Österreichs ermordeter Krösus

Es gibt Parallelen zwischen der Wirtschaftskrise der 1920er Jahre und heute. Das zeigt auch das Leben des 1942 von der SS ermordeten Wiener Börsengurus Sigmund Bosel. ORF-Redakteur Georg Ransmayr präsentierte dazu in Salzburg sein neues Buch.

Sigmund Bosel

Styria Verlag

Sigmund Bosel (1893 - 1942)

Umstrittene Bankenrettungen, Finanzskandale, geniale Investitionen, wagemutige Projekte, hohe Gewinne aus der Flüchtlingsbetreuung, Sponsoring für soziale Projekte, daneben bizarre Spekulationen gegen schwache Währungen bis an den Rand des Untergangs, riskante Fremdwährungsdeals und Seilschaften zwischen Politik, Banken und Wirtschaft?

Wer glaubt, das seien moderne Phänomene, den könnte das neue Buch von Georg Ransmayr eines Besseren belehren. Seine Biografie über den Wiener Superreichen Sigmund Bosel beleuchtet das Leben einer der schillerndsten Figuren österreichischer Wirtschafts- und Zeitgeschichte. Ransmayr stellte es Donnerstagabend auf Einladung des Managementclubs Salzburg im ORF-Landesstudio vor; zum Wohlgefallen des Publikums.

Flüchtlingsbetreuung als gutes Geschäft

Sigmund Bosel hatte seine Unternehmer-Karriere 1914 mit 21 Jahren als einfacher Textilhändler begonnen. Früh wurde klar, dass er - trotz seiner Schüchternheit - besonders bei weiblichen Kunden ein grandioses Verkaufstalent an den Tag legte. Der eigentliche Senkrechtstart gelang Bosel, als er für das Innenministerium während des Ersten Weltkriegs mithalf, eine riesige Flüchtlingskrise zu managen. Auch hier sehen manche einige Parallelen zur heutigen Zeit. Damals kamen wegen der Niederlagen im Krieg bisweilen pro Tag ca. 3.000 k.u.k. Landsleute als Flüchtlinge aus den Ostgebieten des Kaiserreiches nach Wien. Ungarn wollte möglichst wenige Flüchtlinge aufnehmen. Woran erinnert uns das bloß? Und so übernahm Sigmund Bosel für die österreichischen Behörden die Versorgung der vielen Lager und Notunterkünfte. Die hohen Gewinne aus Staatsgeldern, die er dabei machte, wurden der Grundstock für seinen immensen Reichtum.

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Harter Kapitalist, Sozialdemokrat und Sponsor

1918 stieg Bosel dann als Freund und Gönner der Wiener Polizei in den Ring. Er organisierte Brennholz für die Wachstuben und Lebensmittel zu Diskontpreisen für die Familien von 20.000 Wiener Polizisten. Der Wiener Polizeichef und spätere Politiker Schober hatte damit eine loyale Beamtenschaft, um die öffentliche Ordnung nach dem Zusammenbruch der Monarchie aufrecht zu erhalten. Schober revanchierte sich bei Bosel, indem er für ihn in den Jahren danach den politischen Schutzengel spielte. Bosel gründete sein erstes Bankhaus und hatte letztlich Beteiligungen an 210 Aktiengesellschaften, eine „Aktienplantage“, wie es hieß. 1923 war der Kommerzialrat und Bankpräsident der gemeinhin reichste Österreicher.

Obwohl er auch viele konservative und deutschnationale Geschäftspartner hatte, outete er sich als Sozialdemokrat, der neben knallharten Deals viel Geld in soziale Projekte steckte und die Gründung der linksliberalen Zeitung „Der Tag“ finanzierte. Wegen seiner jüdischen Herkunft war Bosel schon ab 1920 eine Zielscheibe für die frühen und besonders fanatischen Nazis in Wien.

„Frauenfreund, kein Frauenheld“

Weil er sehr schüchtern war, sei Bosel kein Frauenheld gewesen, sagt ORF-Wirtschaftsredakteur Georg Ransmayr, der auch eine fundierte Ausbildung als Historiker hat: „Er war aber als Frauenfreund sehr geschätzt und wurde umworben.“ Bosel konnte sich über Jahre nicht zwischen zwei Frauen entscheiden, so blieb er mit beiden zusammen. Und jeder seiner Lieben finanzierte er eine eigene Villa samt großbürgerlichem Haushalt. Die Domizile standen in Wien in größtmöglicher Entfernung voneinander, damit sich die Frauen im Alltag nicht über den Weg liefen.

