Erster blinder Chemie-Absolvent in Mitteleuropa

Bernhard Tschulnigg aus Saalfelden (Pinzgau) ist der erste Blinde, der ein Chemie-Studium in Mitteleuropa absolviert hat, obwohl er von Geburt an blind ist. Ausdauer, Begeisterung und ein großer Aufwand waren dafür notwendig.

Chemie ist Bernhard Tschulniggs Leidenschaft - und das nicht erst seit dem Studium an der Universität Innsbruck. Schon seit seiner Kindheit beschäftigt sich der heute 38-Jährige mit chemischen Prozessen. Chemie zu studieren war von klein auf sein Traum. Die Unterstützung seiner Familie war immer da, doch es gab auch kritische Stimmen - gerade im Universitätsbetrieb. „Ich habe einfach an mich geglaubt“, schildert Bernhard Tschulnigg. „Alles, was ich in meinem Leben angefangen habe, habe ich auch fertig gemacht. Dementsprechend war es für mich einfach völlig klar, dass ich das auch fertigmachen will.“

Bernhard Tschulnigg, blinder Chemiker, im Labor

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Bernhard Tschulnigg hat jetzt sein Chemiestudium in Innsbruck abgeschlossen

Bachelorarbeit über Fullerene

Jetzt ist es soweit: In Bernhard Tschulniggs Bachelorarbeit geht es um Moleküle aus Kohlenstoffatomen - in der Fachsprache „Fullerene“ genannt: „Das Fulleren ist eine besondere Form des Elements Kohlenstoff, das technisch für organische Solarzellen und Halbleiter und Transistoren verwendet werden kann und da sehr viele zukunftsträchtige Anwendungsformen verspricht“, so Tschulnigg.

Modell von Fullerenen ("Buckyballs", Kohlenstoffatome)

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Der 38-Jährige beschäftigte sich mit den Kohlenstoffatomen

Für seine eigene Zukunft muss sich der 38-Jährige nun neue Ziele setzen: Beruflich in seinem Fachgebiet Fuß zu fassen - das ist sein großer Wunsch. Aber jetzt ist er zuerst auf Urlaub zu Hause in Saalfelden. Hier besuchte Bernhard als erstes Integrationskind überhaupt die Hauptschule. Seine Eltern setzten sich dafür ein. Danach wechselte er ins Gymnasium nach Salzburg. Ein Jahr vor seiner Matura erlitt Bernhards Tschulniggs Mutter eine Gehirnblutung. Seitdem liegt sie im Wachkoma.

Experimente schon im elterlichen Badezimmer

Der Badeschaum seiner Mutter war es, der bei Bernhard das Interesse für Chemie weckte, als er sechs Jahre alt war. Sein Vater - der Maler und Grafiker Peter Tschulnigg - erinnert sich: „Seine Chemie war damals das Badezimmer, wo er sämtliche Dinge zusammengemischt hat. Er hat dann wirklich alles probiert. Er hat mit acht, neun, zehn Jahren Raketen zu bauen begonnen, die ich dann immer anzünden durfte.“

Bernhard Tschulnigg (links) mit seinem Vater Peter Tschulnigg beim Spazierengehen am Ritzensee in Saalfelden

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Zurzeit ist Bernhard Tschulnigg zu Hause in Saalfelden - bei seinem Vater Peter (rechts)

Diese Leidenschaft für Raketen ist Bernhard Tschulnigg geblieben - „gerade zu Silvester verzaubert mich das immer noch. Die ganze Atmosphäre, der Schießpulvergeruch, das Knallen und Zischen.“

Begeisterung in Verbindung mit Hartnäckigkeit machten Bernhard Tschulniggs Erfolg möglich - und die Hilfe von einigen wichtigen Wegbegleitern. Vom Bundessozialamt wurde im Felix Putz als Arbeitsassistent finanziert. Seit acht Jahren arbeitet Bernhard Tschulnigg nun mit ihm zusammen. Putz, selbst Informatiker, hat ihn bei der Umsetzung der Bachelor-Arbeit unterstützt: „Ich glaube, wir haben’s beide jetzt erfolgreich geschafft - vor allem er.“

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Blinder Chemie-Absolvent

Bernhard Tschulnigg ist der erste Blinde, der in Mitteleuropa ein Chemiestudium absolviert hat. Er musste dafür sehr hart arbeiten.

Großer Arbeitsaufwand an der Universität

„Es ist tatsächlich möglich, auch einem sehbehinderten Menschen eine Ausbildung zu ermöglichen, die man zuerst gar nicht für wahrscheinlich und möglich halten würde“, sagt Bernhard Fügenschuh, Vizerektor der Universität Innsbruck.

Bernhard Tschulnigg, blinder Chemiker, am Computer

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Gerade die Formeln musste sich Bernhard Tschulnigg selbst erarbeiten

Der Aufwand sei allerdings enorm, auch von Universitätsseite. So habe die Digitalisierungsabteilung der Uni Innsbruck versucht, die Fachliteratur möglichst barrierefrei aufzubereiten, sagt Elisabeth Rieder, Behindertenbeauftragte der Universität: „Nur mit den Formeln war es relativ aussichtslos. Das hat er sich wirklich alles in Eigenleistung selbst erarbeiten müssen.“ Mit diesem Engagement geht Bernhard Tschulnigg nun sein nächstes Ziel an - einen Arbeitsplatz zu finden, in dem er das Gelernte anwenden kann.