Mattsee als Hochburg der Nazi-Prominenz

Mattsee (Flachgau) setzt sich nun intensiv mit seiner Vergangenheit im Nationalsozialismus auseinander. Schon in den 1920er Jahren rühmte man sich dort als „judenfreie Sommerfrische“. Zahlreiche NS-Täter und Parteiprominenz trieben in Mattsee ihr Unwesen.

„Die Geschichte von Mattsee ist eine Geschichte von braunen Bonzen in herrschaftlichen Villen“, sagt Siegfried Hetz, Leiter der Mattseer Bildungswoche. Mattsee versucht jetzt erstmals, seine nationalsozialistische Vergangenheit und den dort bei Rechtsradikalen und Nazis verbreiteten Rassenwahn aufzuarbeiten – bei zahlreichen Vorträgen, Ausstellungen und Diskussionen.

Die Gemeinde Mattsee zwischen Mattsee und Obertrumer See

ORF

Mattsee im Spätherbst

Mattsee in speziellem Reiseführer

Der Salzburger Kulturwissenschafter, Journalist und Filmemacher Christian Strasser schreibt in dem - gemeinsam mit Susanne Rolinek und Gerald Lehner verfassten - zeitgeschichtlichen Reiseführer „Im Schatten der Mozartkugel“ (Czernin Verlag. Wien) über die Flachgauer Gemeinde: „Kaum ein anderer Sommerfrischeort zog so viel Naziprominenz und mutmaßliche Kriegsverbrecher magisch an. Die Hakenkreuzidylle war aber erst gegeben, nachdem der Ort von ‚jüdischen Elementen‘ – zum Beispiel dem weltberühmten Komponisten Arnold Schönberg – ‚gesäubert‘ worden war. Es war auch kein Zufall, dass einer der wertvollsten Kunstschätze der Welt, die Stephanskrone, von ungarischen Faschisten im Ort vergraben wurde ...“
- Imschatten.org

Man erfährt hier nun Näheres über Arthur Seyß-Inquart, den österreichischen Nationalsozialisten und SS-Führer, der zwei Tage lang Bundeskanzler direkt vor dem „Anschluss“ Österreichs (Frühling 1938) und dann Hitlers „Reichsstatthalter“ in Wien und „Reichskommissar“ in den Niederlanden war. Der Wiener war vor dieser Karriere oft auf Sommerfrische in Mattsee, weil ihm am konkurrierenden Attersee und im übrigen Salzkammergut „zu viele Juden waren“. Seyß-Inquart wurde bei den Prozessen der alliierten Befreier Europas in Nürnberg als Kriegsverbrecher schuldig gesprochen - in drei von vier Anklagepunkten - und am 16. Oktober 1946 hingerichtet. Auch für die Deportation von mehr als 100.000 niederländischen Juden - Säuglingen, Kindern, Jugendlichen, Frauen und Männern - in die NS-Vernichtungslager war er verantwortlich.

Auch christliche Faschisten als Fans

Ebenso sind Taten von Franz Hueber nun ein Thema, Schwager von Hitlers Luftwaffenchef Hermann Göring und Heimwehrführer der ersten Stunde, der sich als katholischer Judenhasser im „judenfreien Dorf“ Mattsee niederließ. Später wandte sich Hueber ebenfalls der braunen Bewegung zu. Er wurde SA-Führer und 1945 als NS-Kriegsverbrecher und 1948 wegen Hochverrats an Österreich zu 18 Jahren Kerker verurteilt, jedoch wie viele Täter damals bald entlassen - „auf Bewährung“.

Dazu gibt es Vorträge über den katholisch-autoritären Ständestaat-Kanzler Engelbert Dollfuß, der das Wochenende vor seiner Ermordung durch Nazi-Putschisten in der Mattseer Villa Hinterstoisser verbrachte. Und es wird beleuchtet, wie der ungarische Faschistenführer Ferenc Szalasi samt ungarischem Kronschatz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Mattsee untertauchte.

Vertreibung des Künstlers Schönberg

Schlüsselfigur für das zeitgeschichtliche Projekt von Mattsee ist aber der weltbekannte Künstler Arnold Schönberg.

Arnold Schönberg beim Dirigieren des Rundfunk Sinfonie Orchesters Berlin

APA/Schönberg-Center

Arnold Schönberg

„Das Mattsee-Ereignis“ ist ein offizieller Begriff in der Biografie des Wiener Zwölfton-Komponisten. Schönberg war christlich getauft und stammte aus einer jüdischen Familie. Seine Vertreibung durch Antisemiten aus Mattsee vor 95 Jahren beeinflusste den Künstler so stark, dass er zum Judentum zurückkehrte. Er flüchtete schon 1933 in die USA, als die Nazis in Deutschland die Macht übernahmen, bevor es dann 1938 in Österreich losging und im Zweiten Weltkrieg mit insgesamt 65 Millionen Toten endete. Am 25. Oktober wird in Mattsee eine Gedenktafel für Schönberg enthüllt - Beginn der Feier: 11.00 Uhr.

NSDAP-Mann Breitner noch immer verehrt

Mattsee war auch Heimatort des Feldchirurgen Burghard Breitner (1884 – 1956), der sich in russischer Gefangenschaft im Ersten Weltkrieg für verwundete österreichische Soldaten in Russland einsetzte und als „Engel von Sibirien“ verehrt wurde. Breitner, ein späterer Präsidentschaftskandidat des VdU (Vorläufer der FPÖ), war bekennender Nationalsozialist und NSDAP-Mitglied, konnte aber den „Großen Ariernachweis“ nicht erbringen. Noch heute erinnert in Mattsee ein Weg an diesen Gemeindebürger, der immer wieder auch umstritten war.

Unter den Ortsbewohnern regierten schon früh die Bespitzelung und Denunziation gegen Sommergäste jüdischer Herkunft. 1927 wurde eine jüdische Familie durch ein nächtliches Schreikonzert von Mitgliedern des Union-Yachtklubs („Juden hinaus, lasset es schallen von Haus zu Haus!“) vertrieben. Sie verließ Mattsee am Morgen des nächsten Tages.

Die Mattseer Bildungswoche läuft noch bis zum Nationalfeiertag, dem 26. Oktober.

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