Holocaust & Bergsteigen: Hüter der Erinnerung

Hubert Fritzenwallner aus St. Veit (Pongau) hatte als Hüttenwirt bis vor kurzem einen sehr sensiblen Job. Das Friesenberghaus im Tiroler Zillertal ist die einzige Hütte des Deutschen Alpenvereins, die von einer mehrheitlich jüdischen Sektion erbaut wurde. Viele der Pioniere starben im Holocaust.

Hubert Fritzenwallner hat sich als Hüttenwirt in den letzten 17 Jahren bemüht, die Erinnerung an diese traurigen Geschichten wachzuhalten - nicht nur im Zillertal: Die meisten der deutschen Berg- und Tourismuspioniere jüdischen Glaubens (vorwiegend aus Berlin) starben bis 1945 in Gaskammern der Vernichtungslager Himmlers oder durch andere Methoden des nationalsozialistischen Massenmordes. Es gab neben diesen Männern und Frauen auch nicht jüdische Mitglieder der Berliner DAV-Sektion, die den Nazis Widerstand leisteten und den Hüttenbau in Tirol ab 1928 mitgetragen hatten.

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Gerald Lehner

Friesenberghaus der DAV Sektion Berlin im Tiroler Zillertal mit dem 3.231 Meter hohen Hohen Riffler, einem Nachbarn des höheren Olperer

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Gerald Lehner

Fritzenwallner geht nun in Pension

Erinnerungskultur verankert

Der ehrenamtliche Salzburger Bergretter und Suchhundeführer Hubert Fritzenwallner aus St. Veit (Pongau) hat seit 1996 das Friesenberghaus hauptberuflich als Hüttenwirt bewirtschaftet. Er geht nun nach 17 Sommern in Pension.

Es gelang dem meistens sehr humorvollen Pongauer mit anderen Akteuren und Reformern im In- und Ausland, dem historischen Ort im Hochgebirge eine neue Bedeutung des internationalen Miteinanders zu geben und eine würdige Erinnerungskultur zu verankern.

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Gerald Lehner

Der Salzburger (rechts unten) genießt vor dem Abschied noch einmal den Blick durch das Fernglas auf „seine“ Zillertaler Berge

Im Zuge der „Arisierungen“ geraubt

Fritzenwallner hatte vor wenigen Tagen seinen letzten Arbeitstag als Hüttenwirt des Friesenberghauses. Es ist bis heute die einzige Schutzhütte des sehr großen Deutschen Alpenvereins (DAV), die von einer mehrheitlich jüdischen Sektion geplant und finanziert wurde (Berlin). Beim Bau fanden ab 1928 arbeitslose Zillertaler - trotz der Wirtschaftskrise - neue Jobs. Auch das regionale Handwerk erhielt zahlreiche Aufträge.

Zivilcourage: „Die Aufarbeitung hat hier so richtig erst nach dem Umbau im Jahr 2003 begonnen“, sagt der Hüttenwirt. Vorher habe sich dafür kaum einer interessiert. „Ich bin stolz, dass ich hier arbeiten konnte, auch die Erinnerung an die tatkräftigen Erbauer aus Berlin wachhalten und ein wenig frischen Wind bringen durfte“, sagt Fritzenwallner, der sich nun im Salzburger Pongau zur Ruhe setzt und seine Arbeit als ehrenamtlicher Bergretter und Hundeführer wieder intensivieren möchte. Er hofft, dass der positive Kurs mit dem Friesenberghaus so weitergehen möge.

Für die Berliner war dieser Neubau ein im Grunde bitterer Ausweg. Viele DAV- und ÖAV-Sektionen waren schon seit den frühen 1920er Jahren von „völkischem“ Judenhass und Rassenwahn geprägt und verweigerten jüdischen Bergsteigern den Zutritt zu ihren Hütten. Viele wollten sich dennoch nicht ihre Liebe zu den Alpen und zum Bergsport austreiben lassen.

1933, als Hitler in Deutschland an die Macht kam, überschrieben die Berliner das Haus der mehrheitlich jüdischen ÖAV-Sektion „Donauland“ in Österreich, um die Hütte vor dem Zugriff der Nazis zu retten. Das funktionierte als Notlösung nur bis 1938, als dann Hitlerdeutschland beim „Anschluss“ auch Österreich überfiel. Im Zuge der „Arisierungen“ fiel nun auch das Zillertaler Friesenberghaus dem Nazistaat in die Hände.

Nach diesem Raub ging es weiter bergab: Die meisten der jüdischen Alpinisten - Männer und Frauen - wurden ermordet.

Das Friesenberghaus diente dann Funkern und Geheimdienstlern der Deutschen Wehrmacht als Horchstation gegen Bomber und Jagdflugzeuge der amerikanischen Armee, die im Frühling 1945 dann Österreich vom Nationalsozialismus wieder befreite. Dann kamen Jahrzehnte mit vielen Gedächtnislücken in den Alpenvereinen.

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Gerald Lehner

Gedenktafel im Friesenberghaus

Umbruch & Reform im Alpenverein

Erst jüngere Generationen von DAV- und ÖAV-Funktionären wagen es heute, zeithistorische Forschung zu diesen Themen zuzulassen bzw. sie zu fördern. Es dauerte aus der Sicht von Überlebenden der Vernichtungslager fast ewig. Sogar als der Salzburger Hubert Fritzenwallner das Friesenberghaus in Tirol 1996 als Wirt übernahm, waren beispielsweise noch eindeutige Spuren der nationalsozialistischen Zeit unkommentiert und fast wie selbstverständlich in der Hütte zu sehen. Es war teils noch Geschirr der NS-Wehrmacht mit Hakenkreuzen auf dem Porzellan in Verwendung – 50 Jahre nach Kriegsende. Dazu kamen Geschirrtücher mit eingestickten Hakenkreuzen und andere Utensilien, die noch 1996 offenbar niemanden störten.

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Gerald Lehner

Die Hütte steht hoch über dem Stausee Schlegeis der Kraftwerksgruppe Zillertal des Verbundkonzerns

Die wenigen Überlebenden der jüdischen Sektion des Alpenvereins in Berlin haben es ab 1945 personell und finanziell nicht mehr geschafft, die Hütte langfristig zu übernehmen. Das Friesenberghaus wurde deshalb 1968 einer anderen Berliner DAV-Sektion überschrieben, die bis 1945 ebenfalls alle jüdischen Bergsteiger vom gemeinsamen Sport ausgeschlossen hatte.

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Gerald Lehner

Friesenberghaus mit Blick nach Nordosten in Richtung Hohe Tauern und Salzburger Landesgrenze

Kein Tabuthema mehr

In den 17 Jahren von Fritzenwallners „Amtszeit“ hat sich in Zusammenarbeit mit der heutigen Alpenvereinsführung in Berlin und anderswo vieles grundlegend geändert. Es gilt bei immer mehr Leuten - auch in der Region - nicht mehr als „Nestbeschmutzung“, sich der nationalsozialistischen Verbrechen zu erinnern und Lehren für die Zukunft daraus zu ziehen. So wurde auf dem Friesenberghaus unter anderem eine Gedenkstätte für die Opfer des NS-Regimes und für die Verständigung zwischen den Kulturen eingerichtet.

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Gerald Lehner

Berliner Höhenweg zwischen Friesenberghaus und Olperer Hütte

Gerald Lehner, ORF.at

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