Gewinne selbst in der tiefsten Krise

Als die Inflation nach dem Ersten Weltkrieg die Vermögen der meisten Österreicher restlos vernichtete, da hatte Bosel dagegen vorgesorgt, indem er rechtzeitig große Mengen Schweizer Franken gekauft hatte. So wartete er, bis die österreichische Kronenwährung noch weiter abstürzte, um dann besonders günstig Aktien und Wirtschaftsbetriebe aufzukaufen.

Bosels schleichender Niedergang begann 1924, als er auch für die damals staatliche Postsparkasse mit riesigen Geldmengen gegen den schwachen französischen Franc spekulierte. Amerikanische Banken zerstörten ihm diesen Traum. Dann kam der Crash der Postsparkasse in Wien, bei dem sich Politiker ausgerechnet ihn – ihren früheren Gönner und Financier - als Sündenbock aussuchten. Es gab Dominoeffekte, und bei der Nationalratswahl von 1927 musste Bosel für alle Parteien als Watschenmann herhalten. Einige Jahre später lagen ihm manche wieder in den Ohren, er möge doch bitte bei einer neuerlichen Bankenrettung mithelfen.

Bosel geht den Nazis in die Falle

Die Nachwehen des PSK-Skandals endeten 1937 mit einer Verurteilung Bosels. Man warf ihm vor, Teile seines Vermögens vor der Postsparkasse verheimlicht zu haben. Allerdings sei der Prozess streckenweise merkwürdig verlaufen, so Autor Ransmayr. Es hat wohl für Politiker auch die Gefahr bestanden, dass das Urteil gegen Bosel nicht hielt bzw. eine Mitschuld ans Licht gekommen wäre. Bosel wurde auf freien Fuß gesetzt, hatte genug von Wien und wanderte nach Paris aus. Allerdings lag ihm die Verurteilung schwer auf der Seele, und so reiste er – trotz massiver Warnungen von Verwandten – Ende Februar 1938 nochmals nach Österreich zurück, um mit der Justiz einen Schlussstrich unter seine Affären zu ziehen.

Genau da kam ihm schon im März der „Anschluss“ in die Quere - Hitlers Machtübernahme in Österreich. Bosel wurde mit einer seiner beiden Lebensgefährtinnen von der Gestapo aus einem Zugabteil geholt, wenige Minuten vor ihrer geplanten Flucht nach Budapest. Die neuen Machthaber wollten einen Schauprozess gegen ihn veranstalten – als „Volksschädling und Spekulant“. Im Februar 1942 sollte der mittlerweile lungenkranke Bosel mit einem Deportationszug ins Ghetto von Riga verfrachtet werden.

Von Massenmörder Alois Brunner erschossen

Ein Bewacher dieses Zuges war der berüchtigte SS-Kommandeur Alois Brunner, der bei einem nächtlichen Zwischenstopp in Polen den Prominenten Bosel aus dem Waggon holen ließ. Brunner folterte ihn und schoss ihm eine Kugel durch den Kopf. Als Kriegsverbrecher und Mitorganisator des Holocaust war der Burgenländer für die Deportation von fast 130.000 Juden verantwortlich. Brunner entkam nach 1945 der gerichtlichen Verfolgung nach Syrien. Dort wurde er bis zu seinem mutmaßlichen Tod (2009 oder 2010) vom Assad-Regime vor europäischen Justizbehörden und vor dem israelischen Geheimdienst beschützt. Diesem gelang es, mittels Brief- bzw. Paketbomben zwei Anschläge gegen Brunner zu verüben, bei denen dieser verletzt wurde. Auch diesem Teil der österreichischen Zeitgeschichte widmet Ransmayr ein Kapitel mit vielen Details.

Brunner in Syrien von Assad beschützt

Syrien tat sich seit 1945 als einschlägige Fluchtburg und Exil neben Argentinien besonders hervor. Geflüchtete SS-Offiziere bemühten sich laut Historikern und westlichen Geheimdienstlern dann besonders, den Hass gegen Juden in der arabischen Welt - hier in direkter Nähe zu Israel - weiter zu schüren und die syrische Armee auszubilden.

Fazit

Ransmayrs Buch ist spannender als viele Krimis. Es hat inhaltliche Qualitäten wie wissenschaftliche Fachliteratur, ist im Gegensatz zu vielen dieser Werke gut geschrieben und dramaturgisch durchdacht. Es erinnert an historische Bücher in Großbritannien und den USA, die dort wegen dieser Qualitäten millionenfache Verbreitung finden - auch bei „einfachen“ Leuten. So geht Geschichte.

Gerald Lehner, salzburg.ORF.at

Bibliografie:

Ransmayr, Georg: Der arme Trillionär. Aufstieg und Untergang des Inflationskönigs Sigmund Bosel. Verlag styria premium. Wien 2016.

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