Barocker Blues bei den Festspielen

Die hohe Kunst des Lamentierens kann von anrührender Schönheit sein. Der Countertenor Bejun Mehta aus den USA verführte bei den Salzburger Festspielen am Mittwoch in diese barocke Todessehnsucht und ihr elegisches Liebesleid.

Bejun Mehta Salzburger Festspiele

Salzburger Festspiele / Dario Acosta

Mehta

Das Haus für Mozart war Schauplatz für diesen - laut APA - „Kantatenabend der Sonderklasse“. Das Publikum war begeistert. Es gab lange Standing Ovations.

Die Emotionen beim klassischen Genre Lamento erinnern manche Musikfreunde auch an Gefühlslagen, die mit dem Blues und den Worksongs der afroamerikanischen Sklaven bzw. frühen Land- und Industriearbeiter verbunden sind. Daraus entwickelten sich später Jazz sowie Rock`n` Roll bzw. R & B. Es gibt auch eine berühmte Nummer des Saxophonisten, Komponisten, Arrangeurs und Freejazzers John Coltrane: „Lonnie`s Lament“ (1964).

Reise durch vielerlei Emotionen

Das Lamento der Barockzeit ist allerdings dem klaren Ziel verpflichtet, seine Zuhörer - zwecks Katharsis - durch einen ganzen Reigen von Emotionen zu stoßen. Und es ist dazu - jedenfalls in so fantastischer Ausführung - auch bestens geeignet. Todesseligkeit und Lebensmüdigkeit, Liebesleid und Leidenslust: Bach und Händel haben sie als zwei Seiten in großartige melodische Medaillen gegossen. Auch Bach senior übrigens, Johann Christoph Bach, der, wie wir heute wissen, „Ach, daß ich Wassers gnug hätte“ komponierte sowie Melchior Hoffmann, dessen bewegendes „Schlage doch, gewünschte Stunde“ so lange Johann Sebastian Bach zugeschrieben wurde, dass es immer noch eine Nummer aus dem Bach-Werkeverzeichnis trägt.

Mehta besticht durch unbeschreiblichen Ton

Der Amerikaner Bejun Mehta zählt zu den führenden Countertenören unserer Zeit. Seine Stimme ist ein wahres Wunderwerk der Gesangstechnik - seine ursprüngliche Stimmlage war Bariton, heute erreicht sein Altus bei ungetrübter Makellosigkeit Höhen bis ins zweigestrichene e und gewaltige Volumina.

Unbeschreiblich sein Ton, es liegt soviel Ruhe, Raum und Resonanz darin, als hätte er einen ganzen Chor samt Kirche verschluckt. Dazu führt er die Stimme mit solcher Anmut durch die ausladenden Koloraturen in den Kantaten Händels, Bachs und Vivaldis, dass das Publikum fast ohne Unterlass die Hände zum Zwischenapplaus gezückt hält.

Eigene barocke Ariengattung

Sein Kantatenprogramm, bei dem sich Mehta von La Nuova Musica, einem jungen britischen Ensemble für Alte Musik unter dem aufstrebenden Originalklangdirigenten David Bates, begleiten lässt, hat sich dem Lamento verschrieben. Eine eigene barocke Ariengattung, die religiöse Jenseitsmystik, wie in Bachs bekannter Kantate „Ich habe genug“, ebenso miteinschließt wie liebestraurige Klagegesänge, etwa Händels „Mi palpita il cor“ oder Vivaldis „Pianti, sospiri e dimandar mercede“.

Zwischen den Arien wurden auch zwei instrumentale Stücke platziert, ein zauberhaft musiziertes Concerto Grosso von Arcangelo Corelli und die Sonata a 5 in B-Dur von Händel. Fein klingt das auf den Originalklanginstrumenten, aber ach, die Krux mit den Darmsaiten! Nicht nur, dass sie genauso oft gestimmt werden wollen, wie die Musiker zum Spielen anheben, der Solo-spielenden Konzertmeisterin schnalzte eine der Widerspenstigen auch noch inmitten des Adagio der Händel-Sonate davon - mit dem Resultat, dass die toughe junge Frau das Stück einfach auf dem Instrument einer Kollegin zu Ende spielte. Eine tolle Performance, ein wunderschöner Abend.

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