 14 Schauspieler teilten sich den zum Kanon der österreichischen Pflichtliteratur gehörenden Text. Im Halbstundentakt kam immer wieder ein neuer Vortragender auf die Bühne, küsste den Vorgänger, setzte sich an den schwarzen Tisch. Es folgte der obligate Austausch des Wasserglases, dann ging es weiter im Roman. Dieser laufende Wechsel machte den eigentlichen Reiz des Lesemarathons aus. Da entstanden jedes Mal wieder ganz individuell gestaltete Miniaturen, die als einzelne essayartige Episoden wohl auch ganz für sich hätten stehen können.

„Kakanien lebt“: Musil aktueller denn je?

Musils Text, obwohl in den 1930er-Jahren entstanden, wirkt passagenweise, als wäre er für unsere Zeit geschrieben. Kakanien lebt und auch jene Menschen, die in einer sich auflösenden Gesellschaft herumtorkeln, scheinen nicht aus der Zeit gefallen. So mancher Satz könnte von heute sein – und auch an Ironie fehlt es nicht. Der Lesemarathon sollte auch dazu dienen, diesen Roman neu oder wieder zu entdecken, lautete die Intention der Festspiele.

Eva Herzig, nach Koch als zweite Vortragende an der Reihe, ließ die gefräßige Prostituierte, die von Ulrich gedemütigt wird, zu Leben erstehen und zeichnete ausdrucksstark die Faszination jener Frau nach, die den überfallenen und ausgeraubten Protagonisten nach verlorenem Kampf nach Hause begleitet. Sie hat sich in den Text hineingelebt. Mavie Hörbinger, Johannes Silberschneider oder der für Anna Drexler eingesprungene Steven Scharf erschufen vorlesend jenes Kakanien, in dem die große Parallelaktion zum Thronjubiläum des Regenten vorbereitet wurde. Da entstanden ganze Welten, man sah bei Scharf die Hauptfigur Ulrich plastisch vor sich, wie sie die junge Gerda Fischel umarmte und nach dem Strumpfbandhalter tastete.

Die Tochter und ihre rechtsextremen Freunde

Silberschneiders Part war einer der Höhepunkte des Abends. Er schlüpfte am Tisch sitzend in alle vorkommenden Figuren, erweckte sie mit ein paar Gesten, mit den Tonfall und dem Rhythmus seiner Stimme zu Leben. Man sah den Direktor Fischel durch sein Haus gehen, staunend über das, was sich rund um seine Tochter und ihre rechtsextremen Freunde angebahnt hatte.

Bei anderen Vortragenden wiederum – wie Christoph Franken oder Christian Friedel – blieb „Der Mann ohne Eigenschaften“ blutleer und leblos. Sie wirkten manchmal, als hätten sie ihre Passage erstmals vor sich und wären selbst vom Fortgang der Geschichte überrascht worden. Da entstanden keine Bilder im Kopf.

Klopause für die Flucht nutzen

Insgesamt sorgte die Lesung für einen spannenden und ungewöhnlichen Festspielabend. Am Ende hatten sich die Reihen im Landestheater allerdings deutlich gelichtet. So mancher Besucher stieg nach der Klopause nicht mehr in den Lesemarathon ein. „Der Mann ohne Eigenschaften“ braucht auch vorgelesen einiges an Ausdauer - mehr dazu in „Nachsitzen mit Musil“ in ORF.at (Von Gerald Heidegger)

Claudia Lagler, APA

Link: