Krebs: Kritik an „Überdiagnosen“

Krebs-Früherkennungsuntersuchungen können nicht nur nützen, sondern auch Nachteile haben. Davor warnen einige Mediziner. Sie kritisieren besonders die Prostatakrebs-Erkennung, aber auch die Brustkrebs-Screenings. Andere Ärzte verteidigen den aktuellen Stand.

Das Diakonissenkrankenhaus in Salzburg-Aigen ist in eines von 13 Zentren in Salzburg, in dem Mammographien durchgeführt werden. Oft wird die Untersuchung mit Ultraschall kombiniert, damit die Diagnose sicherer wird.

Jede neunte Frau erkrankt an Brustkrebs. Deswegen soll jeder kleinste Tumor in der Brust möglichst früh erkannt werden, um besser behandelt werden - das ist die aktuelle allgemeine Lehrmeinung. Mit dem Brustkrebs-Screening, zu dem seit Jänner 2014 alle Frauen zwischen 45 und 69 Jahren schriftlich alle zwei Jahre eingeladen werden, will man in Salzburg die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen fast verdoppeln, von derzeit 37.000 auf 70.000.

Mammographie Brustkrebs

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„Patientinnen erreicht, die nicht gegangen wären“

„Durch das Screening erreicht man mit Sicherheit auch Patientinnen, die sonst nicht zur Mammographie gegangen wären“, sagt Rudolf Kaiser, Radiologie-Primar bei den Diakonissen. „Wenn man die organisatorischen Mängel und die Aufklärung von Patienten und Kollegen noch besser vorantreibt, ist es sicher ein großer Vorteil für die Patientinnen.“

Geht es nach den Radiologen, sollte die Screening-Gruppe noch größer sein: „Frauen ab 74 dürfen praktisch überhaupt nicht mehr zum Screening kommen - die fühlen sich natürlich diskriminiert“, sagt Kaiser. „Da gäbe es auch noch ein paar Sachen in der Indikationsliste, wann man zwischendurch Mammographien machen darf - da gehört noch Einiges nachgeschärft.“

Prostatakrebs: Blutuntersuchung verbreitet

Schauplatzwechsel in die Ordination eines Salzburger Urologen. Hierher kommen Männer zur Prostatakrebs-Früherkennung. Prostatakrebs ist der häufigste Krebs der Männer. Es gibt zwar kein staatliches Screening, aber die meisten Männer ab 50 Jahren lassen sich für den PSA-Test Blut abnehmen. Der PSA-Wert gilt als Parameter für Prostatakrebs, ist aber unter Medizinern sehr umstritten.

„Ein einzelner Wert, einmal bestimmt, soll niemanden nervös machen - auch den Arzt nicht“, sagt der Salzburger Urologe Ulfrit Scrinzi. „Das wird beobachtet, in drei, sechs, zwölf Monaten noch einmal kontrolliert. Und erst wenn sich im längeren Verlauf der Verdacht erhärtet - zumindest ist das mein Vorgehen -, dann wird eventuell eine Gewebeentnahme durchgeführt.“

„Wir therapieren zuviel“

Auch die Zahl der Therapien ist umstritten: „Wir therapieren zuviel, weil wir nicht herausfinden, wen wir nicht therapieren müssen. Wir nehmen in Kauf, zuviel zu machen, um jene, die an ihrem Krebs erkranken würden, heilen zu können“, sagt Scrinzi.

Prostata-Operationen haben oft schwerwiegende Nebenwirkungen - etwa bei der sexuellen Potenz: „Jene, die vor der Operation potent sind, dann hat man nach der Operation etwa 50 Prozent, die mit ihrer Sexualität unzufrieden sind. Das ist eines der Grundprobleme.“

„Große Zahl von Überdiagnosen“

Ein Kritiker der derzeitigen Krebs-Früherkennungspraxis ist auch der Allgemeinmediziner Christoph Fischer aus Sistrans (Tirol), der dafür auch Lehraufträge an Uni Innsbruck hat: „Die Prostatakrebs-Untersuchung macht eine sehr große Zahl von Überdiagnosen. Für einen Mann, der nicht an Prostatakrebs stirbt, werden 48 Männer behandelt, die dadurch keinen Vorteil haben - in der Gesamtsterblichkeit ist kein Unterschied zwischen den Männern mit und ohne PSA-Screening.“ Der Nachteil sei damit größer als der Nutzen.

Beim Brustkrebs-Screening „liegen die Vor- und Nachteile sehr nahe beieinander, sodass es eigentlich nicht möglich ist, als Arzt über das Schicksal einer Frau zu entscheiden“, sagt Fischer. „Die Nachteile eines Brustkrebs-Screenings sind viele falsch positive Befunde. Von zehn auffälligen Röntgenuntersuchungen hat nur eine Frau wirklich Krebs. Zudem sind ungefähr ein Fünftel bis ein Drittel der festgestellten Brustkrebserkrankungen sogenannte Überdiagnosen - das heißt, die Frau wäre nie an Brustkrebs erkrankt. Zudem hat sich bei der Untersuchung der Sterblichkeit zwischen gescreenten und nicht-gescreenten Frauen kein Unterschied gefunden - bei mehr als einer halben Million untersuchter Frauen.“

„Bei früher Diagnose höhere Heilungschancen“

Paul Kainberger, Obmann der Salzburger Radiologen, hält dagegen: „Wenn Brustkrebs diagnostiziert wird, dann können wir heute nicht sicher sagen, ob dieser Krebs - vor allem bei hochbetagten Frauen - allenfalls ein Krebs ist, der für diese Patientin lebensbegrenzend werden würde. Wir müssen heute, weil es hier noch kein klares Wissen dazu gibt, ob dieser Brustkrebs hochbösartig ist oder etwas weniger bösartig, alle Frauen gleich behandeln.“

„Wir wissen heute, dass wir durch Früherkennung wie Mammographie in den allermeisten Fällen brusterhaltend operieren können und in einem sehr hohen Prozentsatz die Frauen heilen können“, betont Kainberger. „Denn eines ist klar: Je früher Brustkrebs diagnostiziert wird, desto höher sind die Heilungschancen.“ Nach der aktuellen Lehrmeinung wird das Brustkrebs-Screening auch allgemein empfohlen.

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Bericht zum Thema von Maria Mayer, ORF Salzburg

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